Neue Kollektion Turn-Team Deutschland | Bildquelle: ERIMA
Einblicke

Sportbekleidung im Wandel

Uniform, von der Stange oder aus dem Katalog

Die Anfrage kam damals "relativ spontan", nur wenige Monate bevor die Welt-Gymnaestrada in Lissabon über die Bühne gehen sollte. Der Deutsche Turner-Bund (DTB) wollte für seine 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer umfassende Delegation bei der internationalen Showveranstaltung eine eigene Kollektion haben.

"Heute wäre das in dieser Kürze der Zeit gar nicht mehr denkbar", sagt Yvonne Hahn, Produktleiterin bei ERIMA. Lieferketten hätten sich verändert. 2003 konnte der Sportbekleidungshersteller aus Pfullingen jedoch noch die notwendige Flexibilität beweisen. Das Engagement sollte der Startschuss für eine mittlerweile 20-jährige erfolgreiche Zusammenarbeit sein.

Sechs verschiedene Kollektionen wurden seitdem kreiert, längst tragen alle DTB-Auswahlen die Produkte, auch die Turn-Teams in den olympischen Sportarten und andere Nationalmannschaften. Wer will, kann sich genauso stylen wie die Vorbilder – ob Vereinsteam oder Individualist*in, die Kleidung ist laut Hahn die gleiche. Nur Beflockung und Logos unterscheiden sich.

(Frauen in Overalls und Pumphosen. Bild: DTB-Archiv)

Die Uniform der Hasenheide

Sportkleidung von der Stange oder aus dem Katalog, das gab es natürlich noch nicht, als Friedrich Ludwig Jahn Anfang des 19. Jahrhunderts mit seinen Freunden auf der Hasenheide mit dem öffentlichen Turnen begann.

Und doch empfahl der Bewegungs-Begründer seinen Jüngern schon damals eine Art Uniform, eine zweckmäßige Kleidung aus grauem, ungebleichtem Leinen, in der dann auch alle, ob jung oder älter, zu den Treffen kamen. Für Frauen schickte es sich in dieser Zeit noch nicht, an den Leibesübungen teilzunehmen. Wenige, aus Adelskreisen, spielten Tennis oder Golf.

Korsett, langer Rock und Absätze

Die Kleidung, die sie im Alltag trugen, eignete sich dafür nicht und wurde doch anfangs verwendet, als die Frauen kurz vor der Jahrhundertwende ebenfalls zu ersten gymnastischen Übungen fanden: Ein Korsett zwängte den Körper ein, langer Rock und Absätze behinderten das Turnen.

Als sich das nach 1900 zu ändern begann, die Kleidung lockerer, die Schuhe flacher wurden, begann sich eine eigene, funktionelle Sportkleidung zu etablieren. Ästhetische Gesichtspunkte blieben dabei außen vor, formlose Leibchen, Overalls und Pumphosen sorgten erst mal nur für mehr Freiheit.

(Turn-Team Deutschland mit dem ehemaligen Sportdirektor Wolfgang Willam. Bild: Picture Alliance)

Wettkampf- vs. Trainingsbekleidung

Heute unterscheidet man Wettkampf- beziehungsweise Trainingsbekleidung wie die enganliegenden Bodys, die die Turnerinnen bei ihren Auftritten tragen, und Teambekleidung wie Trainingsanzüge, Shirts und Shorts. "Das sind zwei Säulen", sagt Hahn. ERIMA ist als Produzent beim DTB für Letzteres zuständig.

Materialien im Wandel der Zeit

Während der Zusammenarbeit habe sich da einiges gewandelt bei Hosen und Jacken. "Anfangs waren es einfach Polyester-Materialien, von der Grammatur her etwas schwerer und mit Standard-Hosenlängen. Was damals eben klassisch war für den Sport", sagt Hahn.

Heute zählen andere Faktoren.

So wurde 2010 erstmals Mechanical Stretch eingesetzt, um die Kleidung elastischer zu gestalten. Haltbarkeit, Belastbarkeit, Waschbarkeit werden schon fast wie selbstverständlich vorausgesetzt, und in jüngster Zeit ist auch immer mehr die Nachhaltigkeit gefragt.

Die neue Kollektion der Teamline "CHANGE by erima" etwa ist laut Hahn zu 100 Prozent aus recyceltem Stoff hergestellt, ein Thema, das in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen werde.

Schwarz, Rot, Gold

Für die Betrachter allerdings spielt das Design die wichtigste Rolle, und da ist nur ein Merkmal gesetzt: Schwarz, Rot und Gold sollen die der Nationalflagge entliehenen Farben sein, in denen die Turnerinnen und Turner gleich auf den ersten Blick als Deutsche zu erkennen sind. Der Fantasie sind ansonsten keine Grenzen gesetzt.

Bei ERIMA kümmern sich kreative Profis um die Gestaltung, "da haben wir die Kompetenz im Haus", sagt Hahn. In insgesamt sechs europäischen Ländern statten die Pfullinger Turnmannschaften aus; ihr Vorteil sei es, dass sie alle Artikel für Herren, Damen und Kinder gleichermaßen anbieten.

