Musiker*innen | Bildquelle: Schalmeienorchester Tettau/Frauendorf e.V.
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Das Schalmeienorchester Tettau/Frauendorf e.V.

Woher kommt das Martinshorn?

Die Schalmei hat ihren Ursprung in einer längst vergangenen Zeit an einem weit entfernten Ort. Das Musikinstrument kam als morgenländische Beuteware mit den mittelalterlichen Kreuzrittern aus Zentralasien nach Mitteleuropa. Es wurde Sornay (asiatisch), Zurna (türkisch) oder auch Schalmay (Südeuropa) genannt.

Der Dichter und Sänger Walther von der Vogelweide soll in einem seiner Minnelieder bereits von der "Schalmeye" gesungen haben. Wenn die jungen Frauen und Männer des Schalmeienorchesters Tettau/Frauendorf unter der Leitung von Reiner Lesche Musik machen, hat das allerdings nichts Verstaubtes oder Althergebrachtes. 

Moderne Lieder und ausgeklügelte Choreografien

Da steht eine muntere Truppe auf der Bühne, in weißen Röcken oder Hosen zu farbigen Polohemden mit knalligen Krawatten, spielt moderne Lieder und bewegt sich dazu nach einer ausgeklügelten Choreografie.

In ihrem Repertoire sind etwa

  • "The Sound of Scilence", 
  • "I just died in your arms" oder 
  • "Let’s twist again".

Es gehe darum, Spaß zu haben und gemeinsam etwas zu entwickeln, sagt Lesche.

Wir spielen Rock, Pop, moderne Schlager, alles, was auf einer Schalmei funktioniert.

Reiner Lesche, Beauftragter für Schalmeienmusik im Technischen Komitee der Turnermusik

Er hält die Truppe zusammen

Er selbst entdeckte das ungewöhnliche Instrument mit zehn, das ist jetzt 58 Jahre her. "Damals war die Welt noch etwas anders", sagt Lesche, der in der DDR aufwuchs. Aber seine Begeisterung für die Schalmei und für das Tettauer Orchester ist geblieben.

Der Rentner ist der Vorsitzende des Vereins und Leiter des Orchesters, er hält die Truppe zusammen, gibt bei rund 50 Auftritten pro Jahr den Takt an. Und er gehört dem Technischen Komitee der Turnermusik im Deutschen Turner-Bund (DTB) an.

Denn es hat Tradition, dass die Mitglieder von Spielmanns- und Fanfaren-Zügen oder eben Schalmeien-Orchestern, früher Spielleute genannt, dem Turner-Bund zugeordnet sind.

Schalmeien aus Blech – Folge der Erfindung des Automobils


Die heutigen Schalmeien unterscheidet von den einstigen Hirten- oder Rohrflöten, die die Kreuzritter mitbrachten, dass sie aus Blech und nicht mehr aus Holz gefertigt sind. Ihre Entwicklung war eine Folge der Erfindung des Automobils. Einige der Schalmeienmusikerinnen und -musiker aus Tettau sind unter Federführung von Dieter Frackowiak auf die Suche nach Informationen zur Geschichte der Schalmei gegangen. In ihrer Zusammenfassung schreiben sie:

Die ersten Schalmeien-Instrumente wurden 1905 in der Instrumentenfabrik Max Bernhard Martin in Markneukirchen/Vogtland gefertigt.

Dessen Tochter Viola und Schwiegersohn Martin Brender führten das Geschäft ab 1952 in Philippsburg weiter. Durch die Firma Voigt werden aber auch in Markneukirchen bis heute Schalmeien gebaut.

(Bild: Schalmeienorchester Tettau/Frauendorf e. V.)

Das Martinshorn nur für den Kaiser

Es brauchte damals etwas für die Autos, damit diese neuen Gefährte auf den Straßen auf sich aufmerksam machen konnten. Und so entstanden die fünf bis 16 gebündelten Einzelhupen, verbunden durch ein Ventilsystem mit ein oder drei Röhren in einer festgelegten Tonhöhe. Sein "Martinshorn" schenkte der Erfinder dem deutschen Kaiser Wilhelm II., er hoffte, so den Verkauf ankurbeln zu können. Doch der Kaiser beanspruchte die Martinshörner für sich allein, ihr besonderer Klang sollte von seiner Ankunft künden. Sie wurden fortan auch "Kaiser-Fanfaren" genannt und durfte nur an seinen Automobilen zum Einsatz kommen.

