Gemeinschaftsfoto beim Banquett in Trainingshalle Aserbaidschan | Bildquelle: Privat | Bildquelle: Privat
Turn-Team Deutschland

Fit oder nicht fit

Der Gymnastinnen Kern

In der Wettkampfvorbereitung sind sie es, die für bewegliche und geschmeidige Muskeln sorgen. Geht es um entscheidende Punkte, kümmern sie sich darum, dass auch alles locker bleibt. Und ist die Pflicht einmal getan, beheben sie alle möglichen kleineren und größeren Blessuren, damit die Athletinnen und Athleten schnell und schmerzfrei wieder startbereit sind: die Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten in den Teams des Deutschen Turner-Bundes.

Einer von ihnen ist Simon Kern. Der 32-Jährige kümmert sich um das Nationalteam der Rhythmischen Sportgymnastik. Seine ersten Schritte machte der gebürtige Pforzheimer nach mehrjähriger Ausbildung im Oktober 2016 am Olympiastützpunkt Stuttgart. "Da sind unter anderem Judo, Volleyball, Beachvolleyball, Turnen, Leichtathletik oder auch BMX. Und da war eben auch die Rhythmische Sportgymnastik zwei- oder dreimal abends ein fester Bestandteil meines Programms", erzählt er. Es sei eigentlich nie sein Ziel gewesen, bei der Rhythmischen Sportgymnastik zu landen, erzählt er. Der Zufall wollte es aber, dass seine Vorgängerin ihm die Nachfolge anbot.

Und jetzt bin ich schon seit sieben Jahren da. Und es macht immer noch Spaß

Mensch ist Mensch

An den Umgang mit den Gymnastinnen hat er sich schnell gewöhnt. Von ihrer Physis her seien die auch nicht viel anders als andere Sportlerinnen.

Mensch ist Mensch.

"Was bei ihnen aber zum Beispiel ein Unterschied ist, ist das Alter. Sie sind meistens etwas jünger als es die anderen Sportlerinnen und Sportler am OSP sind. Und was man auch berücksichtigen muss, ist, dass die sehr, sehr viel trainieren. Das Trainingspensum bei denen ist wahnsinnig hoch, weswegen es eher auch zu Überlastungsproblematiken kommt", erklärt er.

Vertrauen gewinnen

Kommt eine neue Gymnastin zu ihm, heißt es für den DTB-Physio erst einmal, ein gutes Vertrauensverhältnis aufzubauen. "Die Mädels sind alle so zwischen 12 und 21 Jahren. Gerade am Anfang sind manche noch ein bisschen ruhiger, deswegen braucht es da teilweise ein bisschen mehr Zeit, bis sie sich ein bisschen öffnen und dann ein wenig mehr erzählen", weiß Kern. Viele Sportlerinnen und Sportler gehen mit Schmerzen ganz unterschiedlich um, deshalb ist es von Vorteil länger mit ihnen zusammen zu arbeiten, um das ganze besser abschätzen zu können. Das ist aber sportartübergreifend so. Der Umgang mit Verletzungen dagegen sei von Sportart zu Sportart durchaus unterschiedlich. "Wenn die BMXler gestürzt sind und sich was gebrochen haben, war das bei denen nicht so schlimm, wie wenn so etwas zum Beispiel in einer anderen Sportart passiert, in der das eher seltener der Fall ist", schmunzelt er.

Die Anamnese – ein Puzzle

Für alle gleich gelingt die Ursachenforschung nach Kerns Ansicht auch am besten im persönlichen Gespräch. "Über die Anamnese kann man am Anfang schon sehr viel rausbekommen", sagt er. Es hilft neben weiteren Testungen dann zusätzlich noch, wenn man die Möglichkeit hat, im Training zuzuschauen oder mit anderen beteiligten Personen zu sprechen. "Gerade mit den Trainerinnen, weil man sich da ein komplettes Gesamtbild besser erschließen kann. Aufgrund des Zeitmangels ist das aber manchmal ein bisschen schwierig".

Bei einem Fußballclub in der Bundesliga sei das vermutlich auch ein bisschen einfacher, weil da mehr Zeit zur Verfügung steht. Vom Prinzip her bleibt die Vorgehensweise laut Kern aber die gleiche: "Man versucht so viele Informationen wie möglich zu sammeln, um sich so ein bestmögliches Gesamtbild zu erschließen", erklärt er. Russischkenntnisse braucht es in der RSG dazu heute nicht mehr.

