Trommeln | Bildquelle: Holger Scheel
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Von Trommlern und Pfeifern zur Orchestermusik

"Die Turner waren Revolutionäre"

Der Deutsche Turner-Bund (DTB) feiert in diesem Jahr 175-jähriges Bestehen. Und so weit gehen auch die Ursprünge der Turnermusik zurück. "1848 im Vormärz war Revolution hier in Hessen. Und die Turner waren Revolutionäre. Da gab es Bürgergarden und Turnerwehren. Die haben auch durchaus gekämpft oder versucht, Ordnung zu schaffen", weiß der TK-Vorsitzende Turnermusik im DTB, Holger Scheel. 

Kaum einer hat sich so intensiv mit der Geschichte der Turnermusik beschäftigt wie er. "So eine Turnerwehr ist dann im Gleichschritt marschiert und hat Übungen gemacht. Und da war auch immer ein Trommler dabei, der den Marschtakt geschlagen hat. Bei den Gefechtsübungen, die sie dann im Wald gemacht haben, hat dann einer mit dem Signalhorn geblasen", erklärt er. Das sei natürlich aus Sicht der Herrschenden nicht so ganz ohne gewesen. "Die Turner sind ja auch mehrfach verboten worden, 1819 bis 1842. Den Regierenden war das nicht geheuer, was die da so machten", sagt er. Bei den Gefechtsübungen, die sie dann im Wald gemacht haben, hat einer mit dem Signalhorn geblasen.

Spielmannszug Deutsche Eiche Hirschfeld | Bildquelle: SPORTSHOTS/Torsten Conradt

Ursprünglich reine Männerangelegenheit

Dass sie immer eine Trommel und ein Signalhorn dabei hatten, habe sich auch nach 1848 nicht verloren. "Die Revolution ist ja bekanntlich gescheitert. Es gab zwar eine Verfassung und Parlamente, die wieder aufgehoben worden sind. 1863 sieht man dann aber beim dritten Deutschen Turnfest in Leipzig, dass da 50 Trommler anmarschiert kamen", berichtet er. Mit einem Schmunzeln fügt er hinzu:

Heute würde man sagen es war ein Projektorchester.

Denn die seien nämlich kein Verein gewesen, sondern einem Aufruf gefolgt. Später seien dann noch die Pfeifer dazugekommen. "Die hat es so bis in die 1950er und 1960er Jahre gegeben. Da waren es dann aber schon Spielmannszüge, nicht mehr nur zwei Pfeifer und zwei Trommler. Die Größe ist dann angewachsen. Es waren 20 oder 25 Spielleute. Alles nur Männer", erläutert er. Aus denen habe sich bis heute die Turnermusik dann doch sehr vielfältig entwickelt. "Heute sind die ehemaligen Spielmannszüge zu 60 Prozent Blasorchester. Und es sind jede Menge Frauen da. Wenn ich auf meinen Verein schaue, dann sind es dort zu 60 Prozent Frauen. Die haben auch die Führung übernommen. Sie sind auch Stabführer- oder Abteilungsleiterinnen", betont er. Man müsse aber wissen, dass das früher eine reine Männerangelegenheit war. Frauen seien nicht aufgenommen worden.

Rasante Entwicklung zu Kulturträgern

Alles in allem hat nach Scheels Ansicht die Turnermusik eine rasante Entwicklung genommen. "Wir sind sehr modern geworden. Wenn ich die großen Blasorchester in Hessen rund um Frankfurt anschaue, sie spielen mit 60 Musikerinnen und Musiker und haben eine tolle Literatur, von Musical über Klassik bis hin zum Jazz. Oder sie geben zum Beispiel Konzerte im Staatstheater in Darmstadt", sagt er. In ihren Orten seien sie somit auch Kulturträger geworden. "Das ist schon eine erstaunliche Entwicklung, wenn man ihre Ursprünge anschaut. Als sie in der Turnerwehr nur den Takt geschlagen und den Marsch geblasen haben", findet der TK-Vorsitzende.

