Spielmannszug | Bildquelle: Spielmannszug MTV Stederdorf
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Die Spielleute

Zwischen Schützenfest und Deutschland sucht den Superstar

Die Spielleute: Ihr Vorbild waren die Trommler und Pfeifer der Militärmusik.

Nach ihrem Vorbild bildeten sie zivile Spielmannszüge. Und spielten auch für die öffentliche Darstellung der um Mitglieder werbenden Turnvereine im frühen 19. Jahrhundert eine große Rolle.

Die Begrifflichkeiten selbst sind ein Relikt aus dem Mittelalter. Der "Spielmann" tauchte erstmals schon im 8. Jahrhundert auf, bis zum 13. Jahrhundert war er jedoch nur sehr ungenau definiert. Im Vordergrund standen die Kunst der Unterhaltung sowie die mangelnde Sesshaftigkeit des Berufsstandes.

Das Musizieren rückte erst viel später in den Mittelpunkt. 

Spielleute des MTV Stederdorf seit 1902 aktiv

"In unserem Verein sind wir zum ersten Mal offiziell so um 1902 aufgetaucht. Da wurden die ersten Flöten und Trommeln angeschafft. Die Spielleute damals waren noch wirkliche Spielleute. Die sind mit sechs bis 15 Leuten für bestimmte Anlässe des Ortes oder des Vereins auf die Straße gegangen und haben Musik gespielt", weiß Ben Mühe vom MTV Stederdorf.

Schon im Mittelalter seien die Spielleute für Unterhaltung, Musik und Tanz zuständig gewesen. "Und so ein bisschen übernimmt man das ja auch heute noch. Schützenfeste sind Feste für gute Laune. Feste, bei denen wir als Gemeinschaft zusammenkommen und wo wir mit unserer Musik für gute Stimmung sorgen", findet er. Nach dem Krieg sei das Orchester dann seit 1950 in der heutigen Form aktiv.

Nicht nur auf Schützenfesten

"Bei Spielleuten denken die Leute zumeist, wir seien immer nur bei Schützenfesten unterwegs, spielen da ein paar Märsche und dann feiern wir ganz toll", sagt Mühe. Wenn sich der Vorstandsvorsitzende des Spielmannszugs dann aber mit seinem Orchester bei Musikfesten mit Wertungsspielen anmeldet und dort mit dem Prädikat "hervorragend" ausgezeichnet wird, hat schon der ein oder andere sein Vorurteil über die Qualität der Marschkapelle wieder revidieren müssen. Selbst wenn die seit kurzem sogar hin und wieder Zapfenstreiche spielt.

"Wir spielen zwar auf der Straße überwiegend Märsche, aber wir können uns auch um 360° drehen und ganz andere Sachen spielen“, betont der 23-Jährige.

Hochzeiten, Jubiläen, Kirchenkonzerte – das Spektrum ist breit

Gleichwohl sind die Schützenfeste traditionell für fast alle Spielmannszüge ein großes Thema. "In diesem Jahr haben auch wir allein zehn Schützenfeste, für die wir gebucht sind. Plus unser Konzert", verrät er. Mühes Orchester ist vor allem im Landkreis Peine groß vertreten. "Da hat ja jeder Ort sein eigenes Schützenfest", lacht der Einkäufer eines großen bayerischen Autokonzerns.

"Wir agieren da als klassischer Spielmannszug, machen überwiegend Marschmusik. Dafür werden wir auch gebucht, auch für Hochzeiten und bei großen Jubilaren. Aber eben auch als Flötenorchester mit der gleichen Besetzung. Da erweitern wir dann unser Schlagwerk um Marimbaphon, Xylophon, Glockenspiel und sind auch im Schlagwerk mit Kongas, Bongos, großem Beckensatz sowie mit großem Drumset wesentlich breiter aufgestellt und spielen konzertante Musik", zählt er auf. Am 23. April 2023 spielen die Stederdorfer sogar ein großes Kirchenkonzert.

Deutscher Meister MTV Stederdorf

Was auch helfe, um gegen das Image der einfachen Schützenfestkapelle zu kämpfen, sei die Tatsache, dass sich die Mitglieder jeden Montag mindestens für zwei oder zweieinhalb Stunden zum Proben treffen müssten, um ihr hohes Niveau überhaupt halten zu können.

"Das hat sich einmal bei uns auch ausgezahlt, als wir 2013 in unserer Klasse Deutscher Meister geworden sind", erzählt er nicht ohne Stolz.

93 Mitglieder – von jung bis alt

Mühes Spielmannszug hat eine Ces-/Fes-Querflötenbesetzung. "Also eine reine Querflötenbesetzung plus Schlagwerk. Drei Sopranstimmen, mehrere Altstimmen und Tenorflöten", erklärt er. Der Zug habe im Moment 93 Mitglieder, Zukunftsängste in Sachen Musik kennt Mühe daher nicht.

