Parkour | Bildquelle: Picture Alliance/Frank Rumpenhorst
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Parkour – Erlebniswelt Straße

Man braucht nur ein paar Schuhe

Man braucht nur ein Paar Schuhe die Umgebung stellt die Aufgabe. Jede Mauer, jede Treppe, jedes Geländer, sagt Christoph Erkert, "kann zu einem kleinen Abenteuer werden."

Man mag die Hindernisse links liegen lassen oder die Stufen einfach hoch oder runter gehen. Aber man könne auch etwas daraus machen.

Sicheres Umfeld Verein

Was Kinder im Allgemeinen reizt, wenn sich ihnen irgendwo die Möglichkeit dazu bietet, klettern, springen, balancieren, hat sich zu einer eigenen Sportart entwickelt. Mit Parkour lässt sich die Stadt auf kreative Art erkunden. Wofür sich aus Frankreich heraus in den vergangenen Jahrzehnten eine weltweite freie Szene entwickelt hat, das soll sich zunehmend auch in den Turn- und Sportvereinen etablieren. Hier finden Anfänger*innen ein sicheres Umfeld, einen festen Anlaufpunkt und die Chance, unter fachkundiger Anleitung erste Versuche zu wagen.

Erkert ist beim Deutschen Turner-Bund (DTB) als Aufbau-Manager der im organisierten Sport noch sehr jungen Disziplin zuständig. Seine Stelle wurde im Rahmen des Projekts "Aufholen nach Corona" geschaffen. Das von der Bundesregierung initiierte und geförderte Programm soll Kindern helfen, das während der Pandemie Versäumte nachzuholen und wieder vermehrt in Bewegung zu kommen.

Leidenschaft zum Beruf gemacht

Für den 26-Jährigen bietet sich damit die Gelegenheit, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Das hatte der aus dem Karlsruher Raum stammende Erkert nach seinem Bachelor in Sportwissenschaften sowieso vor, und die Ausschreibung, die damals in einer WhatsApp-Gruppe die Runde machte, kam ihm zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Arbeit gelegen.

Als ehemaliger Handballer weiß Erkert, "was einem die Gemeinschaft im Verein geben kann." Doch vor mehr als zehn Jahren wollte er nicht mehr nur Sport treiben, wenn Trainingstag war, sondern selbst bestimmen, wo und wann er sich bewegt. Über zwei Nachbarskinder lernte er Parkour kennen. Schnell packte ihn die Faszination.

"Armsprung" an die Wand

"Präzi" - gezielter Sprung von Mauerkante zu Mauerkante

Backflip

Richtig oder falsch – gibt es nicht

Es gebe in dieser Sportart kein "richtig" oder "falsch". Jeder kann ausprobieren und versuchen, einen Weg zu finden, wie er mit seinem eigenen Körper die Aufgabe löst, der er sich stellt, die nächste Hürde überwindet, die "Line", die Strecke von A nach B, die er sich vornimmt, zurücklegt. Genau das macht Parkour für Erkert zu einem perfekten Sport für Jüngere wie Erwachsene, für Große und Kleine, für Menschen mit körperlichen Stärken und Schwächen.

Man zollt einander gegenseitig Respekt dafür, welche Ideen man entwickelt, tauscht sich aus, übernimmt, was andere vormachen, und verändert es, passt es den eigenen Fähigkeiten an. Im ursprünglichen Parkour-Sport sind laut Erkert eher diejenigen angesehen, die sich selbst am besten einschätzen können, statt jene, die zu viel riskieren. Genau das versucht der Übungsleiter und Kampfrichter auch in seinen eigenen Kursen zu vermitteln:

Zugeben, dass man Angst hat, sich etwas noch nicht zutraut, sei ein mutiger Schritt.

Zur Person:

Christoph Erkert ist Aufbau-Manager im Rahmen des Projekts "Aufholen nach Corona" im Deutschen Turner-Bund.

Freiheit vs Wettkampfformat

Die Freiheit, die Parkour auszeichnet, in ein Wettkampfformat zu pressen, wird von zahlreichen Mitgliedern der freien Szene kritisch beäugt. Dass der Turnweltverband FIG die Sportart vor einiger Zeit unter sein Dach geholt hat und in diesem Jahr in Tokio erstmals eine Weltmeisterschaft ausrichtete, "hat vielen nicht geschmeckt", sagt Erkert. "Sie fühlten sich überrumpelt", hatten den Eindruck, man wolle ihnen etwas "überstülpen". Bei der Umsetzung der Wettkämpfe gebe es noch "Luft nach oben". Teilen der freien Szene falle es schwer sich damit zu identifizieren, da man sich nicht repräsentiert fühlt, auch was die subkulturellen Aspekte der Sportart angeht. 

