Marta Stryhanyuk beim DTL Finale 2023 in Bremen | Foto: Minkusimages
Turn-Team Deutschland

RSG-Talent Marta Stryhanyuk

Training mit großer Höhe

Die Berliner Kuppelhalle ist ein architektonisches Meisterwerk, in dem die Grenzen zwischen Himmel und Erde für manchen Betrachter zu verschwimmen scheinen. Unter dem majestätischen Bogen der Kuppel, aus dem das natürliche Licht durch eine Oberlichtöffnung in 17 Metern Höhe auf die Trainingsszenerie flutet, wirft Marta Stryhanyuk einen Ball in die Höhe, um ihn dann punktgenau wieder zu fangen.

Wieder und wieder.

Geboren in Mainz, zog Marta Stryhanyuk im Alter von drei Jahren 2012 mit ihren Eltern in die sächsische Universitätsstadt Leipzig, weil ihr Vater dort eine feste Stelle bekam. Dort entdeckte sie auch ihre Liebe zur Rhythmischen Sportgymnastik.

Doch aufgrund ihres außergewöhnlichen Talents, fiel es der 15-Jährigen trotz Sportgymnasium bald immer schwerer, an der Turntalent-Schule in Leipzig das aufwändige Trainingsprogramm zu stemmen. "Die Schule ist ja sehr gut. Aber der Weg von der Schule zum Sport ist lang. Wir sind zwar immer mit der Bahn gefahren, brauchten aber dennoch alles zusammen eine halbe Stunde. Hinlaufen, Bahn fahren, schnell umziehen, Sachen vorbereiten, Haare machen", zählt sie auf. 

Teppich ausrollen …
Und dann habe es da noch ein weiteres Problem gegeben. "Unsere Halle in Leipzig ist sehr niedrig und wir haben auch wenig Platz. Deswegen nutzen wir zuerst immer eine Halle nebenan, die eine höhere Decke hat. Das bedeutet dann noch ein weiteres Mal Laufzeit. Einmal angekommen, müssen wir als Erstes den Teppich ausrollen", erklärt sie. Das koste wertvolle Zeit. "Und dann müssen wir uns sehr schnell erwärmen, da wir, wenn ich mich richtig erinnere, die Halle nur von 15:45 Uhr bis 17:15 Uhr haben. Das bedeutet, in nur anderthalb Stunden müssen wir alle Übungen mit den Geräten schaffen, die wir nur dort werfen können", sagt sie.

… Teppich wieder einrollen
Danach müsse der Teppich schnell wieder eingerollt werden, umgezogen und wieder zurück in die Halle mit niedrigerer Deckenhöhe marschiert werden. "Wenn man dort ankommt, ist man halt schon nicht mehr richtig warm. Man kommt in dieser Situation nie wirklich ins Training", findet sie.

Leipzig - Berlin

Marta Stryhanyuks Lösung lautete irgendwann: Auf zum Bundesstützpunkt nach Berlin! Auf Einladung der beiden Trainerinnen Dr. Katja Kleinveldt und Angela Lepekha. Denn dort sei alles anders. "Die Halle ist sehr hoch. Es gibt auch viel Platz, die Trainingsbedingungen sind besser, man kann sich ordentlich erwärmen. Dort muss auch nicht alles 'schnell-schnell…', gehen. Nicht, dass in Leipzig alle wollten, dass wir alles ganz schnell machen. Aber es war und ist eben so, was die Bedingungen angeht", sagt sie. Vom ersten Moment an habe es ihr in Berlin gefallen. "Am Anfang bin ich noch immer hin und her gefahren, Leipzig, Berlin. Meistens für die Wochenenden, also Freitagabend bis Samstag", erzählt sie. 

Gerne hätte sie dort auch einen Platz in einem Sportinternat gehabt. "Aber es gibt keine Plätze oder das Internat ist eben nur für Fußballer", sagt sie frustriert. Irgendwann sei ihnen gesagt worden, als es auch um die JEM-Qualifikationen ging, es gebe zufällig die Möglichkeit, eine Wohnung zur Verfügung zu stellen, die sie mit ihrer Mutter gemeinsam nutzen könnte. "Also nutzen wir jetzt diese Wohnung. Die ist allerdings nicht kostenlos, betont sie und ist nicht zuletzt deswegen ihren Eltern für die große Unterstützung dankbar, die sie permanent erfährt: Sie unterstützen mich wirklich überall. Sie haben gesagt, wenn du das willst und wenn du das mit der Schule online schaffst, dann ja", fügt sie hinzu.

