Symphonic Rock'n Jazz im Palastzelt | Bildquelle: Timo Prenzer
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Vom harten Kampf, junge Leute für Blasmusik zu begeistern

Schluss mit "Uff-Tata"

Dass Thomas Schaefer fünf Trompeten sein Eigen nennt, verwundert nicht. Schließlich hat der 56-jährige Gymnasiallehrer dieses Instrument zum Thema seines Studiums gemacht.

Ganz anders sieht es bei seinen Hilfsmitteln für die Orchesterleitung aus. "Ich habe nur einen uralten Dirigentenstab", lacht er. "Der ist sogar mal gekürzt worden, weil er mir zu lang war. Den nehme ich auch nur für Konzerte raus, Proben mache ich ohne", sagt er.

Sechs Jahre hat er im Orchester am Staatstheater in Wiesbaden gespielt. Als Lehrer an der Albrecht-Dürer-Schule Weiterstadt mache er nun beruflich "Musik, Musik, Musik" und dazu ein kleines bisschen Geschichte.

Musikalische Früherziehung | Bildquelle: Timo Prenzer

(Bild: Musikalische Früherziehung bei der SG Weiterstadt. Timo Prenzer)

Geheimnis Zweigleisigkeit

Vor allem aber versucht Schaefer auch für musikalischen Nachwuchs zu sorgen. Neben der schulischen Ebene auch bei der SG Weiterstadt. "Junge Leute für die Blasmusik zu begeistern, ist immer wieder ein Kampf. Das ist kein Selbstläufer", räumt er ein. Weil seine Frau Tanja und er sowohl bei der Sportgemeinde aktiv sind als auch in der Schulmusik, fahren die beiden zwei verschiedene Konzepte. Bei der Sportgemeinde fangen sie mit vier Jahren mit der musikalischen Früherziehung an. Und das mittlerweile schon seit 30 Jahren. "Wie in allen anderen Sportabteilungen, muss man die Kinder auch in der Musik ganz früh an die Sache heranführen, sonst ist der Zug abgefahren. Dann sind die Interessen woanders gelagert und dann funktioniert es meist nicht mehr", berichtet Schaefer über seine Erfahrungen an der musikalischen Nachwuchsfront.

Erste Berührungen mit der Musik

Alles beginnt mit Singen, Tanzen, Hüpfen, Springen und ersten Berührungen mit der Musik. "Das ist ganz traditionell, wie man es kennt. Das machen wir zwei Jahre lang", erklärt er. Mit dem Einstieg in die Schule beginne es dann mit den ersten Instrumenten. "Das ist zum Beispiel eine Melodica. Das Anstoßen mit der Zunge und Blasen geht bei der Melodica schon ganz gut. Der nächste Schritt ist schon die Blockflöte. Da wartet man dann, bis die Zähne da sind", sagt er. Im Blasorchester könne man daher erst mit Sieben oder Acht anfangen, die regulären Instrumente zu erlernen.
 

Bei der Stange halten – so geht‘s

Die Hauptaufgabe ist nach Schaefer jedoch fast immer, die Kinder und Jugendlichen bei der Stange zu halten. Denn die Konkurrenzangebote in und außerhalb der Kinderzimmer sind vielfältiger Natur. Zu diesem Zweck gibt es die verschiedensten Werbeveranstaltungen. "Wir bieten zum Beispiel ein Sitzkissenkonzert von unserem Erwachsenen-Orchester in der Sportgemeinde an. Das kennt man vielleicht so auch vom Staatstheater. Es ist morgens um 11 Uhr, so dass es für die kleinen Kinder auch ganz gut passt", berichtet er. In der Regel handle es sich dabei um ein verkürztes Programm von rund 40 Minuten. "Da werden die Kinder in die Musik eingeführt und dürfen auch selbst dirigieren. Die Zielgruppe sind die Vier- bis Sechsjährigen, die bei der Sportgemeinde einsteigen wollen", erklärt er.
 

