Viktoria Tereschenko, Choreografin | Bildquelle: DTB
Turn-Team Deutschland

Choreografin Viktoria Tereschenko

Bewegungsweite, Elastizität und Betonung

Wenn es um künstlerischen Ausdruck gehe, betont Viktoria Tereschenko, seien Turnerinnen alles andere als hoffnungslose Fälle. "Ganz im Gegenteil. Mittlerweile legt man im Turnen wieder sehr großen Wert auf Choreografie und auf deren Ausführung als gesamte Darbietung", erklärt die gebürtige Georgierin, die seit Januar 2012 für den Deutschen Turner-Bund arbeitet. Zunächst bei den Seniorinnen, kümmert sie sich nun bei Claudia Schunk um die deutschen Nachwuchshoffnungen.

Wir haben sehr tolle Mädchen und eine prima Arbeitsatmosphäre.

Das Turnen, sagt Tereschenko, habe wieder einen guten Weg eingeschlagen. "Nicht nur für mangelnde Schwierigkeit, sondern auch für nicht perfekt ausgeführte Choreografie kann man dort jetzt wieder ziemlich viel abziehen", erläutert sie.

Daher hätten auch alle Turnerinnen nicht nur bei Lehrgängen, sondern auch zuhause einen Choreografen oder eine Choreografin. Tereschenko findet beides richtig und wichtig. "Denn wenn es nicht allein um Schwierigkeit geht, macht es auch das Turnen viel schöner", findet sie.

Sie selbst hat in ihrer Jugend intensiv Rhythmische Sportgymnastik betrieben. Nach dem Karriereende blieb sie dem Sport treu, wurde in ihrer Heimat Dozentin ihrer Sportart an der Universität. Von dort aus ging es weiter an die Universität Moskau, um die Sportwissenschaften weiter zu vertiefen. "Danach verschlug es mich ins kroatische Osijek, wo es mir sehr gut gefallen hat", erzählt sie. Nach einiger Zeit beschloss sie, ihre berufliche Reise nach Deutschland fortzusetzen. "Eigentlich wollte ich dort weiter Sportwissenschaft studieren. Aber weil ich ohne Sprachkenntnisse nach Deutschland gekommen bin, hat sich das schwierig gestaltet", räumt sie ein.

Aber wie so oft im Leben, wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich auch eine neue. In diesem Fall war es Traudel Bothor vom TV Lahr. Die "Mutter der RSG", wie sie dort genannt wird. Sie sprach Tereschenko an und beide wurden sich einig. "Dem TV Lahr bin ich nun lange treu geblieben. Und ich werde ihm auch noch weiter treu bleiben", glaubt sie dort ihre sportliche Heimat gefunden zu haben.

In Lahr kümmert sie sich vorrangig um Rhythmische Sportgymnastinnen. Tereschenkos Mädchen kommen dort aus verschiedenen Kulturen. Ihr großes Bestreben ist, jede einzelne gut zu integrieren, die Mädchen für den Sport, die Kultur, die Musik und die Bewegung zu begeistern und ihnen darüber die Möglichkeit zu geben, ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Aus Sicht der Choreografin ist der Unterschied zwischen den beiden Sportarten aber gar nicht so groß wie man meinen könnte.

"Beim Turnen geht es um den Körper und das Können, bei der Rhythmischen Sportgymnastik kommt noch ein Handgerät dazu", erklärt sie. Grundsätzlich gebe es aber in beiden Sportarten ausdrucksstarke Athletinnen. "Es gibt Mädchen, die sich fantastisch bewegen können, wie zum Beispiel Pauline Schäfer-Betz, Marie Hindermann, Emma Malewski, Pia Tolle und auch Kim Janas. Ja, es gibt im Turnen tatsächlich Mädchen, die sich phänomenal und fantastisch bewegen, was die Bewegungsweite, die Elastizität und die Betonung angeht", betont sie.

Als Choreografin oder Choreograf müsse man bei der Wahl der Mittel nur immer bedenken, dass es im Gerätturnen viele Vorgaben gebe. Vor allem, was akrobatische und gymnastische Teile angehe.

Auch wenn die Herangehensweise je nach Athletin, Situation und Sportart unterschiedlich sein kann, eines bleibt nach Tereschenkos Ansicht immer gleich: "Ein Choreograf arbeitet immer leidenschaftlich", sagt sie. Sie selbst schaue zunächst darauf, dass alles auf die Musik passe. "Es geht vor allem um Präzision. Präzision in der Ausführung. Neben dem Körperausdruck gibt es auch noch den Gesichtsausdruck", erklärt sie weiter. Die Mädchen müssten verstehen, was sie wie betonen wollten. "Sie müssen Akzente setzen, durch Spannungswechsel, Höhepunkte und ruhige Punkte", lautet die Anforderung. "Wir müssen uns also Gedanken machen, welchen Blickpunkt wir wählen und wann wir den künstlerischen Stopp machen wollen", sagt sie. Und dazu komme natürlich noch die Qualität der Bewegung, die weit ausgeführt und mit dem ganzen Körper sein solle.

