Annett Wiedemann mit Obst | Bildquelle: Annett Wiedemann
Turn-Team Deutschland

Fit wie ein TURNSchuh

Power ist essbar

Annett Wiedemann arbeitet seit 25 Jahren als Trainerin und Erzieherin. Zum einen bildet sie als Leiterin der Turnschule Heilbronn/TG Böckingen Mädchen und Jungen in verschieden Bereichen auf Landeskader-, Bundeskader- sowie auf der Nachwuchsebene aus. Bislang neun ihrer Turnerinnen und Turner haben es an Bundesstützpunkte geschafft.

In ihrem zweiten Job ist Wiedemann Erzieherin an einer bilingualen Kita mit den Schwerpunkten Ernährung und Bewegung. Die ausgebildete Ernährungsberaterin ist zudem immer wieder mit Vorträgen beim DTB und anderen Turnverbänden zum Thema "Gesundes Kochen" unterwegs.

Frau Wiedemann, Turnen benötigt in jeder Altersklasse Kraft. Sie bezeichnen gerne die Muskulatur als Kraftwerk des Körpers. Wie sollte man dieses Kraftwerk denn befeuern, damit es optimale Ergebnisse liefert? Mit möglichst viel Eiweiß?

"Grundsätzlich ist Power essbar, für jedermann. Eiweiß ist unabdingbar, nicht nur für die Muskulatur. Das braucht jeder zum Leben. In der Ernährung sollte es so ungefähr 15 Prozent ausmachen. Dazu kommen rund 30 Prozent Fett und 55 Prozent Kohlenhydrate. Natürlich haben Spitzen- und Leistungssportler*innen noch ein anderes Konsortium an tierischen und pflanzlichen Eiweißen und in der gesamten Auswahl. Und auch die Öle und Fette sind noch einmal ein Stück spezieller."

Bei Eiweiß denken viele unweigerlich an Milch oder Milchprodukte. Dass Milch mobil macht war aber zuletzt nicht unumstritten …

"Bei der Milch kommt es klar auf die Qualität an. Ich kann die homogenisiert aus dem Tetrapack trinken oder eine Vollmilch von einer Kuh, die auf der Weide steht und Omega-3-Gras frisst. Das ist qualitativ ein echter Unterschied."

Alternativ könnte man da natürlich auch auf Eiweiß-Shakes zurückgreifen. Die werden ja von vielen Sportlerinnen und Sportlern mittlerweile häufig genutzt. Was halten Sie davon?
"Ich halte auf jeden Fall etwas von Eiweißzufuhr im Shake-Bereich. Aber auch da muss man darauf achten, qualitativ super-gutes Eiweiß zu wählen."

Worauf sollte man bei Shakes besonders achten?

"Es muss bio-verfügbar sein, es sollten keine Kohlenhydrate drin sein und kein Zucker. Es lohnt sich immer auf der Rückseite zu lesen, was denn wirklich drin ist. Und wenn man viele Produkte aus dem Drogeriemarkt liest, dann kommt man ganz schnell dahinter, dass da oft ganz viele Dinge drin sind, die man gar nicht drin haben möchte."

Sind solche Nahrungsergänzungsmittel nur etwas für Leistungssportler und Leistungssportlerinnen oder auch für die Mitglieder einer Seniorensportgruppe?

"Das ist auch für ältere Menschen in jedem Fall sinnvoll. Die Muskulatur ist die Powermaschine im Körper. Und die nimmt ja bekanntlich im Alter ab. Also wird die mit Eiweiß super gesättigt und bleibt erhalten.

Aber Achtung!
Nahrungsergänzungsmittel ersetzen keine gesunde Mahlzeit. Die Betonung liegt auf Ergänzung. Das gilt für Sportler wie Senioren gleichermaßen."

Wie sieht es mit von vielen gemiedenen Kohlenhydraten als Brennstoff aus?

"Die sind ungemein wichtig! Schließlich machen sie fast die Hälfte unserer gesunden Ernährung aus. Wir sollten aber darauf achten, Kohlenhydrate zu essen, die lang anhaltend sind. Weizen und Zucker sind dagegen einfache Kohlenhydrate, die auf unseren Körper keine positiven Auswirkungen in Sachen von Zellen haben. Bei den Kohlenhydraten kommt es darauf an, wie wir die ausgestalten. Salat, Gemüse, Vollkornprodukte wären da super. Industrielle Süßigkeiten, Honig, Zucker, Weißbrot, weiße Nudeln oder weißer Reis sind dagegen eher die Kohlenhydrate, auf die wir möglichst verzichten sollten."