Das Instrumentenkarussell

Im Anschluss daran bieten die Schaefers eigentlich ein sogenanntes Instrumentenkarussell an. "Dort können die Kinder sämtliche Instrumente, die wir anbieten können, durchprobieren", sagt Schaefer. Durch die strengen Regelungen der Pandemiezeit sei das jedoch zeitweise ins Stocken geraten. "Im letzten Jahr haben wir schon wieder ein bisschen etwas machen können, in diesem Jahr hoffen wir, dass das alles einfacher wird", so Schaefer. Entscheidend ist nach seiner Erfahrung früh aufzustehen und an den Kindern dranzubleiben. "Wir versuchen mit ersten Auftritten vor den Eltern oder im Rahmen von kleinen Kaffeekonzerten, sie ein bisschen an die Bühne heranzuführen. Wir wollen sie ein bisschen zu anpieksen, wie das sein könnte, da vorne zu stehen und einen tollen Applaus zu bekommen", gibt er mit einem Augenzwinkern zu. 
 

Der Wettbewerb motiviert, wie bei allen Sportarten

Immer wieder Wettbewerbe zu haben, sei dann später auch ein Teil der Ausbildung. "Wie in anderen Sportarten auch. Wettbewerbe sind auch für die Motivation gut. Denn man kann feststellen, wo man so steht", findet Schaefer. Da gehe es dann schon darum, manchmal fünf oder sechs Monate an zwei Stücken zu arbeiten. Bis ins kleinste Detail. Oft sei es da nicht einfach, die Jugendlichen zu halten. Man müsse sie über das gespielte Stück motivieren.

"Zum einen muss man sie von der besonderen Qualität und dem Wert dieses Stückes überzeugen", findet er. Man müsse versuchen zu vermitteln, dass es unglaublich befriedige, so ein Meisterwerk einzustudieren.

"Zum anderen gehören auch die Freizeiten dazu, die ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen", erläutert er. Erst nach der Coronazeit habe man vielerorts so richtig verstanden, wie wichtig diese eigentlich seien. "Denn wenn der Zusammenhalt stimmt, dann sind die Jugendlichen auch bereit, etwas zu leisten und einzusetzen", sagt er. Und dann sei plötzlich das Vertrauen zum Trainer da.

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Symphonic Rock'n Jazz im Palastzelt | Bildquelle: Timo Prenzer

Highlight: Konzerte im Palastzelt

Möglichkeiten, das Gelernte zu präsentieren, sind da oft hilfreich. "Vom Verein aus haben wir dafür große Konzerte im Palastzelt. Derzeit leider noch Abständen von 3 bis 4 Jahren", erzählt der Trompeter. 

Besonders motivierend für Jugendliche sei natürlich auch, wenn – wie geschehen – der Musical Star Michael Heller für so ein Konzert vorbeikomme. "Wenn der sogar im Tanz der Vampire die Hauptrolle des Alfred gespielt hat und sie dürfen mit diesem Musiker musizieren und ihn erleben, dann hat das etwas Prägendes", ist er überzeugt. 

Hochprofessionelle Atmosphäre beim Schulmusical

Das gelte auch für die Teilnahme an einem Schulmusical. "Da proben wir in der Regel eine Stunde pro Woche. Dann kommen noch die bereits angesprochenen Wochenenden dazu. In den letzten drei Wochen vor dem Schulmusical werden allerdings alle Kinder, die daran beteiligt sind, aus dem Unterricht herausgenommen. Dann proben sie von morgens bis nachmittags, da kommen schon einige Stunden zusammen. Dann haben wir eine interne Schulaufführung und noch vier weitere Aufführungen vor jeweils 500 Leuten", sagt er. Da stecke dann ein irrer Aufwand an Licht- und Tontechnik drin und es herrsche eine hochprofessionelle Atmosphäre. Die Hemmschwelle, sich als Orchester vor die Bühne zu setzen oder auf der Bühne zu stehen und teilzuhaben, sei so deutlich geringer. 
 

