Emma Eggenstein | Foto: pimster/Ivan Ferreira
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Cheftrainerin & Nachwuchstalent

Als Mutter-Tochter-Gespann zum internationalen Erfolg im Aerobicturnen

Emma Eggenstein ist 12 Jahre alt und gehört in Deutschland zu den Nachwuchstalenten im Aerobicturnen. Bei den internationalen Open-Wettkämpfen in Frankreich und Tschechien holte sie erstmals für Deutschland in den Altersklassen 6 bis 8 sowie 9 bis 11 die Goldmedaille, und das jeweils zwei Jahre in Folge. Im letzten Jahr wurde sie dreifache Deutsche Jugendmeisterin der Altersklasse 12 bis 14 in den Kategorien Einzel, Trio und Gruppe. Und da geht noch mehr: In diesem Jahr möchte sich das Ausnahmetalent vom Blau-Weiss Buchholz e. V. für ihre ersten Jugendweltmeisterschaften qualifizieren, welche im September im italienischen Pesaro ausgetragen werden.

Was das Erfolgsrezept ist und unter welchen Bedingungen das in einer Randsportart machbar ist, haben wir im Interview mit Emma und Mama als auch Trainerin Jenna Eggenstein erfahren. 

Die Mama als Trainerin

DTB-Cheftrainerin Aerobicturnen, Jenna Eggenstein bei der Arbeit

Zwischen 15 und 20 Stunden trainiert Emma Eggenstein pro Woche, neben Trainingszeit ist das auch Mutter-Tochter-Zeit. "Ich finde es toll, dass meine Mama meine Trainerin ist. Vor allem beim Wettkampf weiß sie am besten, wie sie mir helfen kann, dass ich weniger nervös bin. Und sie weiß auch genau, worauf es ankommt und auf was ich mich in der Übung konzentrieren muss", beschreibt Emma die Trainer-Situation und die Mama ergänzt: "Ich glaube wir haben das Glück, dass es bei uns so gut harmoniert. Die Hallenzeiten sind uns heilig, wir haben einfach Spaß an dem Sport und können so gemeinsam viel Zeit verbringen. Und mir ist auch wichtig, dass sie nicht Muss und mir vertraut. Wenn sie Angst hat, möchte ich, dass sie mir das sagt, so können wir dran arbeiten. Das lebe ich auch mit den anderen Sportlerinnen und Sportlern. Wer zu mir kommt mit einem Problem oder auch einem Ziel, erhält alle Unterstützung, die ich geben kann." In der Trainingsgruppe harmoniere das sehr gut. Einen wirklichen Nachteil sehen die beiden nicht, ab und an würden sich die anderen aus Emmas Gruppe nicht trauen, ihr alles zu erzählen, was vielleicht heimlich hinter dem Rücken der Trainerin so abläuft. Dafür könne Emma aber mit einigen Insider-Informationen glänzen, wenn die Mutter, die gleichzeitig das Amt als DTB-Cheftrainerin Aerobicturnen innehat, abends mal wieder etwas lauter telefoniere.

"Ich kann mir vorstellen, dass so eine Konstellation in manchen Fällen schon Konfliktpotenzial hat, wenn die anderen sich aufgrund der Tochter benachteiligt fühlen, gerade bei Nominierungen. Dadurch, dass Emma sich aber meist ganz nach vorne turnt, macht es die Entscheidungen einfacher. Ich lebe Fair Play und sage immer, wir überzeugen mit Leistung und Eigenmotivation. Daher hatten wir hier auch noch nie ein Thema. Man muss eben an manchen Stellen etwas sensibel sein und immer offen kommunizieren", beschreibt die früher selbst aktive Aerobic-Sportlerin Jenna Eggenstein.