Der DTB-Mitarbeiter selbst sieht sich mit seiner Stelle im Zwiespalt. Einerseits wisse er die Qualitäten des Vereinssports zu schätzen, begrüßt die niedrigere Hemmschwelle für einen Einstieg, auch weil die Eltern ihre Sprösslinge dort in Obhut wissen. Zudem würden sich unter dem Dach eines Großverbandes wie jenem der Turnerinnen und Turner, der die Aufnahme von Parkour in das olympische Programm anstrebt, neue Türen öffnen.

Andererseits kann Erkert als langjähriger Gefährte die Bedenken der Individualisten nachvollziehen. Sie wollten sich nicht einschränken oder sich gar ihre eigene Sache aus der Hand nehmen lassen. Die beste Reaktion sieht er selbst allerdings darin, "nicht nur Kritik zu üben, sondern den Prozess mitzugestalten". Ansonsten dürfe man sich nicht beschweren, wenn dieser in die falsche Richtung laufe. "Die Expertise liegt in der freien Szene", betont Erkert. Wenn diese nicht bereit sei, bei der Weiterentwicklung mitzuarbeiten, würden dies Leute übernehmen, "die Parkour nur aus Büchern kennen."

Der DTB, der als nationaler Turnverband hierzulande zuständig ist, "ist daran interessiert, die Sportart gemeinsam mit den Spezialisten zu entwickeln." Erkert hofft, dass sich dank dieser Haltung auch die Einstellung bei seinen Mitstreiter*innen auf der Straße verändert. Doch noch tun viele sich schwer, eine Beziehung zum organisierten Sport einzugehen.

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Nationale Qualifikationen

Für die WM etwa standen Deutschland je vier Startplätze bei Männern und Frauen zur Verfügung, doch nur der Stuttgarter Andy Haug sah für sich die lange und teure Reise nach Japan als lohnenswert an. Für die Zukunft würde Erkert sich nationale Qualifikationen wünschen. Doch das vom Turnen geprägte Regelwerk beschwört Diskussionen herauf. Bei einem Salto etwa spiele es beim ursprünglichen Parkour keine Rolle, ob man dabei in der Achse bleibe, wenn man nur sein Ziel erreicht; im FIG-Regelwerk gibt das Abzüge. Das widerspreche dem, wofür Parkour stehe.

Allerdings gleicht es einer besonderen Herausforderung, eine Sportart, die sich über 20 Jahre frei und ohne Normierung entwickeln konnte, in faire, objektive und repräsentative Bewertungskriterien zu übertragen. Er sei der Überzeugung, dass dies am besten gelinge durch Zusammenarbeit von Parkoursportler*innen und Verband. "Ziel muss es sein, ein attraktives nationales Wettkampfsystem zu entwickeln, mit dem sich eine breite Masse identifizieren kann. Hierfür gilt es auch andere Formate, als die der FIG, in Betracht zu ziehen."

Unabhängig von Wettbewerben sieht Erkert vor allem im Breitensport eine Menge Potenzial. Aktionen wie jene bei den Finals in Berlin, wo vor der Turnarena Max-Schmeling-Halle ein Parkour-Bereich zum Schnuppern einlud, lockten zahlreiche Neugierige an, die sich auch nach weiteren Angeboten erkundigten. Wie beim Skateboarden einfach zu einer Anlage zu gehen, um mitzumachen und Kontakte zu knüpfen, sei bei Parkour nicht möglich. Die Hotspots der Szene könnten überall sein. 

Für Eltern stelle der "Schutzraum Verein" ein sehr wichtiges Argument für Parkour in einer festen Struktur dar. Zudem könnte das helfen, weiteren Gruppen den Zugang zu Parkour zu erleichtern - beispielsweise sind Mädchen im Parkour noch unterrepräsentiert. Auch generationsübergreifende oder inklusive Gruppen bieten sich laut Erkert an.

Irgendwann sollte es für jeden aber mal aus der Halle hinaus in die Erlebniswelt Straße gehen. Ob als Vereinsgruppe oder freier Künstler*in – dort warten auf die Parkour-Artist*innen die echten Abenteuer.

Lust auf noch mehr Parkour?

Lesen Sie auch den Artikel "Parkour - Der Sprung über den eigenen Schatten" aus der Ausgabe SPROSSENWAND 02/2021.

Zum Artikel

Weiterlesen?

Noch mehr Ideen, Wissen und Methoden rund um Parkour finden Sie in dem Buch "Parkour - Das große Theorie- und Praxisbuch" des Deutschen Turner-Bundes. Dort finden Sie alles, was Sie als Interessierte*r, als Übungsleitende*r, Lehrerin oder Lehrer oder schon aktive Athletin oder aktiver Athlet suchen.

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AUSGABE  Sportarten 06-2022 | Mehr Sport | Parkour - Erlebniswelt Straße
AUTORIN   Katja Sturm