Das Sinfonische Landesblasorchester des Hessischen Turnverbandes im Staatstheater Darmstadt

Freiluftkonzert eines Blasorchesters

Heute eigenständige Abteilung

Nach Scheels Dafürhalten gilt es nun, die Turnvereine für ihre Musiker weiterhin attraktiv zu halten. "Bis in die siebziger Jahre waren die Spielleute meistens ja auch noch Turner. Heute kann man auch im Turnverein nur Musik machen. Man muss da nicht mehr Turner sein", sagt er. Zumeist sei die Turnermusik eine eigenständige Abteilung mit einem eigenständigen Ziel. Man gehe in die Musikabteilung, weil man Musik machen wolle. "Es sind nicht die Turner, die die Musik machen. Es ist ein eigenständiges Genre, alles ist nicht mehr so miteinander verbunden. Natürlich komme den Orchestern auch innerhalb ihrer Vereine eine Rolle zu. Die spielen da, wenn Musik gebraucht wird. Zum Beispiel wenn da Jahreshauptversammlung ist, wenn Weihnachtsfeier ist oder wenn der Turnverein ein Fest hat", weiß Scheel. Die meisten Orchester hätten allerdings mittlerweile ein Eigenleben entwickelt. Seien sie früher nur dazu da gewesen, etwas zu umrahmen, so machten sie heute ihr eigenes Programm, das darüber oft weit hinausgingen. "Sie machen zum Beispiel ein Neujahrskonzert oder sie machen im Sommer Freiluftkonzerte. Sie suchen sich ihre Nische und ihre Zuhörer", beschreibt er die Zielrichtung der Vereine.

Zusammenwachsen

Die Zielrichtung des TK-Vorsitzenden ist, noch ein Stück weiter zusammenzuwachsen. "Denn in den unterschiedlichen Landesverbänden, wird die Turnermusik oft unterschiedlich gepflegt. Hessen ist zum Beispiel das Land der Blasorchester, in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, da sind alles Spielmannszüge. In Thüringen gibt es ganz viele Fanfarenzüge und auch Schalmeienkapellen", beschwört er in seiner Funktion als Vorsitzender des Technischen Komitees mehr Gemeinsamkeit unter den Musikern. 

Bildquelle: Holger Scheel

Sportliches Musizieren findet in Bewegung statt

Die offizielle Bezeichnung "TK-Vorsitzender" assoziieren viele dabei mit einem sportlichen Zusammenhang. Doch passt die auch auf einen, der täglich einen Spagat zwischen den verschiedenen Musiker*innen und Musikrichtungen bewältigen muss? Scheel quittiert das mit einem Lächeln. "Na ja, das heißt so, weil das hier im Turner-Bund so üblich ist. Es gibt 19 Komitees und wir sind eines davon", erklärt er. Tatsächlich werde innerhalb des Deutschen Turner-Bunds auch das sportliche Musizieren gepflegt. Es gebe durchaus Wettbewerbe mit Wettkampfcharakter.

"In Ländern wie Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt es Landesmeisterschaften der Turnermusiker und wir werden in diesem Jahr in Regensburg mit dem ersten Deutschen Turnermusikfest auch zum ersten Mal bundesweite Meisterschaften haben. Das sportliche Musizieren findet in Bewegung statt. Zum Beispiel auf einem Sportplatz, auf dem die Formationen beim Spielen unterschiedliche Richtungsänderungen und Engstellen bewältigen müssen", führt er aus. Bewertet werde auch, wie die Orchester- und Züge dabei die eigentlich größte Aufgabe der Musik bewältigen: 

Die Menschen zu unterhalten.

Das erste Deutsche Turnermusikfest findet vom 28. April bis 1. Mai 2023 in Regensburg statt und wird vom Technischen Komitee Turnermusik im Deutschen Turner-Bund organisiert.

Es wird neben dem Bayerischen Landesturnfest 2023 eine zentrale Veranstaltung für alle Turnermusikerinnen und Turnermusiker sein!

Alle Informationen finden Sie hier.

AUSGABE  Musik 01-2023 | Mehr Sport | Die Turner waren Revolutionäre
AUTOR       Nils B. Bohl