Das bedeutet, nie wieder ein Nutellabrot essen?

"Nein, natürlich nicht. Ohne Nutella muss gar nicht sein. Damit kommt man auch nicht 365 Tage durch, wenn man das gerne isst. Aber die Sportlerinnen und Sportler sollten beachten, in welcher Wettkampfphase sie sich gerade befinden. Bereite ich mich gerade sieben oder acht Wochen auf einen Wettkampf vor, ist gesunde Ernährung natürlich verdammt wichtig. Da sollten solche Produkte für Kohlenhydrate nicht auf der Liste stehen."

Wann dann?
"Ich sage immer, unter der Woche sauber essen und dann am Wochenende das Nutella auspacken oder ein Stück Kuchen essen. Denn auch das tut gut, schließlich gibt es ja ein Belohnungssystem im Gehirn und das befeuert auch den Stoffwechsel."
 

Wie sieht es mit Nüssen und Ölen aus, sie enthalten doch sehr viel Fett und auch die Kohlenhydratzahlen sind der von Kartoffelchips recht ähnlich?

"Ja, aber es sind gesunde Fette und Kohlenhydrate. Walnüsse, Macadamianüsse, Pistazien, Cashewnüsse. Nicht gesalzen und geröstet. Das sind Gesunde Fette, Stichwort Omega-3! Auch Mandel, die ja eigentlich keine Nuss, sondern ein Steinobst ist. Aber dennoch gesund. Olivenöl zu verwenden ist gut. Es ist allerdings nicht so gut erhitzbar. Das Produkt sollte daher darin schwimmen können, dann brennt es nicht an. Rapsöl wäre da eine gesunde Alternative zum Braten, Kokosöl, Butter Ghee oder Albaöl."

Wie kann ich nach einem harten Training dafür sorgen, dass mein Körper wieder schnell regeneriert?

"Unsere Muskeln sind wie ein Schwamm. Der Schwamm ist nach dem Training leer. Der muss gefüllt werden. Die Muskeln brauchen Aminosäuren, gesunde Mineralstoffe, Vitamine, damit sich der Muskel schnell regenerieren kann. Das geht am besten über die Ernährung.

Ein wirklich guter Energie-Kick vor den Wettkämpfen oder dem Training ist die Banane.

Oder eben der vorhin genannte, hochwertige Eiweißshake. Oder durch Sauna zum Beispiel. Und Entschlacken durch viel Trinken. Wasser ohne Gas, grüner Tee, frisches Zitronenwasser. Zitrone ist zwar sauer, aber ihr Zustand macht unseren Körper basisch."

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Wie also sieht eine optimale Ernährung aus?

"Prinzipiell ist die optimale Ernährung zunächst einmal sportartabhängig. Die perfekte Ernährung gibt es allerdings auch für Sportler*innen nicht. Ein Leitsatz ist allerdings, dass Ernährung wahnsinnig individuell ist. Denn jeder verstoffwechselt Kohlenhydrate, Eiweiß und Fette anders. Das kann man ja sogar messen lassen. Aber am Ende muss es doch jeder für sich selbst durch Probieren herausfinden. Es kommt da auch sehr viel auf das eigene Bauchgefühl an."

Das bedeutet, man muss lernen, neben den gängigen Ernährungstheorien noch viel mehr auf den eigenen Körper zu hören?

"Ja! Menschen sind verschieden. Zum Beispiel kann der eine abends Salat essen und es macht ihm gar nichts aus, wenn der noch lange in seinem Darm liegt. Der andere kann das gerade nicht. Auch geräucherter Fisch liegt zum Beispiel sehr lange im Darm, das kann abends nicht jeder essen. Denn der Darm wird nachts träge und schaltet ab, da macht das keinen Sinn."

Woran orientiere ich mich dann? An den sogenannten Ernährungspyramiden?

