Die Entwicklung der Olympischen Spiele | Foto: Picture Alliance
Historisches

128 Jahre deutsche Turngeschichte bei Olympia

Zwischen Athen und Paris

Olympisches Turnen in Paris zum Dritten: Die französische Hauptstadt richtet, als zweite Metropole nach London, zum dritten Mal die Sommerspiele aus. Zwischen der Medaillenvergabe in diesem Jahr und den ersten Spielen der Neuzeit in Athen liegen 128 Jahre, deutsche Olympiasiege - und jede Menge Veränderungen an und bei den Turngeräten.

OLYMPISCHE SPIELE 1896 bis 1932

ATHEN 1896

Trotz erbitterten Widerstands der Deutschen Turnerschaft gehen elf deutsche Athleten im Panathinaikos-Stadion an die Geräte. Einen Mehrkampf gibt es noch nicht nicht, Hermann Weingärtner avanciert mit Gold am Reck sowie Silber am Pauschenpferd und an den Ringen zum erfolgreichsten Turner der Spiele. Gold am Barren und Silber am Reck gewinnt Alfred Flatow, Carl Schuhmann wird Olympiasieger am Sprung. Bodenturnen steht noch nicht im Programm, dafür ein Seilklettern an einem sechs Meter langen Tau.

PARIS 1900

Im Velodrome Municipal inmitten des Bois de Vincennes am östlichen Stadtrand von Paris wird lediglich ein Mehrkampf ausgetragen, zu dem nun auch das Bodenturnen, aber auch Hoch-, Weit- und Stabhochsprung gehören, zudem das Heben eines 50 Kilogramm schweren Steins.

Hinter 28 Franzosen belegt Hugo Peitsch als bester ausländischer Turner den 29. Platz.

ST. LOUIS 1904

Erstmals findet ein Sechskampf statt, ohne Boden und Ringe, dafür mit Kugelstoßen und einem Sprint über 100 Yard. Wilhelm Weber erkämpft sich bei dieser Premiere die Silbermedaille.

Und noch etwas ist neu im Francis Field: Medaillen werden auch für das besonders elegante Schwingen von zwei 1,4 Kilogramm schweren Keulen vergeben.

 

 

 

LONDON 1908

Auch in Großbritannien hat man sich für die olympischen Turnwettbewerbe etwas Neues ausgedacht: Einen Mannschafts-Wettbewerb mit einer Gruppenvorführung mit bis zu 40 Turnern. Deutschland nimmt daran nicht teil und geht auch im Einzel-Mehrkampf im White-City-Stadium leer aus.

STOCKHOLM 1912

Diesmal versuchen sich die Deutschen in der 1908 eingeführten Gruppenvorführung und werden Vierte. Geturnt wird im heute noch für Sportveranstaltungen und Konzerte genutzten Olympiastadion von Stockholm.

 

ANTWERPEN 1920

In der belgischen Hafenstadt wird erneut mit dem olympischen Turnprogramm herumexperimentiert. Diesmal werden Medaillen im Einzel- und Mannschaftswettbewerb (ohne Boden und Sprung) vergeben. In der Gruppenvorführung im Freien System siegt Belgien, im Schwedischen System setzt sich - na wer wohl - Schweden durch. Die Systemunterschiede sind nicht mehr konkret bekannt. Deutschland ist zwei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nicht startberechtigt.

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PARIS 1924

Deutschland ist nach wie vor von der Teilnahme ausgeschlossen. Das Programm nähert sich langsam dem heutzutage üblichen Wettkampfsystem. Nur der Pauschenpferdsprung ersetzt noch das Bodenturnen und das Seilklettern kehrt noch einmal zurück.

AMSTERDAM 1928

Erstmals sind auch Turnerinnen zugelassen, die ersten Goldmedaillen erkämpfen sich in einem Dreikampf aus Sprüngen, Freiübungen und Übungen an den Geräten die Athletinnen aus den Niederlanden. Deutschland dürfte wieder teilnehmen, verzichtet aber auf einen Start bei den Turnwettkämpfen.