Die deutsche Delegation bei der Welt-Gymnaestrada 2007 in Dornbirn.

Modetrends immer im Blick

Modetrends habe man dabei immer im Blick, könne sie aber nicht einfach 1:1 adaptieren, sondern müsse die richtige Balance finden, herausfiltern, was für den Sport geeignet ist. "Es gab schon viel Schnickschnack", an den Motorsport angelehntes Racing-Design oder 3D-Effekte, sagt Hahn. Doch jetzt gerade dominiere wieder die zurückgenommene "cleane" Linie. Mehr Schlichtheit, Klarheit, weniger aufdringliche Grafik.

Auch bei der Passform gab es Entwicklungen. "Wenn man heute die Anzüge von vor 20 Jahren sieht, fragt man sich: Wie konnte das jemand tragen?", sagt Hahn. "Das war quadratisch, praktisch, gut." Auch die kurzen, engen T-Shirts, die zwischenzeitlich "in" waren, würden heute wohl kaum mehr Abnehmer oder Abnehmerinnen finden.

Bei der ersten Gymnaestrada-Kollektion habe man noch nicht alle Teile in Damengrößen gehabt, erzählt Hahn. Heute gebe es speziell angepasste Schnitte, taillierte Jacken, anders geformte Hosen.

"Die Damen legen Wert darauf", so die Fachfrau.

Die perfekte Selbstinszenierung

Von der möglichst perfekten Selbstinszenierung, die man heutzutage mit den Turnanzügen verbindet, ist die Teamausrüstung aber weiterhin weit entfernt. Den Trend dazu gab es schon in den 1970er-Jahren. Vor den Weltmeisterschaften in Warna 1974 etwa vermeldete die Presse, dass die Damenriege des DTB direkt vor dem Abflug nach Bulgarien noch beim Friseur war und alles zusammenpassen musste. Bis hin zum Nagellack, wie Uta Schorn, die erste bundesdeutsche Medaillengewinnerin bei einer Europameisterschaft, den Jülicher Nachrichten berichtete.

Der enganliegende Body hatte sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer weiter herauskristallisiert. Verbesserungen beim Material, aber auch die Idee des frauengemäßen Turnens, dessen Charakter damit unterstrichen wurde, waren die Gründe dafür. Die Fitnesswelle der 1980er-Jahre versetzte dieser Entwicklung einen weiteren Schub in Richtung figurenbetonender Mode und Farbenvielfalt.

Produktion in Nordhessen

Die Turn-Teams entwerfen ihre Turnanzüge heute selbst oder bringen zumindest ihre Ideen dafür ein, sagt Hahn. Die ehemalige Bundestrainerin Ulla Koch und der Bundestrainer Andreas Hirsch hätten sich während ihrer Amtszeiten auch dafür verantwortlich gesehen. Die Produktion dieser Teile der Ausrüstung hat ERIMA mittlerweile komplett an die Nordhessin Steffi Kusemann (Turnanzüge (nicht nur) für die Olympischen Spiele: Sprossenwand (dtb.de)) abgegeben, die das Design zusammen mit den Nationalmannschaften und für individuelle Auftritte auch mit den einzelnen Mitgliedern kreiert. "Uns ist es egal, ob am Ende 150 oder 200 Strasssteine auf einem Anzug sind", sagt Hahn. Solange dieser ins Budget passt. Die ERIMA-Verantwortlichen achteten bei der Endabnahme nur noch darauf, ob die Qualität stimme und die Logos sichtbar sind. Nach den Ganzkörperanzügen, mit denen die Turnerinnen erstmals bei der EM 2021 in Basel auftraten, habe es eine spürbar hohe Nachfrage gegeben, erzählt Hahn.

Wolfram Mannherz ...

... der Inhaber und Geschäftsführer von ERIMA, erinnert sich noch heute gut an den Anruf, der zu Beginn der Partnerschaft mit dem DTB stand.

"Als Teamsport-Spezialist konnten wir damals alle Anforderungen erfüllen und die neu entwickelte Ausstattung planmäßig ausliefern." Seitdem sei die Deutschland-Kollektion, die auch die Sportlerinnen und Sportler des Deutschen Schützenbundes tragen, fester Bestandteil im Sortiment des Unternehmens, das 1900 zum "Verkauf von Turnkleidern" gegründet worden war.

Auch in diesem Jahr, bei der Welt-Gymnaestrada im Sommer in Amsterdam, wird die Delegation ERIMA-Kleidung tragen. "Getreu unserem Firmenmotto ,Gemeinsam gewinnen‘ haben wir mit dem DTB viele Events gestaltet und unzählige Erfolge gefeiert", sagt Mannherz. Sein persönliches Highlight sind die Olympischen Spiele in Rio, die er selbst vor Ort erlebte. "Wir sind stolz, seit 20 Jahren der offizielle Ausrüster des DTB zu sein", so der Inhaber und Geschäftsführer weiter, "und freuen uns auf die nächsten gemeinsamen Jahre."