"Nun ja, selbst die Low-Carb- und die Harvard-Pyramide sind unterschiedlich aufgebaut. Die Harvard-Pyramide lehnt sich mehr an die mediterrane Ernährung an. Das bedeutet, dass es im unteren Bereich vorwiegend Gemüse und Vollkornprodukte, gesunde Öle und Obst gibt. Ganz oben steht der Bereich mit dem Fleisch, Zucker und Salz. Bei Low-Carb gibt es unten Obst und Gemüse sowie den ganzen Eiweißbereich mit Nüssen, Fisch und Fleisch. Und darüber kommen erst die Vollkornprodukte."

Und wie sieht es bei Sportlern mit Fleisch aus?

"Fleisch ist eine wichtige Eiweißquelle. Optimalerweise sollte die Eiweißzufuhr tierisch und pflanzlich abgewechselt werden. Wenn man Vegetarier*in ist, dann muss man das über Hülsenfrüchte, Tofu und Soja kompensieren. Wer aber gerne Fleisch ist, der sollte die Zweibeiner vorziehen, wenn er die Wahl hat. Also lieber Huhn als Schwein oder Kuh. Denn 100 Gramm Schweinefleisch enthalten zwar 20 Gramm Eiweiß, aber eben auch zehn Gramm Fett. Ein bisschen anderes sieht es beim Wild aus, weil das qualitativ besser ist."

Also ist Fleisch gut für Sportler?
"Es ist die Qualitiät, die über das Fleisch entscheidet. Lieber ein- bis zweimal die Woche ein gutes Bio-Fleisch für acht Euro als täglich Chickenwings für drei Euro. Herkunft und Zutatenliste sind auch da zwei große Schlagworte. Wo kommt das Tier her, welche Bedingungen hatte es zum Leben, hatte es genug Zeit zum Wachsen oder wurde es mit Hormonen vollgepumpt. Die Zutatenliste sollte, wie bei allen Lebensmitteln, immer so klein wie möglich sein."

Und worauf achte ich bei Gemüse?

"Auch gutes Gemüse erkenne ich am besten an seiner Herkunft. Die sollte möglichst nah bei mir sein. Nicht im Winter Heidelbeeren oder Erdbeeren essen, die von irgendwo hertransportiert werden müssen, sondern lieber auf das gute, heimische Frostgemüse ausweichen. Weil das enthält noch relativ viele Vitamine, Mineralien und sekundäre Pflanzenstoffe. Die entwickeln sich erst mit der letzten Reifung. Das ist eine gute und vor allem nicht so teure Alternative. Apfel und Birne sind da gute Beispiele, auch die Orange enthält viel Vitamin C und kommt aus Spanien oder Italien und muss nicht erst aus Brasilien oder China hierher gekarrt werden. Darüber sollte man sich schon einmal Gedanken machen. Im Winter bevorzuge ich außerdem die aktuell verfügbaren Sachen. Der Rosenkohl, Lauch, Brokkoli, Kohlrabi, um mal einige zu nennen."

Aber die Heidelbeeren für meinen Porridge gibt es nun mal im Winter nicht und mit Lauch oder Broccoli ist er bestimmt auch kein Geschmackserlebnis … 
"Wer zusätzlich auf seine Heidelbeeren nicht verzichten will, greift in die Tiefkühltruhe. Denn im Winter fährt man mit der tiefgefrorenen Variante oft sogar besser. Das gilt übrigens auch für die meisten frischen Kräuter."

Gerade für die jüngeren Sportler klingt das doch alles nach sehr viel Aufwand, den man noch irgendwie zwischen Training und Schule pressen muss. Jetzt muss man sich noch zusätzlich Gedanken darüber machen, was unter der Woche auf den Tisch kommt …

Ja natürlich ist das ein zusätzlicher Aufwand. Aber auch gesunde Ernährung ist Arbeit am und mit dem Körper.

Aber es ist eine Arbeit, die sich definitiv lohnt.

Kinder mit Gemüse und Obst in Turnhalle | Bildquelle: Annett Wiedemann
Kind erklärt Ernährungspyramide | Bildquelle: Annett Wiedemann
Kinder in Turnhalle | Bildquelle: Annett Wiedemann
Kinder stehen im Kreis | Bildquelle: Annett Wiedemann
Kinder zeigen Daumen hoch | Bildquelle: Annett Wiedemann

AUSGABE  Ernährung 01-2022 | Turn-Team Deutschland | Power ist essbar
AUTOR       Nils B. Bohl