LOS ANGELES 1932

Wieder fehlen die Deutschen, der hohen Reisekosten wegen. Und vier Jahre nach ihrer olympischen Premiere auch die Turnerinnen, warum, ist bis heute unklar. Dafür wird wieder am Seil geklettert und es werden wieder die Keulen geschwungen. Olympiasieger im Tumbling, einer Variante des klassischen Trampolinturnens auf dem Großgerät, wird Rowland Wolff aus den USA.

OLYMPISCHE SPIELE 1936 bis 1976

BERLIN 1936

In der heutigen Berliner Waldbühne räumen die Gastgeberinnen und Gastgeber mächtig ab. Männer und auch wieder Frauen gewinnen Gold im Mannschafts-Wettbewerb, Einzel-Olympiasieger werden Alfred Schwarzmann (Mehrkampf und Sprung) und Konrad Frey (Pauschenpferd und Barren).

LONDON 1948

Drei Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs sind die Aktiven des Deutschen Turner-Bundes noch nicht wieder startberechtigt. Olympiasieger am Reck wird der Schweizer Turner Sepp Stalder, dessen Name bis heute im Code de Pointage verzeichnet ist. Der Eidgenosse turnte als Erster eine Grätsche am Reck, die seither als Stalder-Grätsche katalogisiert ist.

HELSINKI 1952

Deutschland ist zurück auf der olympischen Turnbühne und 16 Jahre nach den Spielen von Berlin gewinnt Alfred Schwarzmann, mittlerweile 40 Jahre alt, am Reck die Silbermedaille. Neu sind Gerätfinals auch bei den Frauen, hinzu kommt ein Wettbewerb in der Gruppengymnastik.

MELBOURNE 1956

Nach 20 Jahren wieder eine Goldmedaille für einen deutschen Athleten: Helmut Bantz, der "Turner mit der Brille", wird Olympiasieger beim Sprung. "Ehe ich selbst meinen Sieg begriffen hatte, schrien meine Kameraden auf. Ich war am Ziel", beschrieb der seinerzeit 35-Jährige seinen Triumph in der Autobiographie "So weit war mein Weg".

ROM 1960

In den historischen Caracalla-Thermen geht erstmals bei Olympia eine gesamtdeutsche Riege aus Deutschem Turner-Bund und Deutschem Turn-Verband an die Geräte, Medaillengewinne aber bleiben aus. Bei den Männern gibt es an der Spitze einen Machtwechsel: Erstmals geht das Mannschafts-Gold an die Gerätartisten aus Japan.

TOKIO 1964

Zur "Turnkaiserin von Japan" avanciert Vera Caslavska. Die Tschechin gewinnt den Mehrkampf, am Schwebebalken und beim Sprung - dort knapp vor Birgit Radochla.

1956 erkämpfte Helmut Bantz in Melbourne bei den Olympischen Spielen die Goldmedaille im Pferdsprung

Die DDR-Turnerin und Goldmedaillengewinnerin Karin Janz 1972 bei den Olympischen Spielen in München im Mannschaftswettbewerb der Turnerinnen. Erika Zuchold gewinnt die Silbermedaille.

Reck-Weltmeister Eberhard Gienger gewinnt am 25.07.1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal an seinem Spezialgerät, dem Reck, eine Bronzemedaille.

MEXIKO-STADT 1968


Erstmals bei Olympia treten jeweils zwei Riegen aus Ost- und Westdeutschland an. Während die bundesdeutsche Riege leer ausgeht, gehen vier Medaillen in die DDR. Erika Zuchold (Sprung) und Karin Janz (Stufenbarren) müssen sich nur der großen Vera Caslavska beugen.

MÜNCHEN 1972

Karin Janz (Sprung und Stufenbarren) darf sich als erste DDR-Doppelolympiasiegerin im Kunstturnen feiern lassen. Die Goldmedaille beim Sprung der Männer holt sich Klaus Köste. Publikumsliebling aber in der Olympiahalle ist die kleine, unbekümmerte Olga Korbut, die für die Sowjetunion am Schwebebalken und am Boden triumphiert.

