Künstliche Intelligenz | Bildquelle: Steffen Eislöffel
Turn-Team Deutschland

Künstliche Intelligenz im Sport

Mit Luthers Grundlagen zum Quantensprung im Trampolinturnen

Angefangen hat alles, da ist sich Trampolintrainer Steffen Eislöffel sicher, mit Luther. Freilich nicht mit dem Augustinermönch und Theologieprofessor Martin Luther aus Eisleben, der als großer Reformator in die Geschichte einging. Vielmehr war es Hans-Martin Luther, seinerzeit Eislöffels Trainer, der schon vor mehr als 20 Jahren anfing, sich mit den Möglichkeiten der Videotechnik im Trampolinturnen auseinanderzusetzen.

Im Hauptberuf Entwicklungsingenieur bei Opel, versuchte der begeisterte Tüftler aus dem Taunus seine Fähigkeiten in der Photogrammetrie auch in den Dienst des Trampolintrainings zu stellen. Luther erklärte:

Da werden aufgeklebte Punkte in Digitalfotos analysiert. Wenn sie das Objekt frontal fotografieren, gibt es einen Kreis. Wenn es ein kleiner Winkel ist, gibt es eine Ellipse. Da kann man Veränderungen messen, das geht ins Hundertstel.

Gesehen hat Luther das neue System noch nicht. Wie es funktioniert, weiß er allerdings bereits.

Die arbeiten nur noch mit dem Schatten, der Silhouette.

Ein bisschen videoverliebt sei er schon immer gewesen, sagt er. Das sei auch heute noch so. Also habe er natürlich versucht, seine große S-VHS-Kamera irgendwie für das Trampolinturnen zu nutzen.

"Der hat schon damals versucht, solche Sachen zu machen. Er war ein Videofreak und hatte einen Riesenspaß daran", erinnert sich Eislöffel.

Hochauflösende Kameras

Die Kameras liegen bereit für die Installation.

Von den technischen Möglichkeiten der acht hochauflösenden Kameras, die die Firma Simi Reality Motion Systems als Partner des Deutschen Turner-Bunds in Bad Kreuznach in der Trainingshalle installiert hat, konnte er damals freilich nur träumen. Sie zeichnen ein dreidimensionales Bild der Athletin bzw. des Athleten und ihrer/seiner Sprünge auf, liefern viele Ansatzpunkte für Verbesserungen.

"Es gibt viele Details, die man von der Seite nicht sieht. Die Beinhaltung, die Armhaltung", erklärt Eislöffel. Es komme sogar vor, dass der Athlet behauptet, etwas fühle sich verdreht an. "Und dass, obwohl der Trainer es gar nicht sehen kann." Auch hier liefert die Technik hilfreiche Hinweise. "Ich habe nun plötzlich Einblicke, die ich vorher gar nicht hatte", zeigt sich der Trampolin-Coach begeistert. Denn manche Dinge fühlten sich für den Athleten richtig an, obwohl sie das gar nicht seien. "Das liegt daran, dass er es sein Leben lang schon so macht. Nur eben falsch. Für ihn ist es normal, das Analyse-Tool zeigt uns aber, wie es eigentlich am besten sein müsste."

Ein Quantensprung

Noch vor drei oder vier Jahren benötigte es dafür einen Anzug, in dem der gesamte Mensch mit Sensoren zugepflastert war. Später wanderten die Messpunkte in den Anzug selbst hinein. "Aber schon da hat man versucht, herauszufinden, welche Technik Athleten bei Schrauben anwenden", erinnert sich Eislöffel.
 

"Ich kann mich noch an sehr grobe Aufnahmen erinnern, die uns damals schon fasziniert haben. Aber wenn ich mir heute anschaue, dass die Technik die Gliedmaßen erkennt, verfolgen kann und dabei zum Beispiel sieht, ob sie perfekt am Körper angelegt sind, dann ist das schon ein Quantensprung."

Sensoren sind Geschichte

Die Sensoren braucht es nun nicht mehr. Insgesamt acht hochauflösende Industriekameras liefern perfekt synchronisierte 100 Bilder pro Sekunde.
"Das Fernziel ist, dass es eine oder zwei Kameras sind, die das Ganze erfassen können. So wie im Moment, ist das System noch viel zu komplex und aufwändig. Es ist eben ein Lernprozess", sagt Eislöffel. Ein hocheffizientes System bereitet mit Hilfe von Algorithmen dann die gewaltigen Datenmengen zu einem für Trainer*innen und Athlet*innen aussagekräftigen Bild auf. Wie bei jedem Anfang barg auch dieser Prozess zu Beginn große Mühen in sich.

