Lara Baumgartl beim DTB-Pokal 2024 | Foto: Minkusimages
Turn-Team Deutschland

Lara Baumgartl

Von Bayern an den Rand des Erzgebirges

Lara Baumgartl ist eines der großen Talente im deutschen Turnen. Die 14-Jährige aus dem bayerischen Bad Tölz wohnt und trainiert seit vier Jahren am Bundesstützpunkt in Chemnitz. Einmal bei einer Welt- oder Europameisterschaft zu turnen oder gar bei Olympischen Spielen, das war schon immer ihr Traum. Um die eigene Spitzensportkarriere weiter voranzutreiben, traf sie im Alter von nur zehn Jahren eine mutige Entscheidung:

Nach einer Probewoche im viereinhalb Autostunden entfernten Chemnitz beschloss sie, dem Turnen zuliebe an den Nordrand des Erzgebirges zu wechseln. 

Kurze Wege

Rund 26 Stunden pro Woche trainiert sie dort nun, in zwei Einheiten am Tag. Außer mittwochs und samstags. An ihrer alten Trainingsstätte in München kam sie, was das Trainingspensum angeht, gerade einmal auf fünf mal drei Stunden. "Anfangs war ich allerdings nicht so begeistert, weil ich ja so nur wenig zu Hause bin. Aber von mir zur Trainingshalle in München waren es jeden Tag eine ganze Stunde Fahrzeit. Die sind dadurch komplett weggefallen", erklärt sie einen der Vorteile. Statt zwölf Stunden wöchentlichem Zeitverlust im Auto, fallen für den Weg vom Internat bis zur Schule oder in die Trainingshalle gerade einmal fünf bis sieben Minuten Fußweg an.

Der vollgepackte Tagesablauf

Die Umstellung für die junge Turnerin war dennoch groß.

"Um 7:25 Uhr fängt die Schule an, bis 9 Uhr Unterricht, dann von 9:30 bis 11:45 Uhr Training. Mittag gehen wir in die Mensa und essen, um 12:35 Uhr geht die Schule wieder los und wir haben entweder bis 14 oder bis 15 Uhr Unterricht. Um 15:30 Uhr dann wieder Training, bis 18 Uhr", beschreibt sie ihren vollgepackten Tagesablauf.

Manchmal lege danach noch der Physiotherapeut Hand an. "Ohne den könnte ich es mittlerweile auch gar nicht mehr schaffen", sagt sie. Am Ende des Tages stehen bei Bedarf noch Schulaufgaben an, oder eben einfach nur Entspannung.

Aller Anfang ist schwer

"Am Anfang war das alles für mich schon sehr schwer. Ich hatte auch viel Heimweh und habe mir oft überlegt, wieder nach Hause zu gehen. Aber wenn ich zurückgegangen wäre, hätte ich wohl nicht mehr weitergeturnt", ist sie sich sicher. Diese Phase hat Baumgartl aber längst erfolgreich gemeistert. Mittlerweile habe sie nur noch sehr selten Heimweh. "Ein wichtiger Grund sind meine neuen Freunde, die ich jetzt hier habe", sagt sie.

Auch wenn der Teenager die eigene Selbstständigkeit langsam zu genießen beginnt, so hatte das Wohnen in Bad Tölz nach Baumgartls Ansicht auch viele Vorteile.

"Man musste sich nicht um so viele Sachen selbst kümmern. Das Essen war besser und besser war auch, dass man bei seiner Familie war. In Chemnitz bin ich oft auf mich alleine gestellt", sagt sie. Natürlich könne sie auch jetzt jederzeit mit zuhause telefonieren. "Aber es ist doch etwas anderes, wenn man die Familie um sich hat", betont sie. Einen Vorteil dieser Situation hat sie allerdings bereits erkannt: Man lerne eine ganze Menge, wenn man die Dinge selbst anpacken müsse. "Auch wenn das natürlich längst nicht so bequem ist", lacht sie.

Der Wechsel nach Chemnitz

Was Baumgartl die Entscheidung erleichtert hatte, war die Tatsache, dass sie in München nicht mehr viele Optionen hatte. Angela Birck, ihre alte Trainerin, hätte sie noch maximal ein Jahr trainieren können. "Das war halt auch so ein Grund, warum ich wechseln wollte oder musste. Und Julia, ihre Tochter, war auch nach Chemnitz gewechselt", sagt sie. Und auch ihre Münchner Trainingsgefährtin Maya zog es dorthin. "So gab es schon etliche Verbindungen in diese Richtung. Es war irgendwie naheliegend, sich ebenfalls nach Chemnitz zu orientieren", erklärt sie.

In Chemnitz wohnt sie nun zusammen mit Melina Schönheit. Die Wohnsituation im Internat beschreibt sie so: "Meistens teilen sich zwei Personen ein Zimmer und dann noch mit zwei weiteren Personen ein Bad. Im Internat gibt es neun Gruppen, in jeder Gruppe sind so fünf bis sechs Wohngemeinschaften und jede Gruppe hat einen Gruppenraum, da gibt es dann Küche, Fernseher, Sofa und sowas", erklärt sie.