Wie ein Sieg mit der Sportmannschaft

"Es ist ein Punkt, den wir von Anfang an als ganz wichtig empfunden haben. Die Schüler müssen sich ernstgenommen fühlen. Sie wissen dann, wir engagieren uns für ein Produkt, das auf der Bühne bestmöglich umgesetzt wird. Und dann sind sie darauf auch stolz. Das ist ein Gefühl, wie ein Sieg bei einer Sportmannschaft", betont Schaefer. Noch professioneller geht es aber bei der Sportgemeinde in Weiterstadt zu. "Da gibt es dieses riesige Palastzelt, da passen 1.000 Leute rein. Und es sind auch immer 1.000 Leute drin, immer ausverkauft", sagt der Orchesterleiter nicht ohne Stolz. Denn so etwas halte auch Schüler im schwierigen Alter von 13 bis 17 Jahren bei der Stange. "Ein begeisterter, herzlicher Applaus ist unglaublich viel wert für die Motivation innerhalb eines Orchesters", weiß der Musiker aus eigener Erfahrung.

Das alles zusammen sei eigentlich ganz erfolgreich. Noch gehe der Nachwuchs in den Projekten nicht verloren, auch wenn man nie genau vorhersagen könne, wie viele Kinder eines Jahrgangs den Weg zu Musik fänden. "Wir hatten schon Jahrgänge, da waren es 20. Wir hatten allerdings auch Jahrgänge, da waren es nur drei. Im Schnitt kann man aber sagen, es sind immer ein Dutzend Leute, die da pro Jahr hinzukommen. Im Moment hat unser Orchester 41 oder 42 Kinder", hat Schaefer gezählt. Und manchmal gebe es auch einen Flow, den er sich selbst nicht so richtig erklären kann.

"Nach der Corona-Pause hatten wir endlich mal wieder ein Schulmusical. Und plötzlich war da die Begeisterung so groß, dass die Kinder immer wieder andere Kinder gefragt haben, ob diese nicht mitmachen wollen", erinnert er sich. Das seien dann für ihn immer sehr schöne Momente.

Weg vom "Uff-Tata"-Image

Schaefer ist daher auch der festen Überzeugung, dass Blas- oder Bläsermusik auf jeden Fall eine Zukunft hat. Sowohl in der Schule als auch in den Turnvereinen. "Das wird aber nur funktionieren - und das sage ich jetzt als Musiklehrer - wenn wir es den Kindern von klein auf vermitteln", glaubt er. Das bedeute für alle Beteiligten, schon früh auf die Kinder zuzugehen, um mit mit Ihnen diesen langen Weg zu beschreiten.

Einen Teil seiner Überzeugung schöpft er auch aus der Tatsache, dass die Blasorchester-Szene das schon ein kleines bisschen besser hinbekommen hat als etwas die Chor-Szene. "Die sucht ja beinahe verzweifelt Nachwuchs. Und viele Chöre haben während Corona bereits aufgegeben", weiß er. Allerdings müsse sich die Mentalität in der Gesellschaft zum Thema Blasmusik generell ein wenig öffnen, weg vom aktuellen "Uff-Tata"-Image. Man müsse vielmehr Kanäle finden, um auch andere Art der Blasmusik publik zu machen. "Zum Beispiel das „Symphonic Rock´n Jazz" im 6-Mast-Palast-Zelt, dass in Verbindung mit ganz großen Sängern die Leute ins Zelt lockt und sie dann eine ganz andere Erfahrung von Blasorchester machen lässt. Und er fordert:

Das Blasorchester muss sich dahingehend wandeln. 
 

AUSGABE  Musik 01-2023 | Mehr Sport | Schluss mit "Uff-Tata"
AUTOR       Nils B. Bohl