Oksana Chusovitina beim Weltcup Cottbus 2023 | Bildquelle: Minkusimages
Turn-Team Deutschland

Oksana Chusovitina

Medaillen für vier Nationen

Sie hatte es nicht lange ausgehalten. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio verabschiedete sich Oksana Chusovitina unter Tränen aus dem Wettkampfsport, wenige Wochen später stand sie bereits wieder im Training auf der Matte. Sie wolle sich, hatte die in Japan bereits im Vorkampf ausgeschiedene Gerätturnerin damals verkündet, mit einer letzten Medaille von der internationalen Bühne zurückziehen.

Angepeilt waren dafür die Asienspiele 2022.

Nachdem diese pandemiebedingt ausfielen, strebt die gebürtige Usbekin jetzt 2024 in Paris ihre neunten Olympischen Spiele an. Mit dann 49 Jahren.

Phänomen Chusovitina

Chusovitina gilt als Phänomen in einem Sport, in dem, auch wenn sich das Durchschnittsalter in den vergangenen Jahren nach oben verschoben hat, der größere Teil der Topathletinnen halb so alt ist wie sie selbst. Die nur 1,53 Meter große Akrobatin hat sich ihren drahtigen Körper bewahrt, ringt ihm am Sprung noch immer Elemente ab, mit denen sie auf höchstem Niveau konkurrenzfähig ist. Mit denen sie bei Weltcups weiterhin Medaillen sammelt und die ihr die Chancen eröffnen, ihren finalen Traum an den Geräten zu verwirklichen.

Olympische Spiele Paris 2024?

Für die Weltmeisterschaften im Herbst in Antwerpen ist die Goldmedaillengewinnerin von 2003 an ihrem Paradegerät bereits qualifiziert. Die Möglichkeit, sich für die Titelkämpfe in Belgien auch im Mehrkampf zu empfehlen, hat sie bei den Asienmeisterschaften Mitte Juni in Singapur um zwei Plätze verpasst. Dennoch könnte Chusovitina auch allein über ein Top-Resultat am Sprung ein Ticket für die Reise nach Frankreich lösen; sie müsste dafür am Ende die Beste unter den noch nicht anderweitig qualifizierten Starterinnen sein.

Goldmedaille am Sprung WM 2003 Anaheim, Kalifornien

Silbermedaille für Oksana Chusovitina am Sprung bei ihren 7. Olympischen Spielen 2008 in Peking. Bild: Picture Alliance

1992: Olympisches Teamgold für GUS

So oder so weist die Dauerbrennerin die Rekordzahl an Olympiateilnahmen in ihrer Sportart auf. 1992 in Barcelona hat die in Buxoro an der alten Seidenstraße geborene Akrobatin ihre ersten Spiele erlebt, als Mitglied der Mannschaft der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS), die damals Teamgold gewann. Die harte sowjetische Schule zahlt sich bis heute für die Boden-Weltmeisterin von 1991 aus; dazu lebt Chusovitina längst von der Routine einer erfahrenen Athletin, die nur noch abruft, was sie früher unzählige Male übte und optimierte. Die ganz genau weiß, was ihr Körper braucht, und ihm nicht mehr als das Nötige zumutet.

2008: Olympisches Silber für Deutschland

2008 in Peking gewann sie ihre erste und bis heute einzige olympische Einzelmedaille. Das silberne Edelmetall am Sprung sicherte sich Chusovitina unter der deutschen Fahne.

Sechs Jahre zuvor hatte sie ihr Weg von der eigenen Heimat nach Köln geführt. Ihr 1999 geborener Sohn Alisher war an Leukämie erkrankt. In Moskau hätte sie sich die Behandlung nicht leisten können. In Deutschland griff man der Bundesligaturnerin unter die Arme. Mittels Preisgeldern und Spenden ließen sich die Krankenhausrechnungen in der Uni-Klinik der Domstadt bezahlen.
 

Oksana Chusovitina mit ihren Teamkolleginnen Elisabeth Seitz und Kim Bui

Sieben internationale Medaillen für Deutschland

2006 wurde Chusovitina deutsche Staatsbürgerin und ging von da an für den Deutschen Turner-Bund (DTB) an die Geräte. Noch im gleichen Jahr bedankte sie sich mit einem ersten Podestplatz, wurde Dritte am Sprung bei den Weltmeisterschaften im dänischen Aarhus und bescherte ihrer neuen sportlichen Heimat zwei Jahren später im französischen Clermont-Ferrand den ersten EM-Titel überhaupt.

"Sie hat sieben internationale Medaillen für uns gewonnen", resümiert heute die damalige DTB-Teamchefin Ulla Koch. Chusovitina führte die deutsche Riege zu den Spielen 2008 in China und 2012 in London. "Sie ist so wichtig für die Mannschaft", sagte Koch einmal. Der "Herzenswunsch", zusammen mit ihren Teamkolleginnen den Einzug ins Mannschaftsfinale zu schaffen, blieb der zurückhaltenden Leistungsträgerin allerdings versagt.

Eine Verletzungskrise konnte die widerstandsfähige Athletin nicht bremsen

Im Herbst 2008 riss die Achillessehne, kurz darauf verlängerte eine weitere Sehnenruptur im Bizeps die Zwangspause. Gedanken ans Aufhören hegte sie auch damals nicht, als sie bereits schmerzhaft das Alter spürte. Das Turnen hatte ihr so viel gegeben, sie abgelenkt von den schweren Stunden mit dem Sohn im Krankenhaus, ihr Kraft vermittelt, um ihm Energie zu spenden. Doch auch heute hängt sie weiter an ihrer Leidenschaft. Auch nach elf WM- und sechs EM-Medaillen lässt der Ehrgeiz der Erfinderin nicht nach, nach der in den internationalen Wertungsvorschriften fünf Elemente benannt sind, darunter der Überschlag mit Strecksalto und eineinhalbfacher Schraube, der sie seit Jahren auszeichnet.

Medaillen für Usbekistan

Seit 2013 startet Chusovitina, die Koch einmal als "ein Wunder" bezeichnete, wieder für Usbekistan, wo sie in Taschkent zusammen mit ihrem Ehemann, dem früheren Ringer Bachodir Kurpanow, eine eigene Turnschule führt, eine weitere in ihrer eigenen Geburtsstadt eröffnen will und wo ihr eine Briefmarke gewidmet ist. Bei ihrem Comeback 2022 sicherte sie sich auf Anhieb Weltcup-Gold in Doha. Allein in diesem Jahr beeindruckte sie schon wieder mit drei Medaillen in der Serie, darunter einer bronzenen beim Turnier der Meister in Cottbus. In der Lausitz hatte 1989 die internationale Karriere der  Ausnahmesportlerin begonnen, 17 Mal war sie allein dort erfolgreich.

Schon mehrmals hatte sie zwischenzeitlich ihren Abgang verkündet und die Entscheidung später wieder zurückgenommen. "Ich habe einfach Spaß und liebe diesen Sport", erklärt sie die Schwankungen. Zudem braucht sie nichts mehr zu beweisen, hat schon so außerordentlich viel erreicht, kann alles ganz entspannt angehen.

Ich muss nicht mehr, aber ich kann.