 

Foto: Internatszimmer von Lara und Melina in Chemnitz

Ein Büffet oder Wraps wären toll

Die eigene Küche sei allerdings unter Woche nicht in Betrieb. Denn das eigene Essen selbst zuzubereiten, ist nicht erwünscht. "Wir dürfen nur am Wochenende kochen. Unter der Woche wird uns der Strom für den Herd und die Mikrowelle abgestellt, weil wir in die Mensa gehen sollen", sagt sie. Dort könne man zwar zwischen vier, manchmal sogar fünf Gerichten wählen, aber nicht selten sind Gerichte dabei, die ihr nicht schmecken. Ihre Wahl fällt daher fast immer auf die angebotenen Nudeln. Drei bis viermal die Woche. Dürfte Lara an der Situation etwas ändern, dann würde sie in der Mensa künftig ein Büffet einführen. "Mit Wraps. Weil, die könnte sich jeder dann selbst belegen, mit den Sachen, die er mag", schlägt sie vor.

Baumgartls Mutter Heike bereiteten in den Anfängen ganz andere Dinge Kopfzerbrechen. "Als Lara ins Internat kam, war sie ja erst zehn. Unter der Woche blieb keine oder zumindest nicht viel Zeit, etwas anderes als Turnen und Schule zu machen. Aber am Wochenende sind die Mädchen dort auf sich allein gestellt und sich selbst überlassen. Da macht niemand mit den Kindern irgendetwas", erklärt die Mutter. 

Tauschen würde Lara ihre Spitzensportkarriere nicht. Auch die Entscheidung, nach Chemnitz zu gehen, bereut sie trotz der Herausforderungen nicht. "Man muss das aber alles schon wollen. Man muss bereit sein, dafür Opfer zu bringen. Wenn man im Leistungssport erfolgreich sein will, ist auf eine Sportschule zu gehen, wo alles gut zusammen organisiert ist, so ziemlich der einzige Weg, um erfolgreich zu werden", ist sie überzeugt.

Familiennähe am Wochenende

Mutter Heike versucht derweil, der Tochter ein bisschen mehr Familiennähe zu organisieren. "Wir haben den Vorteil, dass meine Eltern, beziehungsweise Laras Großeltern, nur 110 Kilometer von Chemnitz entfernt wohnen. Daher fahre ich jedes zweite Wochenende dorthin und hole Lara dann zu meinen Eltern. Damit sie wenigstens mal ein bisschen aus dem Internat herauskommt", erklärt sie.

Ein gutes Team: Trainerin Tatjana Bachmayer und Lara Baumgartl

Neue Trainerin Tatjana Bachmayer

Mit ihrer neuen Trainerin Tatjana Bachmayer, mit der sie seit kurzem zusammenarbeitet, kommt Lara sehr gut zurecht. Das spürt auch Mutter Heike.

"Ich glaube, dass es nach den ganzen Erschütterungen in Chemnitz ganz wichtig wäre, wenn in Bezug auf die Trainer mal ein bisschen Kontinuität reinkommt. Die Mädels hatten ja jetzt schon einige Wechsel zu verkraften. Es wäre toll, wenn Taty jetzt einfach länger bleiben könnte. Obwohl sie jetzt noch nicht lang da ist, habe ich das Gefühl, dass sich das wirklich prima entwickelt. Ich glaube, es tut den Mädels und dem Turngeschehen in Chemnitz als Ganzem schon sehr gut, dass sie da ist", findet sie.

Mentale Kraft tanken

Trotz aller Vorteile, die das Internat in Chemnitz für Lara Baumgartl bereithält, zurück nach Bayern kommt sie immer wieder gerne. "Im eigenen Bett schläft es sich eben doch besser", sagt sie und auch ihr sieben Jahre alter Bruder Finn freut sich immer ganz besonders, wenn die erfolgreiche Schwester mal wieder auftaucht. Auch Mutter Baumgartl ist das ganz wichtig. "Einfach, dass man wieder so ein bisschen Familie ist. Dass man zu dritt am Tisch sitzt und sich mal wirklich unterhalten kann, nicht nur übers Telefon. Oder auch mal streiten, das gehört natürlich auch dazu. Oder einfach mal draußen fünf Minuten gemeinsam Trampolin zu springen", erklärt die Mutter.

Foto: Lara und ihr Bruder Finn in ihrer Heimat Bad Tölz

Mentales Krafttanken eben, für den nächsten Einsatz in Chemnitz, dem Basislager zum Gipfel des sportlichen Erfolgs.

AUSGABE         Nachwuchs 02-2024 | Turn-Team Deutschland | Von Bayern an den Rand des Erzgebirges
AUTOR              Nils B. Bohl