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Friesen, Kämpfer und Friesenkämpfer

Am Anfang steht die Fechtausbildung

Mit was soll ich mich beschäftigen? Friesenkampf?

 Ja, habe ich schon einmal gehört, bestätige ich (der Autor Nils B. Bohl, Anm. der Redaktion). Mein Gehirn rattert. Bilder ziehen vor meinem inneren Auge vorbei, von wortkargen Menschen in gelben Südwestern und grünen Gummistiefeln, die sich auf Jagd nach Wattwürmern begeben und mit Hilfe langer Stäbe über Entwässerungskanäle springen. Oder auf der Straße mit Anlauf eine Rampe hinaufspringen und einen Lehmklumpen durch eine komplizierte Kombination aus Bein- und Armbewegungen in einer annähernd 360 Grad weiten Wurfbewegung 100 Meter weiter nach vorne befördern.

Philipp Gorray, Friesenkämpfer

Benannt nach Karl Friedrich Friesen

"Äh, nein", wirft mein Gesprächspartner Philipp Gorray vom Deutschen Fechter-Bund umgehend ein. "Mit dieser Art Friesen und dem von ihnen ausgeübten Friesensport hat der Friesenkampf nichts zu tun." Der Friesenkampf, lerne ich in der Folge, sei vielmehr vom Sportwart des Deutschen Fechter-Bundes und Bundesfechtwart des Deutschen Turner-Bundes, Paul Schultze, in Erinnerung an den Mitbegründer der deutschen Turnkunst, den Pädagogen und republikanisch-nationalen Freiheitskämpfer, Karl Friedrich Friesen, benannt worden.

Am Anfang steht die Fechtausbildung

Kein Wunder also, dass am Anfang jeder Karriere als Friesenkämpfer*in zunächst einmal eine Fechtausbildung steht. "Du brauchst zum Fechten am Anfang eine sogenannte Turnierreifeprüfung, womit Du einen Fechtpass bekommst. Darauf muss man hintrainieren. Du musst ein großes Regelwissen haben. Dafür braucht man als Anfänger ungefähr zwei Jahre. Als Erwachsener kann man das, wenn man ein bisschen pfiffiger ist, sogar in einem halben Jahr schaffen. Damit kannst Du dann auf Turnieren starten", erklärt mir Gorray.

Unabdingbar sei das nicht zuletzt, weil Fechten die technisch schwierigste Sportart aus den fünf Bereichen des Friesenkampfs sei. Schulzes Idee war, dass der Friesenwettkampf mit seinen verschiedenartigen Disziplinen als Ergänzung und Ausgleich für die Fechterinnen und Fechter diene. Heute hat er sich auf der Breitensportebene weiterentwickelt. "Vielleicht stellst Du irgendwann fest, dass Du als Fechter nicht der Stärkste bist. Sportlich bist Du aber gar nicht so schlecht. Wenn ihr Sprints macht, bist Du oft der Schnellste. Und dann kommt irgendwann ein Trainer und sagt, da gibt es doch den Friesenkampf. Kannst Du Schwimmen? Dann komm doch zum Friesenkampf, da schießen wir auch noch. Und vorher machen wir noch Kugelstoßen. So ungefähr waren auch meine Anfänge beim Friesenkampf", verrät Gorray mir.

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Fünf Disziplinen und eine rein deutsche Sache

Ein Blick ins Regelbuch schafft weitere Klarheit. Der Friesenkampf besteht aus den Disziplinen

  • Fechten (Degen oder Florett auf drei Treffer),
  • Schwimmen (100 m Brust oder Freistil),
  • den leichtathletischen Disziplinen Laufen (Damen Sprint, Herren Langstrecke) und
  • Kugelstoßen sowie
  • Luftgewehrschießen auf zehn Meter.

"Friesenkampf ist eine rein deutsche Sache. Europa- oder Weltmeisterschaften gibt es nicht", erzählt mir Gorray noch mit einem leichten Bedauern.

Eine Disziplin beim Friesenkampf: Schwimmen

Erst mal ein Kaffee

Denn was ihn anzieht, ist die starke Gemeinschaft. "Die Friesenkämpfer sind wie eine große Familie. Sie ziehen von einer Wettkampfstätte zur nächsten Wettkampfstätte weiter. Die Eltern sind auch meist mit dabei, man kennt sich einfach. Es ist eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft, die einfach Spaß hat, Sport zu betreiben. Dort fällt auch keine Kritik, sondern man packt stattdessen an und hilft selbst mit", schwärmt er und erzählt mir von einem typischen Wettkampf. Man trifft sich früh morgens und trinkt gemeinsam am Schießstand erstmal einen Kaffee. Man tauscht sich aus, denn man trifft sich ja nur zweimal im Jahr. Das schafft eine Art verschworene Gemeinschaft. Dann werde geschossen. "Viel zu früh. Ich glaube, bei wenigen Sportarten geht es so früh mit dem aktiven Wettkampf los", sagt Gorray mit einem Schmunzeln.

