Jens Milbradt | Bildquelle: Tilo Wiedensohler
Turn-Team Deutschland

Jens Milbradt

Lehrjahre sind keine Herrenjahre

Sein Vater, erzählt Jens Milbradt, sei nicht unbedingt dafür gewesen, dass er die Trainerlaufbahn einschlage. "Der hätte lieber was anderes bei mir gesehen. Journalismus hätte er sich schon vorstellen können. Oder irgendwas mit Sport, aber nicht unbedingt Trainer", erinnert sich Milbradt. Doch der Sohn des ehemaligen Bundestrainers Klaus Milbradt wollte in die Fußstapfen seines Vaters treten.

Heute ist er als Bundestrainer Nachwuchs vom Talent- bis zum Perspektivkader 2 dafür verantwortlich, die Talente an die großen Aufgaben heranzuführen.

Studium der Sportwissenschaften an der Humboldt Universität in Berlin

... und Honorartrainer am Bundesstützpunkt

Mit dem Ende seiner sportlichen Laufbahn mit Teilnahme an Welt- und Europameisterschaften, begann Milbradt 1995 mit seinem Studium der Sportwissenschaften an der Humboldt Universität in Berlin. Zeitgleich nahm er noch eine Stelle als Honorartrainer am dortigen Bundesstützpunkt an. 

Das waren viereinhalb stressige Jahre.

Aber er habe sein Studium möglichst schnell absolvieren wollen. "Es war eine echte Doppelbelastung, eine harte Zeit", räumt er ein. Seine Arbeitstage damals hätten um 7:30 Uhr begonnen und um 19:30 Uhr geendet. "Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Es wäre schön, wenn das heute an vielen Stellen auch noch so wäre."

Heutzutage wollten aber alle einen fließenden Übergang haben. Als Sportler gut Geld verdienen und dann solle auch der Berufsweg am besten schon direkt nach dem Karriereende voll durchfinanziert sein. "Diese Situation gab es bei mir nicht. Und ich muss sagen, es war so eine sehr lehrreiche Zeit, die ich nicht missen möchte".
 

Junioren-Nationaltrainer und Stützpunktleiter in Berlin

Ab dem Jahr 2000 startete der frisch diplomierte Milbradt mit einer Festanstellung am Berliner Stützpunkt. "Ich habe mich dort vornehmlich um den Juniorenbereich gekümmert", sagt er.

Bald hatte er seine ersten Turner bei den deutschen Juniorenmeisterschaften am Start. Knapp drei Jahre später nahm er zusätzlich die Position des Junioren-Nationaltrainers an, die er mit dem Mannschaftstitel bei den Europameisterschaften im griechischen Volos krönte. Milbradt erinnert sich:

Das war eine sehr erfolgreiche Zeit. Von der Belastung wieder sehr hoch, aber dennoch sehr schön.

Mitte 2007 wurde er dann zum Stützpunktleiter in Berlin ernannt und kümmerte sich vornehmlich um die Belange der Senioren. "Das war eine nicht ganz so erfolgreiche Zeit. Ich hatte zwar schon das Gefühl, dass wir unsere Jungs dort entwickelt haben.
Aber mit Philipp Boy, Fabian Hambüchen und Marcel Nguyen hatten wir in Deutschland auch eine extrem starke Leistungssituation. Und an denen bist du nicht so einfach vorbeigekommen. Das war mitunter sehr frustrierend", räumt er ein.

Schritt zurück zu den Wurzeln

Am wohlsten fühlt sich der 52-Jährige nach wie vor im Junioren- und Nachwuchsbereich. "Deswegen war ich auch sehr froh, als ich 2013 vom DTB gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, die Position des Bundestrainers Nachwuchs zu bekleiden", sagt er. Milbradt entschied sich sofort für den Schritt zurück zu den Wurzeln.

