Stefanie Kusemann | Foto: Ricardo Wiesinger/Süddeutsche Zeitung Magazin
Einblicke

Im Einklang mit den Turnerinnen und Turnern

Turnanzüge für die Olympischen Spiele

Stefanie Kusemann, kurz genannt Steffi, hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Ihre Nähkünste lassen seit über neun Jahren beeindruckende Turnanzüge für das Turn-Team Deutschland entstehen, in denen die Athleten und Athletinnen nicht nur äußerlich glänzen, sondern sich auch pudelwohl fühlen.

Was mit einer in Tempotaschentüchern eingekleideten Barbie begann, hat Stefanie Kusemann bis zu Olympia geführt. Ihr handwerkliches Geschick und ihre Liebe zum Turnsport spiegelt sich in maßgeschneiderten Turnanzügen wider, die sie seit 2015 auch für das Turn-Team Deutschland (Gerätturnen und Trampolinturnen) anfertigt. Lediglich die Anzüge für die Athletinnen der Rhythmischen Sportgymnastik stellt Steffi nicht her. Diese bestellen die Turnerinnen selbst in Abstimmung mit den Farben der Handgeräte und angepasst an ihre Choreografie und die Musik.

Ihren ersten Anzug nähte Steffi für ihre Tochter

Es folgten weitere für ihren Heimatverein TSG Wellerode und dann auch für Bundesligisten wie die TG Mannheim, TZ DSHS Köln oder für den Deutschen Meister MTV Stuttgart. Die maßgeschneiderten Anzüge fielen der Bundestrainerin Ulla Koch auf, die Steffi daraufhin für das Turn-Team Deutschland engagierte.

Mittlerweile näht sie zum dritten Mal die Olympia-Turnanzüge

Bereits in Rio und Tokio glänzten die deutschen Trampolin- sowie Gerätturner und -turnerinnen in den Dresses von Steffi. "Ich finde es einfach toll, die Athleten und Athletinnen in meinem Anzug zu sehen und wie er sie hervorhebt. Die Olympischen Spiele sind dabei ein ganz großes Kino und wie ein Ritterschlag für mich", freut sie sich.

Wenige Tage sind es nur noch, bis die deutschen Turner und Turnerinnen in Paris ihr Land präsentieren. Doch Steffi ist wie immer super im Zeitplan, schließlich muss sie pro Person vier Anzüge nähen – zwei Modelle in je doppelter Ausführung für die Männer, für die Frauen werden zwei Anzüge für das Podiumstraining, einer für den Mannschaftswettkampf und einer für ein mögliches Finale produziert. "Die Einzelanzüge für Pauline Schäfer-Betz und Sarah Voss sind bereits fertig, die müssen nur noch besteint werden. Die einheitlichen Anzüge fürs Podiumstraining sind ebenfalls soweit fertig - nur für die dritte Person noch nicht, da von dieser die Qualifikation noch aussteht."

 

Den Stil der Turner und Turnerinnen treffen

Trotz dessen, dass Steffi schon zahlreiche Turnanzüge angefertigt hat, sei es immer noch eine Herausforderung den Geschmack jeder einzelnen Athletin zu treffen. "Der Anzug muss zu ihnen passen. Eine Sarah Voss zum Beispiel ist spritzig, eine Pauline Schäfer-Betz eher fein und elegant." So sei sie immer noch aufgeregt, wenn sie Olympia-Anzüge nähe. Denn man wisse nie, was bei den Einzelstücken auf einen zukomme. "Ich weiß manchmal nicht, ob ich es auch umsetzen kann, was die Turner und Turnerinnen möchten, und tatsächlich werden auch die Männer immer anspruchsvoller und modebewusster", schmunzelt sie.

So muss Steffi viel Rücksprache mit den Athleten und Athletinnen halten.

Zunächst fertigt sie nach den Wünschen und Vorstellungen der Turner und Turnerinnen einen Entwurf an. Es folgt die Abstimmung der Stoffe, der Entwurf eines Schnittmusters für den Probeanzug, der auf Pappe übertragen wird. Die daraus entstehende Schablone wird auf die Stoffe aufgelegt, dieser wird ausgeschnitten, zusammengesetzt und -genäht, mit Steinen verschönert und schließlich mit der Post verschickt. "Wie der Anzug letztendlich wirkt, kann man aber erst sagen, wenn er angezogen ist. Pauline Schäfer-Betz hat mir zum Beispiel ein Video geschickt, in dem sie den Anzug präsentiert und mir gesagt hat, was sie geändert haben möchte."