Das Schießen

Die Friesenkämpferinnen und -kämpfer zeichne gerade aus, dass sie in allen Bereichen keine Vollprofis seien. "Da kommt der eine in der vermeintlichen Vollprofi Ledermontur, in der man sich kaum bewegen kann und damit auch der Puls nicht auf das Gewehr übertragen wird. Der andere kommt nur im T-Shirt, weil er ohnehin nicht mehr Punkte schießen kann oder nicht mehr Geld investieren konnte oder wollte. Und dennoch holt gerade er sich am Ende manchmal mehr Punkte als der voll ausgestattete Superschütze", beschreibt Gorray das Treiben bei der morgendlichen Jagd nach Ringen am Schießstand.

Das Kugelstoßen

Als nächstes stehe das Kugelstoßen auf dem Programm. "Das ist, glaube ich, von fast jedem Friesenkämpfer die absolute Hass-Disziplin. Kugelstoßen ist für alle eine Qual", lacht Gorray. Zumindest könne das fast keiner so richtig gut. Denn zuletzt hätten das alle irgendwann mal in der Schule gemacht. "Und auch in den Fechtvereinen gibt es kaum Leichtathletiktrainer. Es sei denn, es ist dem Verein eine solche Abteilung angeschlossen und ein Trainer dort erbarmt sich, Dir ein bisschen Kugelstoßen beizubringen", räumt er ein.

Das Schöne am Wettkampf sei daher dann, dass man von allen Seiten Tipps bekomme. "Sogar vom Gegner. Denn für alle da steht nicht das Gewinnen im Vordergrund, sondern das Ziel, einen schönen Tag zu haben, wenn man die eigene Bestleistung wieder einmal überbieten kann", findet er.

Die Laufdisziplinen

Nach der Krafteinheit geht es im Wettkampf weiter mit den Laufdisziplinen. "Bei den Herren kommt als nächstes der 1.000 Meter Lauf. Das ist eine so mörderische Strecke, dass ich hinterher auch nie wusste, wie ich die zweieinhalb Runden eigentlich geschafft habe. Die Damen und die älteren Herren haben stattdessen den 100 Meter Sprint", berichtet mir Gorray und packt die ein oder andere Wettkampfanekdote aus dem Rucksack. "Da kommt es dann schon einmal vor, dass die 60-jährige, ältere Dame, die schon zwei Hüft-OPs hatte und deswegen eigentlich gar nicht sprinten kann, mit dem Starter diskutiert, dass sie nicht aus dem Startblock starten kann. Bis der Starter dann irgendwann zähneknirschend aufgibt und sagt, dann mach doch einen Hochstart. Worauf die Frau dann die 100 Meter im Walking Style abreißt und die Leute auf der Tribüne trotzdem alle applaudierend aufstehen und sie anfeuern. Ich glaube, es zeichnet jeden Friesenkämpfer aus, dass er diese persönliche Höchstleistung gibt, auch wenn er gerade mehr nicht abliefern kann", sagt Gorray.

Das Schwimmen

Brust sei dann die Lieblingsdisziplin der Kampfrichter*innen. "Man muss den Friesenkämpfern hin und wieder auch mal erklären, wie man richtig losstartet. Auch das Anschlagen mit beiden Händen ist immer ein bisschen problematisch", flachst Gorray.

Das Fechten

Und dann kommt der Vizepräsident des Deutschen Fechter-Bunds auch zu seiner Heimatdisziplin: dem Fechten. "Das ist dann die Disziplin, wo es erstmals nicht nur darum geht, seine eigene Leistung zu verbessern und sich mit dem anderen zu freuen, wenn der das auch schafft", betont Gorray. Denn schließlich sei Fechten ein Duell-Sport. "Es ist die Disziplin, wo es am Ende Mann gegen Mann und Frau gegen Frau geht. Dort ist die Regel ganz klar: Wer alles gewinnt, hat am Ende 16 Punkte. Wer alles verliert, hat am Ende null Punkte", erklärt mir mein Gesprächspartner. Ich verstehe. Am Anfang gemeinsam durch Dick und Dünn. Und wenn wir alles hinter uns gebracht haben, finden wir mit Degen oder Florett den König oder die Königin der Friesen… Fechter… Kämpfer… Friesenkämpfer.

Die Fechterin und Olympiasiegerin Britta Heidemann, werfe ich noch ein, sei ja auch eine begnadete Friesenkämpferin gewesen. "Die werde auf diese Vergangenheit aber eher ungern angesprochen", erklärt mir mein Gegenüber. Gut, denke ich, dann eben nicht. Ich aber fand diesen Ausflug in die Welt des Friesenkampfs sehr unterhaltsam. Und er hat meine Neugier auf mehr geweckt. Sogar Anschauen würde ich mir das einmal gerne. Selbst wenn der mir morgendlich gereichte Kaffee am Schießstand dann wohl etwas größer ausfallen müsste.

Eine Frage habe ich dann doch noch:

"Warum sollte ich mich für den Friesenkampf entscheiden und nicht für den mithin olympischen Modernen Fünfkampf?", frage ich. "Weil man dafür kein Pferd braucht", kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Womit wir auch diese Frage geklärt hätten.

Fröhliche Weihnachten!

AUSGABE  Sportarten 06-2022 | Mehr Sport | Am Anfang steht die Fechtausbildung
AUTOR       Nils B. Bohl