MONTREAL 1976

Mit drei Goldmedaillen prägt Jahrhundertturnerin Nadia Comaneci die Wettbewerbe im Forum von Montreal. Am Stufenbarren siegt die Rumänin mit der damaligen Höchstpunktzahl von 20,00.

OLYMPISCHE SPIELE 1980 bis 2012

MOSKAU 1980

Da viele westliche Staaten ihre Teilnahme wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan absagen, dominiert Gastgeber UdSSR mit dem Gewinn von neun von 15 vergebenen Goldmedaillen. Die DDR stellt mit Roland Brückner (Boden) und Maxi Gnauck (Stufenbarren) zwei Olympiasieger.

LOS ANGELES 1984

Diesmal boykottieren viele sozialistische Staaten, darunter auch die DDR, die Turnentscheidungen im Pauley Pavillion. Dominiert werden die Wettkämpfe von den USA und Olympiadebütant China. Neu im Programm ist die Rhythmische Sportgymnastik, mit einem dritten Platz holt Regina Weber die bis heute einzige deutsche OIympiamedaille in dieser Disziplin.

SEOUL 1988

Letztmals gehen die BRD und die DDR getrennt an die Geräte. An den Ringen gewinnt Holger Behrendt die Goldmedaille.

BARCELONA 1992

Ost- und Westdeutsche sind nach 28 Jahren wieder gemeinsam am Start. Andreas Wecker erkämpft sich am Reck die Silbermedaille.

ATLANTA 1996

Diesmal erfüllt sich Andreas Wecker im Georgia Dome seinen Traum und wird OIympiasieger am Reck. In der Rhythmischen Sportgymnastik werden erstmals auch Medaillen in der Gruppengymnastik vergeben - noch ohne deutsche Beteiligung.  

SYDNEY 2000

Ein sechster Platz von Marius Toba an den Ringen ist die beste deutsche Platzierung. Neu im Programm ist das Trampolinturnen, erste Olympiasieger werden für Russland Alexander Moskalenko und Irina Karawajewa.

Schließlich kam bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000 noch eine weitere turnerische Sportart ins olympische Programm: das Trampolinturnen.

Die erfolgreichste Teilnehmerin und der erfolgreichste Teilnehmer aus dem Deutschen Turner-Bund waren Anna Dogonadze, die 2004 in Athen die Goldmedaille gewann, wo auch Henrik Stehlik eine Bronzemedaille erringen konnte.

ATHEN 2004

Anna Dogonadze wird die erste und bislang einzige deutsche Olympiasiegerin im Trampolinturnen. Bei den Männern gewinnt Henrik Stehlik die Bronzemedaille.

PEKING 2008

Die gebürtige Usbekin Oksana Chusovitina holt sich beim Sprung die Silbermedaille. Am Reck belegt Fabian Hambüchen den dritten Platz.

LONDON 2012

Marcel Nguyen gewinnt im Mehrkampf und am Barren die Silbermedaille. Am Reck kommt Fabian Hambüchen auf Rang zwei.

OLYMPISCHE SPIELE 2016 bis 2020/21

RIO DE JANEIRO 2016

Fabian Hambüchen ist am Ziel seiner Träume und wird im vierten und letzten Anlauf Olympiasieger am Reck.

Am Stufenbarren holt Sophie Scheder die Bronzemedaille. Andreas Toba turnt trotz Kreuzbandriss am Pauschenpferd und avanciert zum deutschen "Hero de Janeiro".

TOKIO 2020/2021

Wegen der Coronavirus-Pandemie werden die Spiele in der japanischen Hauptstadt um ein Jahr verschoben.

Der aktuelle Barren-Weltmeister Lukas Dauser gewinnt an seinem Spezialgerät die Silbermedaille, das einzige deutsche Edelmetall im fernöstlichen Kaiserreich.

AUSGABE         Olympia 03-2024 | Historisches | 128 Jahre deutsche Turngeschichte
AUTOR              Andreas Frank