Online Schule kein Gegner

Die Schule online ist für Marta Stryhanyuk kein Gegner. "Allein lernen ist für mich nicht unbedingt schwer", findet sie. Der einzige Nachteil dabei sei, dass sie keinen Lehrer habe, bei dem sie direkt nachfragen könne. "Vor allem wenn ich etwas nicht ganz genau verstehe. Weil ein Lehrer erklärt das eben noch einmal ganz anders. Und er hat natürlich auch seine Vorstellungen und Erwartungen, wie wir das lösen sollen", sagt sie und fügt hinzu: "Ich komme aber bis jetzt dennoch gut voran. Insbesondere Biologie und Geschichte finde ich besonders spannend", sagte sie. Aber auch Mathe mag die Tochter eines Physikers natürlich, später einmal würde sie gerne Medizin studieren. Nur mit Deutsch hatte Marta am Anfang ein bisschen Probleme. Und das, obwohl sie ein perfektes und akzentfreies Deutsch spricht. "Deutsch ist ja nicht meine Muttersprache. Und deswegen war es für mich schwer, insbesondere, wenn es ums Schreiben geht. Ich musste da erst mal reinkommen, was die Erwartungen der Lehrer sind. Für mich waren meine Texte gut, sogar sehr gut, aber die Lehrer wollten wohl etwas anderes", lacht sie.

Die Liebe für den Sport

Marta Stryhanyuk liebt ihren Sport und sie hat, trotz aller zu erbringender persönlicher Opfer und des überaus zeitaufwändigen Trainings, weiterhin großen Spaß dabei. "Deswegen mache ich es. Wenn es mir keinen Spaß machen würde, würde ich, glaube ich, gar nicht RSG machen", betont sie. Auch ihre Eltern seien alles andere als die berüchtigten "Eislaufeltern", die sie selbst schon hin und wieder am Rande einer Trainingshalle erlebt hat. "Meine Eltern zwingen mich nicht. Sie fragen mich sogar regelmäßig, ob es mir noch gefällt", verrät Marta Stryhanyuk. Als sie noch in Leipzig trainiert habe, habe es anfangs noch viele Mädchen in ihrem Jahrgang gegeben. Aber die hätten irgendwann alle aufgehört. "Vorrangig, weil sie sich mehr auf Schule konzentrieren wollten", ist sie überzeugt.

Angekommen in der Hauptstadt

Mittlerweile ist Marta Stryhanyuk in der Hauptstadt angekommen. Und obwohl sie noch gar nicht so viele Dinge dort gesehen hat, gibt es schon Einiges, dass sie dort lieben gelernt hat. "Die Trainingsbedingungen auf jeden Fall. Ich mag meine Trainingskameradinnen, wir sind alle gut befreundet. Alle sind sehr nett hier. Alle Mädchen, alle Trainerinnen, die Lehrer", erklärt sie. Auch sei Berlin als Stadt ganz anders als Leipzig. "Leipzig ist eher eine kleinere Stadt. Da ist alles kompakter. Da ist das Zentrum gleich nebenan. Man braucht nicht so lange, um von Punkt A nach Punkt B zu kommen. Alles ist gefühlt nebenan. Berlin dagegen ist eine ganz große Stadt. Eine riesige Stadt im Vergleich zu Leipzig. Da muss man sich erst einmal zurechtfinden", weiß sie.

Die altehrwürdige Kuppelhalle in Berlin

Siegerehrung 2024: 1. TSV Bayer 04 Leverkusen, 2. Bundesstützpunkt RSG Berlin (v.l. Neele Arndt, Eleni Gagas Obiol und Marta Stryhanyuk), 3. DTB-Turnzentrum Ludwigshafen-Oppau

Training in der geschichtsträchtigen Kuppelhalle

An die besondere Atmosphäre der altehrwürdigen Kuppelhalle mit ihrer geschichtsträchtigen Vergangenheit hat sie sich dagegen schnell gewöhnt.

Das in Sichtbeton 1936 fertiggestellte Gebäude des Architekten Werner March gehört zu den architektonischen Höhepunkten im Ensemble des denkmalgeschützten Deutschen Sportforums, dessen Planung und Ausführung auf die 20er Jahre zurückgeht. Die Kuppelhalle war Bestandteil des olympischen Bauprogramms von 1936 und wurde in das zum Gebäudeensemble gehörende Haus des Deutschen Sports integriert. Bei den Olympischen Spielen 1936 war sie Austragungsort der olympischen Fechtwettkämpfe, wurde in den letzten Kriegsjahren zum Fernsehstudio umfunktioniert und nach Kriegsende von den Briten genutzt. Eine perfekte Kulisse für den Weg zu den Olympischen Spielen.