Voller Einsatz: Cheftrainerin, Vereinsmanagerin und Mama

"Ohne Fleiß, kein Preis – Blau-Weiss" – das ist das Vereinsmotto der Aerobicturn-Abteilung des Blau-Weiss Buchholz, welche die Mutter von Emma, Jenna Eggenstein, vor 5 Jahren eigenständig ins Leben gerufen hat und heute knapp 200 Aktive im Alter von 3 bis 60 Jahre betreut. "Ich habe aktuell drei Jobs, mit dem 'Mama sein' eigentlich vier. Vormittags arbeite ich 20 Stunden in der Geschäftsstelle als Verantwortliche für Strategie und Digitalisierung im Verein, nachmittags geht es für mich dann in die Halle, davon sind 14 Stunden in der Woche vergüteter Trainerjob – auch wenn es eigentlich 25 und mehr Stunden sind – die restliche Zeit mache ich halt ehrenamtlich plus Abteilungsleitung dann morgens vor der Arbeit oder abends nach dem Training. An den Wochenenden und abends bin ich als Cheftrainerin für die Aerobic-Nationalmannschaft durch den DTB angestellt, was auf das Jahr gesehen eine 'viertel Stelle' ausmacht. Man ist eigentlich ununterbrochen im Einsatz", lacht Jenna Eggenstein.

Ohne ein solches Engagement durch Trainerinnen und Trainer sei es heute kaum möglich in Randsportarten erfolgreich zu sein: "Man muss schon etwas 'verrückt' (man nennt das auch Leidenschaft - lacht) sein, sich so zu engagieren und ich bin froh, dass es in unserer Sportart noch viele andere dieser Art gibt. Mein Erfolgsrezept ist immer in Teams zu arbeiten. Egal ob im Verein oder auf Bundesebene, jeder meiner drei Jobs könnte eine ganze Stelle ausfüllen, daher müssen wir die Aufgaben auf mehreren Schultern verteilen, um für die Sportlerinnen und Sportler den perfekten Rahmen schaffen zu können." Um das alles unter einen Hut zu bekommen, profitiere sie vor allem von ihrem damaligen Vollzeitjob bei Airbus, dort habe sie sich über mehrere Jahre bis zur "Head of Performance und Improvement" hochgearbeitet und mehrere Weiterbildungen und Assessment Center bis hin zum "Führungskräfteprogramm" durchgeführt. Für den Sport hat die heute 39-Jährige diese berufliche Karriere pausiert, könne aber vieles gelernte einbringen und davon profitieren.

Der Weg zum Erfolg, von den Anfängen und den Zielen

Aufgrund eines beruflichen Auslandsaufenthaltes des Papas ist die gesamte Familie Eggenstein nach der Geburt des Sohnes Matti für drei Jahre nach Pécs in Ungarn ausgewandert: "Das große Glück für mich damals war, dass es dort einen der besten internationalen Clubs im Aerobicturnen gibt, ich dort mit der internationalen Weltspitze trainieren durfte und so meine Liebe für den Sport wieder gefunden habe. Natürlich habe ich Emma schon damals mit in die Halle genommen, bis sie vier Jahre alt war, hat sie in diesem Club neben Aerobic, Rhythmische Sportgymnastik, Ballett und Gerätturnen ausprobieren dürfen, wofür sie sich am Ende entschieden hat, wissen wir ja."

Emma habe sich für das Aerobicturnen entschieden, weil sie die Abwechslung liebe und die Kombination aus Choreografie, Elementen und Übergängen. Im Alter von sechs Jahren kam die Familie zurück nach Deutschland und Emma durfte direkt bei internationalen Wettkämpfen an den Start gehen. Dabei holte sie mehrfach die Goldmedaille und stand national ganz oben auf dem Treppchen. Seither sei die Halle in Buchholz ihr zweites zu Hause. Doch anstrengen würde sie das nicht, es wäre eher schlimm, wenn das Energiebündel aufgrund einer Verletzung oder Schulaktivitäten nicht ins Training dürfe. Ein weiteres Hobby habe sie darüber hinaus aber doch für sich entdeckt:

Ich backe sehr gerne zusammen mit meinen Freundinnen, von Torten bis Kuchen oder Keksen ist da alles dabei.