Erste Martinskapellen gründeten sich nach dem Ersten Weltkrieg ab 1920, oft gehörten sie zu Turnvereinen oder Freiwilligen Feuerwehren. Es entstanden in den Bergmannsrevieren und Industrieballungsgebieten auch Arbeitermusikvereine, hier bekam die Martinstrompete den Namen Schalmei. Sie ist ein robust konstruiertes, einfach zu spielendes Instrument, das nur geringe Notenkenntnisse voraussetzt. Udo Lindenberg schenkte 1987 Erich Honecker, dem ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR, eine Lederjacke. Dieser soll Lindenberg im Gegenzug mit einer Schalmei überrascht haben.

Udo Lindenberg mit der Schalmei von Erich Honecker | Bildquelle: Picture Alliance /dpa Patrick Pleul

Geübt wurde zu Hause

In Tettau im südlichen Brandenburg, wo Reiner Lesche aufwuchs, entschied eine Bürgerversammlung 1952, dass man eine Musikkapelle im Ort haben wollte. Zwar wurde für einen Spielmannszug gestimmt, gegründet wurde jedoch eine Schalmeienkapelle. Im rund 200 Kilometer entfernt gelegenen Markneukirchen habe man zehn Instrumente besorgt, sagt Lesche. Geübt wurde beim Leiter zu Hause, es ging äußerst fröhlich zu. So erzählt es Reiner Lesche, der einige Jahre später vom Nachbarsjungen in die Kapelle eingeführt wurde. 

"Das hat mir irgendwie Spaß gemacht", erinnert sich der 68-Jährige.

"Mir hat auch die Anspannung vor Auftritten gefallen, da durfte man ja keinen Ton danebentreffen."

Anfangs gehörte man zur Feuerwehr, später zum örtlichen Sportklub, Anfang der 90er Jahre nannte man sich schließlich Schalmeienorchester und gründete einen eigenen Verein unter dem Dach des Deutschen Turner-Bundes. In einer ehemaligen Grundschule wurde ein eigenes Refugium für die Proben geschaffen. Auftritte liebt Reiner Lesche bis heute, "wer uns fragt, da gehen wir hin", sagt er.

"Aber man muss die Vereinsmitglieder immer wieder motivieren, anders sein, besonders, die Musik attraktiv gestalten."

Traditionskapelle vs. Orchester-Truppe

Der Verein habe heute rund 80 Mitglieder, erzählt Lesche. Gespielt wird in einer "Traditionskapelle" mit den 50- bis 80-Jährigen. Da werde im Sitzen musiziert und anschließend in gemütlicher Runde zusammengesessen. Und es gibt die Orchester-Truppe, junge Leute, die schwungvolle Musik machen und dabei in Bewegung bleiben. Unterstützt werden sie von einer Schlagzeug-Gruppe, die für den Rhythmus zuständig ist. "Publikumswirksam können wir nur mit jungen Leuten sein", sagt Lesche. Deshalb wird einmal im Jahr ein Musikfest mit Party organisiert, um neue Kinder und Jugendliche für die Schalmei zu begeistern.

200 Schalmeienorchester bundesweit

Deutschlandweit gebe es rund 200 Schalmeienorchester, schätzt Reiner Lesche. Im DTB sei allerdings nur ein Teil organisiert. Früher hätten sich tausende Musikerinnen und Musiker beim Leipziger Turn- und Sportfest getroffen. Und weil alle den gleichen Fundus an Notenmaterial hatten, konnte gemeinsam musiziert werden. Das vermisst Lesche. Da will er wieder hin. Deshalb engagiert er sich im Verein und auf Verbandsebene. Und deshalb freut es ihn so, wenn er seine junge Truppe mit so viel Elan und Begeisterung spielen sieht.

AUSGABE  Musik 01-2023 | Mehr Sport | Woher kommt das Martinshorn
AUTORIN   Susanne Rohlfing