"Die Anlage wurde letztes Jahr im Oktober eingebaut. Seitdem haben wir jede Menge Athletinnen und Athleten aufgenommen. Gute Athletinnen und Athleten, aber auch weniger gute. Damit die künstliche Intelligenz erst einmal lernt, was denn überhaupt Übungsteile sind. Dabei laufen unfassbar viele Daten auf", erzählt Eislöffel. Doch nicht nur die Algorithmen lernen immer weiter dazu, auch der Trainer kann die Daten zunehmend besser interpretieren.

"Mittlerweile erkenne ich an der Matrix sogar den Sprungstil. Ich kann sagen, das ist dieser oder jener Trampoliner", sagt er.

Die Athletinnen und Athleten selbst betrachteten das Gerät nicht von Beginn an als unkritisch. "Am Anfang ging es uns darum, Höhe zu messen oder wie weit wir während einer Übung im Tuch wandern. Da gab es schon den ein oder anderen Athleten, der gedacht oder gesagt hat, oh, wir werden jetzt überwacht und alles wird gespeichert", blickt Eislöffel zurück und lacht. "Mittlerweile ist es so, wenn ich ihnen die Maschine nicht anmache, da fehlt ihnen schon etwas. Denn die Athletinnen und Athleten können sich damit ja auch selbst kontrollieren", erklärt er. Und sie erhielten eben eine sehr schnelle Antwort auf die Fragen "Gut oder nicht so gut?" oder "Was war das, dass ich da gemerkt habe?". Und das allein macht aus Sicht des Trainers "schon sehr viel aus" in Richtung sportlichem Fortschritt.

Aktive Hilfeleistung ... kann die Maschine nicht leisten.

Dass die intelligenten Geräte irgendwann einmal Kampfrichter*innen oder Trainer*innen selbst ersetzen könnten, daran glaubt Eislöffel allerdings nicht. "Es geht bei uns gerade um haltungsspezifische Sachen. Damit genau das in der Zukunft objektiver werden kann. Das betrifft ja nicht nur uns, sondern viele Sportarten, wo eine solche Technik das unterstützen könnte. Da spreche ich aber noch nicht davon, dass der Kampfrichter ganz abgelöst wird", sagt er.

Denn zum einen hat die Technik selbst heute noch ihre Schwächen. "Das Zuordnen der hochkomplexen Übungsteile ist noch nicht wettkampfreif", weiß Eislöffel. Zum anderen kann ein Computer auch nicht eingreifen, wenn etwa ein Sprung außer Kontrolle gerät. "Wir machen aktive Hilfeleistung. Und das kann eine Maschine nicht leisten. Ich glaube daher nicht, dass sie irgendwann einmal einen Trainer ersetzen kann", hält der 53-Jährige diese Sorge für unbegründet.  
 

Zumal eine künstliche Intelligenz bei aller Rechenpower das größte Merkmal eines guten Coaches wohl niemals wird aufweisen können:

  • Das geschulte Auge,
  • das feine Bauchgefühl,
  • die hochsensiblen Antennen, die ihm sagen, wie es dem Athleten geht und wie dessen derzeitige Befindlichkeit ist.

"Ich glaube aber, dass ihn im Highend-Bereich das Video-Feedback perfekt unterstützen kann", sagt er. "Wenn die künstliche Intelligenz in Zukunft zum Beispiel den perfekten Sprung in Echtzeit hinter das reale Bild legen könnte, dann wäre das ein großartiges Hilfsmittel", ist er überzeugt. 

Und das würde dann auch die Visionen von Hans-Martin Luther Wirklichkeit werden lassen. "Es ist wirklich spannend. Schon toll, was man mit Digitaltechnik so alles machen kann", findet auch der Vorreiter aus den Achtzigern. Sein früherer Schützling Eislöffel darf sich nun auf einen baldigen Besuch seines ehemaligen Trainers im Bundesstützpunkt Bad Kreuznach freuen. "Das werde ich mir auf jeden Fall anschauen", verspricht er.