Häufig sind es nur kleine Änderungen, die vorgenommen werden müssen, wie die Verlängerung eines Musters oder das Hinzufügen zusätzlicher Steine, manchmal will es aber auch so gar nicht passen. "Bei der vergangenen Weltmeisterschaft wollten die Athletinnen im Ausschnitt ein Loch ohne Stoff dahinter haben. Da musste jedoch noch das ERIMA Logo darunter, das dann zwischen den Brüsten saß. Das sah ganz schrecklich aus", blickt Steffi lachend zurück.

Tausende von Hand aufgebügelte Steine

Ebenfalls sehr auf Optik und Wohlfühlfaktor bedacht sind die Turnanzüge der Rhythmischen Sportgymnastik. Tausende in Handarbeit aufgebügelte Steine schmücken die Anzüge und das Design ist abgestimmt auf Musik und Choreografie. So präsentierten die deutschen Athletinnen zuletzt bei der Europameisterschaft in Budapest einen rot-schwarzen Anzug zu spanischer Musik. Neben dem Outfit für den Mannschaftswettkampf besitzt jede Athletin mindestens vier weitere Anzüge – für jede Übung einen. Ob die Arme und Beine dabei kurz, lang oder eine mittlere Länge haben, ist nicht vorgeschrieben.

Einziges Kriterium: Der Anzug muss aus einem Stück bestehen. 

Schwarz-rot-goldenes Design für Olympia

Während die Turnanzüge für zum Beispiel Bundesliga-Wettkämpfe in jeglichen Farben schillern, sind die für die Olympischen Spiele ganz klassisch im schwarz-rot-goldenen Design. "Das ist immer so gewünscht, aber natürlich können die Farben schon mal etwas abweichen und zum Beispiel einen neongelben oder bordeauxroten Ton haben. Das Design der Männer ist in diesem Jahr sogar etwas Retro."

Acht bis zehn Arbeitsstunden benötigt Steffi pro Anzug, für die Trikots der Männer, die von ERIMA designt, dann bedruckt und von ihr lediglich zusammengenäht werden, etwas kürzer. "Deswegen fertige ich die Anzüge der Frauen etwas lieber an, da kann ich richtig kreativ werden. Bei den Männern ist es mehr Fleißarbeit." Fleißig wird Steffi auch im Anfertigen neuer Modelle. Denn wie schon in Tokio wird es auch in diesem Jahr Langbein-Anzüge geben. "Sarah und Pauline haben sich für ein mögliches Einzelfinale einen solchen ausgesucht. Als mich Ulla Koch damals auf einen Langbein-Anzug ansprach, konnte ich damit direkt dienen, weil ich vor 15 Jahren für meinen Heimatverein solche Anzüge bereits genäht hatte."

Die Anzüge für die Athlethen und Athletinnen

Dienen kann Steffi auch mit kurzfristigen Änderungswünschen.

"Wenn sich jemand verletzt oder spontan ausfällt, finden wir immer eine Lösung, weil ich auch schnell etwas nachliefern kann. Ich denke, für den Deutschen Turner-Bund ist es sehr praktisch, eine Haus und Hof Schneiderin vor Ort zu haben, die spontan Anzüge nachschneidern kann." Denn spontaner wird es auch diesmal werden, da sich die dritte Frau bei den Deutschen Meisterschaften Ende Juni in Frankfurt erst noch qualifizieren wird.

Wenn dann alle Turner und Turnerinnen feststehen, freut sich Steffi darauf, die Anzüge persönlich vorbeizubringen und den Athletinnen und Athleten Glück zu wünschen. "Das macht mir Freude und die Zeit nehme ich mir gerne. Ich habe mittlerweile ein sehr enges Verhältnis zu den Turnern und Turnerinnen, weil wir sehr viel kommunizieren. Mein größter Traum würde aber in Erfüllung gehen, wenn ich die Anzüge live in Paris sehen würde. Vor Ort werde ich auf jeden Fall sein, nur eine Eintrittskarte fehlt mir noch."

AUSGABE        Olympia 03-2024Einblicke | Turnanzüge für die Olympischen Spiele
AUTORIN         Hannah Stormanns