EMMA EGGENSTEIN

bei den Deutschen Jugendmeisterschaften
Aerobicturnen 2023

Typischer Trainingsalltag Emma Eggenstein: 

06:30 Uhr

Der Wecker klingelt - Aufstehen (aber wird meistens 6:50 Uhr)

07:00 Uhr

Gemeinsames Frühstück

07:30 Uhr

Schule bis 13:20 Uhr - Mit dem Fahrrad zurück nach Hause zum Mittagessen

14:45 Uhr

Fahrt in die Trainingshalle - bei den Kleineren mithelfen oder Hausaufgaben machen oder mit Freunden treffen

16:30 bis 20:00 Uhr

Training, anschliessend Fahrt nach Hause, Abendbrot und ab ins Bett

Mit dem Thema "Tinkerbell" startet Emma Eggenstein 2024 in die neue Saison.

Das große Ziel, ihre erste Teilnahme an den Jugendweltmeisterschaften. Auf die Frage, ob sie dort bestimmte Platzierungen erreichen möchte, antwortete die Schülerin sehr bescheiden: "Na, Hauptsache nicht letzte." Die Cheftrainerin fügt hinzu: "Für dieses Jahr geht es erstmal um die Nominierung, wenn Emma aber dranbleibt und es bis zum Seniorbereich ohne Verletzungen schafft, sehe ich schon das Potenzial, dass sie es mal in ein WM-Finale bei den Erwachsenen schaffen kann."

Aber bis dahin sei es noch ein langer Weg, wo viel passieren kann. Denn aktuell wackeln auch die Rahmenbedingungen etwas, momentan dürfen die Aerobic-Sportlerinnen durch Eltern-Engagement in einer optimal ausgebauten Turnhalle gemeinsam mit anderen Sportarten des Blau-Weiss trainieren. "Die momentanen Bedingungen sind wirklich optimal, wir haben super Hallenzeiten und in Deutschland mit zwei speziellen Aerobic-Böden die besten Voraussetzungen, was ohne die großzügige Unterstützung der Stadt und des innovativen Vereins Blau-Weiss Buchholz e. V. nicht möglich wäre. Doch diese alte Baumarkthalle soll langfristig abgerissen werden, wir warten eigentlich jährlich auf die Nachricht. Wie es dann weiter geht, steht tatsächlich noch in den Sternen und kann einiges an unseren Plänen und vor allem Trainingsbedingungen ändern. Des weiteren ist Jenna Eggenstein im Gespräch mit der Schule von Emma, um ihr langfristig auch Vormittagstrainingszeiten zu ermöglichen. In der AK12-14 kommt sie mit den Umfängen am Nachmittag noch aus. Doch ab der AK15-17 müsste Emma auch die Möglichkeit haben, am Vormittag Trainings absolvieren zu können, um die vorgegebenen Umfänge schaffen zu können und die schwierigeren Elemente durch gezieltes Kraft- und Stabitraining verletzungsfrei turnen zu können. Emma ist jetzt in der 6. Klasse, spätestens ab der 8. Klasse benötigt sie mehr Training. Doch auch da sind sie guter Hoffnung, denn das Gymnasium am Kattenberge ist jetzt schon sehr engagiert als "Sportfreundliche Schule" und unterstützt mit Freistellungen für die Wettkämpfe von Emma. Weitere Themen eben von Randsportarten", beschreibt Jenna Eggenstein die Rahmenbedingungen.

INTERESSE GEWECKT?

Weitere Informationen zu der Sportart Aerobicturnen findet ihr auch auf der Website des Vereins Blau-Weiss Buchholz und beim Deutschen Turner-Bund.

 

 

AUSGABE         Nachwuchs 02-2024 | Mehr Sport | Erfolgreiches Mutter-Tochter-Gespann
AUTORIN          Sina Beranek