Als erfahrene Choreografin erkennt Tereschenko oft schon auf den ersten Blick, welche Musik zu welchem Mädchen passen könnte. "Ob schnell oder langsam, ob lustig oder ob das Mädchen eher ein klassischer Typ ist, sieht man schon sehr schnell", sagt sie. Wenn nicht, müsse man anfangen zu suchen. Denn eine Wirkung auf das Publikum könne man nicht erzwingen. Wer das versuche, werde zwangsläufig scheitern. "Wir können nicht für 12-jährige Mädels Carmina Burana von Carl Orff oder Phantom der Oper nehmen. Die Musik muss dem Alter entsprechend sein. Die Musik muss auch das Beste aus einem Mädchen herausholen", ist sie überzeugt. Daher entwickle auch jeder Choreograf und jede Choreografin seine bzw. ihre Übung mit Bezug auf das Mädchen. "Ich schaue zum Beispiel immer zuerst, welche Bewegungen für das Mädchen vorteilhaft sind. Wo kann sie sich richtig schön zeigen", sagt sie.

Und mit der Begeisterung scheint auch wieder die ehemalige Dozentin Tereschenko durch: "Choreografie ist eine zeitlich, räumlich, dynamisch und formale Anordnung. Wir haben vorgegebene Zeiten, wir haben vorgegebene Rahmen, wir haben vorgegebene Elemente. Alles andere ist an uns", doziert sie und geht noch tiefer ins Detail: "Es muss die Fläche ausgenutzt werden, Höhe und Tiefe, Enge und Weite und auch die Raumwege müssen gestaltet werden. Nicht nur gerade und vorwärts gerichtete Bewegungen. Ein Mädchen muss sich da ganz vielfältig bewegen".

Doch wann ist eine Choreografie gelungen? Wenn die Kampfrichter*innen die erwünschten Punkte zücken? Wenn das Publikum ergriffen oder fasziniert ist? "Der größte Erfolg für mich ist, wenn es ein Mädchen schafft, eine Geschichte zu erzählen. Und wenn das dabei authentisch passiert", findet Tereschenko. Ein Mädchen müsse seine Übung erzählen, es muss sie vorstellen können.

Große Bewunderung bringt die Choreografin daher auch den Übungen von Deutschlands neuer RSG-Weltmeisterin Darja Varfolomeev entgegen.

"Mich begeistert sie. Ihre Emotionen sind überhaupt nicht gespielt. Ihre Darbietungen sind stark, dynamisch, elegant und von einer unglaublichen Präzision. Sie macht es mit so einer Leidenschaft und einer Liebe, das ist eine Gabe. Sie hat bei ihren Bewegungen wirklich an jedes einzelne Detail gedacht.

Das war fantastisch, eine tolle Arbeit von Darja und von dem ganzen Team, das hinter Darja steht", bescheinigt Tereschenko der 15-Jährigen. "Und dann endet die Übung und sie wird plötzlich wieder zu einem ruhigen, sympathischen und ganz normalen Mädchen", schwärmt sie.

Talent Academy Europapark - mit dabei Viktoria Tereschenko

Einen Steinwurf entfernt von Tereschenkos Wohnort steht der Europapark. Nach dem Disneyland Paris ist er der zweitbesucherstärkste Freizeitpark Europas sowie der besucherstärkste saisonale Freizeitpark der Welt. Dort wurde von Katja Mack im Mai 2014 die "Talent Academy" gegründet.

In modernen Kurs- und Unterrichtsräumen erwartet die Mitglieder dort ein vielfältiges Kursangebot in den Bereichen

  • Dance,
  • Acrobatics,
  • Music und Art.

Über 40 internationale Coaches führen wöchentlich mehr als 100 Kurse durch, die von über 360 Kindern besucht werden. Qualität, Kreativität und Spaß steht hier an erster Stelle. 

"Katja Mack kam über eine Tänzerin auf mich zu. Sie kam zum TV Lahr, hat mich gesehen und direkt gebeten, dort mit Mädels zu arbeiten. Die Grundidee war, dass sie von der Talent Academy eigene Artisten für den Europapark ausbilden", erzählt Tereschenko.

Seit ihrer Eröffnung konnte die Talentschmiede bereits große Erfolge verbuchen. Von zahlreichen nationalen und internationalen Wettkämpfen wurden bereits zahlreiche Preise nach Rust getragen. Neben den Wettkämpfen und Auftritten können die Kinder in der "Surprise on Ice Show", der "Surprise Show" und in der "Talent Show" ihr Können präsentieren.

"Meine Aufgabe dort ist, die Mädchen mit Bodenballett und Kräftigung vorzubereiten. Ich übernehme da viel vom Gerätturnen, mit HIIT-Training und Kraft, ich bereite sie vor für Ballett, Tanz und Luftakrobatik. Ich tanze da nicht, sondern helfe ihnen vielmehr, den Körper dafür vorzubereiten, durch richtige Dehnung und Kräftigung", erklärt Tereschenko. Vor allem die Kinder, die noch kleine Defizite hätten, kämen zu ihr in den Technik-Kurs.

AUSGABE  SHOWS 05-2022 | Turn-Team Deutschland | Choreografie im Leistungssport
AUTOR       Nils B. Bohl