Claudia Schunk mit den Turnerinnen | Foto: Minkusimages
Turn-Team Deutschland

Claudia Schunk und Jens Milbradt

Den Nachwuchs fest im Blick

Wenn Claudia Schunk nach Gründen sucht, weshalb nicht mehr so viele Talente wie in der Vergangenheit bei ihr in der Turnhalle ankommen, spielen für die Bundestrainerin Nachwuchs der deutschen Turnerinnen auch die veränderten Ansprüche der Eltern ihrer Schützlinge eine nicht unwichtige Rolle. "Bei vielen Vätern und Müttern hat der Sport, den ihre Kinder betreiben, nicht mehr die absolute Priorität", sagt die erfahrene Betreuerin.

Umso mehr freut sich die 51-Jährige darüber, dass es immer noch talentierte junge Mädchen gibt, "die ihre PC- und Handyzeit für den Sport erheblich einschränken. Aber grundsätzlich sind die sozialen Medien schon eine Ablenkung." Noch mehr Sorgen allerdings bereitet Schunk die aktuelle personelle Situation im Trainerbereich:

Mehr und mehr Kolleginnen und Kollegen gehen jetzt in den Ruhestand. Da brechen plötzlich Stützpunkte teilweise weg, es gibt mehr und mehr Probleme.

Auch für Schunks DTB-Mitstreiter Jens Milbradt ist das Heranführen von begabten Junioren an die Schwelle zur Nationalriege alles andere als leichter geworden, im Gegenteil. Da konkurriert ein zeitaufwändiger Hochleistungssport wie das Turnen, so sieht es der erfahrene Nachwuchs-Coach, mit der Online-Zeit im Internet.

Und jeder Tag hat eben nur 24 Stunden.

"Talente gibt es nach wie vor, aber wir Trainer haben nicht mehr so viel Auswahl. Die Zahl der Teilnehmer an Nachwuchsmeisterschaften sinkt", berichtet der 54-Jährige. Eine ungute Entwicklung, die seit mehr als einem Jahrzehnt anhält. Um sie zu stoppen, hat der DTB eine "Sichtungsoffensive" entwickelt, doch nicht zuletzt auch wegen der mehrjährigen Coronavirus-Pandemie ist da bei den Verantwortlichen Geduld gefragt. Und es braucht auch Beharrungsvermögen, wie es Milbradt nach wie vor an den Tag legt: "Frust kommt bei mir nicht auf, eher im Gegenteil. Junge Athleten zu entwickeln ist eine komplizierte, aber eben auch spannende Aufgabe."

Milbradts Vater Klaus Milbradt avancierte nach der deutschen Wiedervereinigung zum ersten gesamtdeutschen Bundestrainer, fühlte sich in diesem Amt jedoch nie richtig wohl. Das erlebte Milbradt, im Trikot der untergehenden DDR 1990 in Lausanne Vize-Europameister am Pauschenpferd und an den Ringen, so in der eigenen Familie hautnah mit. Ein wichtiges Vorbild sei der 2007 verstorbene Coach speziell in Sachen Trainingsplanung, physische Vorbereitung von Turnern und Trainer-Sportler-Kommunikation für ihn aber immer gewesen.

Jens Milbradt und Valeri Belenki | Foto: Minkusimages
Jens Milbradt im Gespräch mit Turner | Foto: Minkusimages
Jens Milbradt, Nachwuchstrainer | Foto: Minkusimages

Trainerkollegin Schunk hingegen hat ein derartiges Vorbild nicht gebraucht, um sich zur Pädagogin und Sportlehrerin ausbilden zu lassen. Ganz anders als Topathlet Milbradt, Vize-Weltmeister 1989 in der Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer-Halle mit der DDR-Riege, endete die Wettkampf-Karriere der gebürtigen Wormserin schon mit 14 Jahren - aus gutem Grund:

Ich habe nicht so gut geturnt und schon aus körperlichen Gründen keine großen Sprünge gemacht. Ich wollte dann lieber anderen helfen und ihnen das Turnen vermitteln. Insofern war es eine bewusste und freie Entscheidung.

Einer etwas breiteren Öffentlichkeit wurde Schunk als Heimtrainerin von Elisabeth Seitz bekannt. Doch zwei Jahre nach dem Olympia-Debüt der deutschen Rekordmeisterin 2012 in London trennten sich die Wege. Die aktuell nach einem Achillessehnenriss an ihrem Comeback arbeitende Sportsoldatin verließ seinerzeit Mannheim und verlegte ihren Lebensmittelpunkt nach Stuttgart.

Dass für Schunk ein Job bei den "Seniorinnen" aktuell kein Thema ist, hat viel mit den sportlichen Ambitionen ihrer Tochter zu tun, auch eine Aufgabe im Nachwuchsbereich sozusagen. Nastasja Schunk ist Tennisprofi und schickt sich an, nach einer langwierigen Schulterverletzung wieder langsam in der Weltrangliste nach oben zu klettern. 13 Monate musste Schunk jun. pausieren, da will und muss die Mutter aktuell helfen: "Nastasja braucht derzeit viel Unterstützung."

Damit die 20-Jährige, die 2021 in Wimbledon im Juniorinnen-Finale stand, wieder an bessere sportliche Tage anknüpfen kann. Vor zwei Jahren qualifizierte sich die Linkshänderin für das Hauptfeld der French Open, 2023 wurde sie deutsche Hallenmeisterin. Nicht ohne bei dieser Gelegenheit auf den Anteil von Mutter Schunk am ersten kleinen Comeback-Erfolg hinzuweisen: "Für das Turnen hatte ich nicht die richtige Figur. Aber dafür habe ich von meiner Mutter den Ehrgeiz geerbt."

Bild: Nastasja Schunk - nach einer langwierigen Schulterverletzung langsam wieder in der Weltrangliste oben angekommen

AUSGABE         Nachwuchs 02-2024 | Turn-Team Deutschland | Den Nachwuchs fest im Blick
AUTOR              Andreas Frank