"Die ersten paar Wörter kann ich zwar. Guten Tag, danke, gut gemacht. Aber ansonsten hält es sich sehr in Grenzen. Das, muss ich sagen, hat sich in meiner Zeit tatsächlich verändert. Die Sprache im Training ist größtenteils Deutsch", betont er.

Der Job des Physiotherapeuten, findet Kern, ist nicht immer einfach. "Gehalt, Arbeitszeiten, Fortbildung und Urlaub – all das immer zusammenzubringen, kann herausfordernd sein. Aber an sich ist das Arbeiten als Physiotherapeut ein sehr, sehr schöner Job", sagt er. "Und mir macht es auch sehr viel Spaß, mit der Rhythmischen Sportgymnastik zu arbeiten", betont er noch.
 

International? Die Liege muss mit!

Das gilt selbst dann, wenn er mit der 14 kg schweren Massageliege bis in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku zur EM oder demnächst zur Weltmeisterschaft nach Valencia fliegen muss.

"Bei den meisten Flügen klappt es unproblematisch, die Massageliege mit dem Sperrgepäck aufzugeben", sagt er. Ohnehin ist Kern auf solche Großereignisse immer möglichst gut vorbereitet. "Ich versuche die Vorbereitung, für mich, für so eine Großveranstaltung zu standardisieren. Das bedeutet, ich versuche dafür zu sorgen, dass vor Ort von Bandagen, Pflastern, Blasenpflastern, Taschentüchern, Schere und bis hin zum Tape oder den Recovery Boots alles sofort verfügbar ist. Und da ist die Massageliege natürlich auch immer dabei", zählt der Physiotherapeut auf. Die sei bislang sogar immer am Zielort angekommen. "Nur auf einem Rückflug wurde dreien von uns mal beim Umsteigen die Türe vor der Nase zugeschlagen, weil wir beim Sicherheitscheck eine Minute länger gebraucht haben als der Rest des Teams", lacht Kern.

Die sechs Stunden Umweg zusätzlich über die Schweiz mit einer anderen Verbindung habe er damals mit Gelassenheit genommen.

Mit dem Wandel kam der Erfolg

Was ihn an seinem Job in der RSG fasziniert? "Mit manchen Gymnastinnen arbeite ich ja tatsächlich schon seit sieben Jahren zusammen. Es ist schön, zuzuschauen, wie sie älter und auch besser werden", findet er. Und auch die Sportart selbst sei in Deutschland auf neuen Wegen unterwegs. "Es gibt natürlich immer und überall noch Verbesserungspotenzial. Aber ich finde, es hat sich in den letzten Jahren bei der Rhythmischen Sportgymnastik schon einiges zum Positiven entwickelt", sagt Kern. "Als ich angefangen habe, war die Chance auf ein Finale oder gar eine Medaille eher gering. In den letzten Jahren haben die Einzel- aber auch die Gruppen-Gymnastinnen angefangen, sehr bedeutende Erfolge und Medaillen einzufahren. Der Anspruch hat sich in den letzten Jahren spürbar verändert", findet er.

Reisen, Events und die Wochenenden

Und weil er sich dort so wohl fühlt, würde er den Weg in den Spitzensport auch immer wieder gehen. "Mir macht es im Sport sehr, sehr großen Spaß. Denn der ist auch meine Leidenschaft", sagt Kern, der selbst gerne Sport betreibt. "Deswegen bin ich froh, dass ich diesen Weg gegangen bin", sagt er. Selbst wenn, wie alles im Leben, auch ein Engagement im Sport meist zwei Seiten habe. "Natürlich ist im Leistungssport nicht alles immer nur super toll und positiv", räumt er ein. Deswegen müsse am Ende auch jeder Physiotherapeut, jede Physiotherapeutin selbst entscheiden, ob er für Reisen, Großevents und Dauerbelastung am Wochenende gemacht sei. "Wenn einer sagt, er hat da bei anderen Sachen Freude, wie zum Beispiel beim Behandeln von neurologischen Patienten, dann gibt es da ebenfalls viele Möglichkeiten, wo man eine schöne und erfolgreiche Arbeit machen und seine Erfüllung finden kann", ist Kern überzeugt.

Und die Kolleginnen und Kollegen vom Gerätturnen?

... sind auch immer mit auf Reisen, national wie international

AUSGABE  International 03-2023 | Turn-Team Deutschland | Der Gymnastinnen Kern
AUTOR       Nils B. Bohl