"Natürlich sind da Leute dabei, die das schon seit Jahrzehnten machen. Manche sind auch schon über 60. Aber wir haben auch 34 Kinder und Jugendliche, die bei uns in der Grundausbildung sind. Die lernen entweder Querflöte oder Trommel. Die Kinder ab fünf lernen auch Blockflöte und werden mit paar Perkussionsinstrumenten schon einmal an die Grundausbildung herangeführt", berichtet er.

Fahrten und Gemeinschaftsaktionen

Für ihn ist das der Beweis, dass man auch heute noch Jugendliche und Kinder für traditionelle Musik begeistern kann.

"Mit 34 Kindern und Jugendlichen können wir uns jedenfalls sehr glücklich schätzen", ist er überzeugt. Natürlich müsse ein Verein seine ganzen Aktivitäten anpassen.

"Wir machen nicht nur Musik, wir machen auch viele Gemeinschaftsaktionen. Wir fahren zusammen aufs Turnfest, machen eine Kinder- und Jugendfahrt, wo wir zusammen proben. Jetzt im März zum Beispiel fahren wir nach Rothenburg. Wir haben aber auch Spaßfahrten, wo wir die Gemeinschaft gestalten wollen. Damit nicht diese Trennung zwischen den Älteren und den Jüngeren entsteht", sagt er.

Die Wertungsspiele

Natürlich, sagt Mühe, gebe es auch Vereine, die ihren Fokus überwiegend auf Schützenfeste legten.

"Die greifen nicht dieses typische Konzertprogramm auf, wie wir das tun. Wir möchten aber zusätzlich zu den Schützenfesten auch konzertant gute Musik abliefern", lautet sein Anspruch. Deswegen stellt sich sein Orchester auch regelmäßig der Bewertung von Jurorinnen und Juroren bei Musikfesten. "Dort reicht man zwei Wertungsstücke ein, die man spielen möchte. Diese werden dann durch die Jurorinnen und Juroren vorab eingestuft. Dabei geht es darum, in welcher Kategorie man eingestuft wird. Nach der Schwierigkeit entscheidet sich auch, in welcher Gruppe man antritt. Umso schwieriger die Stücke, desto höher am Ende die Eingruppierung", erklärt Mühe. Ein bisschen könne man sich das so vorstellen wie bei Deutschland sucht den Superstar. "Man baut sich auf, hat vor sich eine Jury sitzen, spielt seine zwei Stücke. Und danach gehen der Dirigent oder der musikalische Leiter noch einmal in ein Beratungsgespräch. Da muss erklärt werden, warum bestimmte Teile des Stücks so gespielt wurden, wie sie gespielt wurden. Und welche Idee dahintersteckt."

Limitierender Faktor: die Ces-Fes-Besetzung

Nachschub an Stücken ist dabei allerdings nicht unbegrenzt verfügbar, denn die Ces-Fes Besetzung von Mühes Spielmannszug ist eher ungewöhnlich.

"Aufgrund der reinen Flötenbesetzung können wir einige Sachen nicht abdecken. Das unterscheidet uns auch von der Blasmusik. Bestimmte Genres und Richtungen können wir nicht spielen, weil das unsere Instrumente in der Umsetzung nicht hergeben", erklärt er.

Das Orchester brauche daher immer zunächst erst einmal Leute, die passendes Material schreiben könnten. "Es gibt in Deutschland ein paar Menschen, die für unsere Besetzung Stücke schreiben. Denn nicht jedes Stück ist für unsere Besetzung tauglich", sagt er.

Alle sind willkommen, die Lust haben Musik zu machen

Und obwohl Mühe sich um die Zukunft in seinem Verein keine Sorgen machen muss, beschäftigt ihn dennoch das Bild, das die Spielmannszüge traditionell in der öffentlichen Meinung haben. "Ich finde, dass dieses Bild überdacht werden müsste. Dass man nicht direkt als Spielmannszug abgestempelt wird, der nur auf der Straße unterwegs ist und seine fünf oder sechs Stücke spielt", wäre sein Wunsch. Denn so werde auch die Jugend merken, dass man mit einem Spielmannszug auch seine musikalischen Fähigkeiten herausarbeiten und in dieser Form noch lange weiter aktiv bleiben kann.

"Denn die Jugend ist unsere Zukunft. Wir tun alles dafür, dass wir auf musikalischer, aber auch auf klassischer Vereinsebene möglichst viele neue junge Leute gewinnen", sagt er. Damit auch dieser musikalische Wille bei allen, in einer großen Gemeinschaft mit einem Orchester Musik zu machen, insbesondere bei den Jüngeren erhalten bleibe. "Ich kann nur allen sagen, die Lust haben Musik zu machen, dass nicht nur unser Verein, sondern auch viele andere Vereine dafür da sind. Wir nehmen jeden in unseren Reihen auf, der Lust hat weiterhin Musik zu machen", verspricht er. Nicht zuletzt, um möglichst bald die 100 Mitglieder in der Sparte seines Vereins zu knacken.

AUSGABE  Musik 01-2023 | Mehr Sport | Die Spielleute
AUTOR       Nils B. Bohl