Für Marta Stryhanyuk ist das alles nichts Besonderes mehr. Einfach Alltag eben. "Aber als ich das erste Mal in Berlin war, war ich schon sehr erstaunt, wie hoch diese Halle mit ihrer riesigen Kuppel ist. Ich war nicht an solche Hallen gewöhnt", erinnert sie sich noch sehr gut an ihre eigenen Eindrücke.

Sehnsucht nach der Familie

Trotz perfekter Trainingsbedingungen und aller Vorteile, die sie am Bundesstützpunkt in Berlin genießt, es gibt Dinge, die Marta Stryhanyuk auch dort sehr vermisst. Die Familie in der Ukraine zum Beispiel. "Ich denke die ganze Zeit an meine Großeltern und an meine Familie, die in der Ukraine ist. Die ersten Tage, die ersten Monate nach Kriegsbeginn, habe ich die ganze Zeit darüber nachgedacht. Man hat Nachrichten gesehen, man hat die ganze Zeit gehofft, vielleicht ist nächste Woche Schluss, in einem Monat, in einem Jahr. Oder wenigstens bald", sagt sie. Jeden Tag versuchen die Eltern dort anzurufen. "Und wenn sie nicht rangehen, dann haben wir gleich Angst, dass vielleicht etwas passiert ist. Es ist schwer, damit zu leben. Besonders die ersten Tage, als das alles begonnen hat, waren schrecklich. Man konnte sich das zuerst gar nicht vorstellen. Die ganze Zeit gibt es Luftalarm. Obwohl unsere Verwandten im eher ruhigen westlichen Teil wohnen, kann man da kaum von Ruhe sprechen", erzählt sie.

Liebe auf den ersten Blick

Ihr größter Trost ist dabei Tara. "Tara ist meine Katze", erzählt sie. Der British-Kurzhaar Stubentiger habe verschiedene Farben. Die Hauptfarbe sei braun-beige und dann habe sie aber noch so ein graues Muster. Und ihre Pfoten seien nicht rosa, sondern schwarz. Tara habe sie von Verwandten in Jena bekommen. "Das war Liebe auf den ersten Blick", sagt sie. Und irgendwann, hofft Marta Stryhanyuk, wird sie auch wieder mehr Zeit für Tara finden.

Martas Trainings-Alltag

"Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, wenn ich immer Frühtraining habe, da stehe ich so 6:15 Uhr auf. Kann auch mal 6:30 Uhr sein, wenn ich länger schlafen will. Aber meistens so 6:15 Uhr. 7:25 Uhr fahre ich dann zum Training und habe 8 Uhr Trainingsbeginn.

Da haben wir immer von 8 Uhr bis 8:45 Uhr Ballett. Danach erwärmen wir uns. Also was wir noch brauchen: Durchhängen, Spreizen, Sprünge, Vorbereitungen, Elemente. Und dann nehmen wir unsere Geräte und machen unsere Übungen. Das geht so bis 11:30 Uhr auf jeden Fall.

Dann habe ich Pause und ich gehe Mittagessen.

Danach mache ich Onlineschule. Das bedeutet, ich kriege alle Aufgaben von meinen Freunden in der Schule zugesendet. Natürlich kriege ich auch von den Lehrern etwas, wie Aufgabenstellungen, die ich dann auf Note abgeben muss. Oder Powerpoint-Präsentationen. Das ist immer unterschiedlich. Aber meistens bekomme ich von meinen Freunden etwas, was sie halt im Unterricht so gemacht haben. Und damit beschäftige ich mich dann bis 15:00 Uhr.

15:30 Uhr habe ich wieder Training. Meistens ist es so, dass wenn wir schon früh gesprungen sind, wir es abends ohne Sprünge machen. Da machen wir die restlichen Geräte, die wir vorher noch nicht gemacht haben. Das zweite Training geht bis 19:15 Uhr. Es kann aber auch vielleicht ein bisschen länger gehen. Und dann bin ich so gegen 20:00 Uhr zu Hause. Ich esse etwas, mache noch etwas für die Schule, falls noch etwas zu tun ist. Und dann, um 22:00 Uhr, bin ich spätestens bei mir im Bett. Wenn ich es schaffe."

Marta bei einer Übung mit dem Band | Foto: Patrick Höpner
Marta bei einer Übung mit dem Ball | Foto: Patrick Höpner
Marta bei einer Übung mit den Keulen | Foto: Patrick Höpner
Marta bei einer Übung mit dem Band | Foto: Patrick Höpner

AUSGABE         Nachwuchs 02-2024 | Turn-Team Deutschland | Training mit großer Höhe
AUTOR              Nils B. Bohl