Auf der Suche des Verbands nach einem Nachfolger für Cheftrainer Andreas Hirsch sei auch er gefragt worden, verrät Milbradt. Die Hand hat er dennoch nicht gehoben. "Im Alter von 50 Jahren ist man, glaube ich, schon in der Lage, seine Stärken und Defizite richtig zu beschreiben", glaubt er. Und seine eigenen Stärken lägen nun einmal explizit im Aufbau von Nachwuchsturnern und nicht unbedingt in der Optimierung von Seniorenturnern.

"Und deswegen habe ich da, hoffe ich zumindest, für mich die richtige Entscheidung getroffen". Dass man als Turnnation und größter Turnverband der Welt, trotz großer Bemühungen, allerdings nach eineinhalb Jahren noch immer auf der Suche nach einem Cheftrainer sei, sieht Milbradt als bedauerlich an. Mit dem Aufwand, den man als Bundestrainer betreiben müsse, könne man diesen Beruf allerdings auch nur aus Spaß und Berufung machen. Er blickt dabei auf seinen eigenen Jahresplan:

Immerhin bin ich 2022 rund 150 Tage unterwegs.

Die Arbeit mit Turnern und Trainern ist es, die er an seinem Beruf am meisten liebt. In der Halle, aber auch außerhalb. "Der enge Kontakt mit Turnern und Trainern. Und die Entwicklung von beiden", sagte er.

Auf die Bürokratie dagegen würde er gerne verzichten, die habe immer mehr zugenommen. "Das ist ein Teil der Arbeit, den man auch machen muss. Vergnügungssteuerpflichtig ist der allerdings sicher nicht", sagt er mit einem Grinsen.

Den Kulturwandel, der in Deutschland stattfindet, hat aber auch Milbradt wahrgenommen. "Ich bin ein Kind des DDR-Systems. Da war relativ klar, der Trainer und die sportliche Leistung geben die Situation vor. Da wurde geplant und relativ wenig besprochen. Denn es war klar, was der Trainer und die Verantwortlichen machen, wird gemacht", erinnert er sich. 

Diese "einfache Situation" habe sich in den vergangenen Jahrzehnten, besonders in den vergangenen Jahren, extrem verändert. "Wenn es uns nicht gelingt, die jungen Turner auf unserem Weg mitzunehmen, dann haben wir so gut wie keine Chance mehr", prophezeit er. Es benötige heute viel mehr Gespräche als früher. "Das ist zwar extrem spannend, aber auch extrem aufreibend", erklärt Milbradt. Turner müssten heute von ihrem Glück überzeugt werden. "Wir müssen ihnen zeigen, welche Möglichkeiten erfolgreiche Sportler in unserem Land haben. Das wird heute oft gar nicht mehr richtig wahrgenommen", bedauert er.

Seine Berufswahl hat er jedoch nie bereut. "Ich würde nach wie vor den Trainerberuf als Traumberuf sehen", sagt er. Er selbst sei jedenfalls nach wie vor Feuer und Flamme. Auch einem jungen Nachwuchstrainer würde er nicht abraten, den Schritt zur Trainerkarriere zu wagen. "Ich würde ihm aber raten, so viel Aus- und Weiterbildung wie möglich zu machen. Mache so viele Erfahrungen auf so vielen Positionen in so vielen Zentren wie du kannst, damit du dann auch deinen eigenen Weg beschreiten kannst", sagt er. Viele Coaches seien heute der Meinung, eine A- oder B-Lizenz sei ausreichend, um das ganze Leben als Trainer damit zu bestreiten. Milbradt sieht das nicht so. "Ich glaube, wir müssen alle immer und immer wieder neu dazulernen", betont er.

Deswegen würde auch er als gestandener Trainer sofort zugreifen, wenn sich ihm einmal die Gelegenheit bieten würde, bei einer völlig anderen Sportart zu hospitieren. Es sei enorm wichtig für einen Trainer, immer wieder über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. "Eine Woche bei einem Top-Club in der Fußball-Bundesliga, das fände ich schon sehr spannend", sagt der FC-Bayern-Sympathisant aus Berlin. Vielleicht dringt Milbradts Anliegen ja irgendwann bis an die Säbener Straße vor.

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