Joetsu City | Bildquelle: Adobe Stock
Turn-Team Deutschland

Die Stadt der Vorbereitung

Joetsu City - in der Präfektur Niigata in Japan

Aus der Premiere soll eine langfristige Freundschaft werden. Zumindest wünscht man sich das in Joetsu, einer knapp 200.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Küstenstadt in der japanischen Präfektur Niigata. Hier haben die deutschen Gerätturnerinnen und -turner vor den Olympischen Spielen ein einwöchiges Trainingslager absolviert. Die Bedingungen waren, mal abgesehen vom schweißtreibenden Klima, perfekt dafür: Männer und Frauen konnten an den gleichen Geräten üben, an denen sie auch beim Großereignis in Tokio ihre Vorträge präsentieren werden. Das Miteinander habe die Sportlerinnen und Sportler, wie DTB-Cheftrainerin Ulla Koch erzählt, vor dem Saisonhöhepunkt noch einmal zusätzlich "beflügelt".

Virtueller Empfang des Oberbürgermeisters

Der Aufenthalt des Turn-Team Deutschland sollte ursprünglich als großes Fest zelebriert werden, mit Empfängen, Begegnungen und öffentlichem Training. Die Corona-Pandemie hat dem einen Riegel vorgeschoben. Oberbürgermeister Hideyuki Murayama begrüßte die Gäste nur virtuell, und statt der halben Stadt schwenkte lediglich eine überschaubare Auswahl an Bürgerinnen und Bürgern bei ihrer Ankunft schwarz-rot-goldene Fähnchen. 

Herzlich willkommen und optimal umsorgt fühlte sich die DTB-Delegation, die im Hotel aus Sicherheitsgründen neben eigenen Räumen auch über einen separaten Fahrstuhl verfügte, trotzdem.

Einer, der sehr großen Anteil an ihrem Kommen hatte, musste das Geschehen aus der Ferne verfolgen. Koji Takizawa konnte wegen der Einschränkungen durch die Covid-19-Krise nicht aus seinem Wohnort nahe Tokio in seine Heimat reisen. "Vielleicht", sagt der langjährige Funktionär und ehemalige Vize-Präsident des Turnweltverbandes FIG, "schaffe ich es zu den Wettkämpfen." Das habe er mit DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam ausgemacht. Die beiden kennen sich von der früheren Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. 

Auch sonst pflegt Takizawa seit Jahrzehnten zahlreiche Beziehungen zu Deutschland. Als Student war er 1965 an die Deutsche Sporthochschule (DSHS) in Köln gekommen. "Ich wollte eigentlich nicht mehr selbst turnen, sondern wissenschaftlich arbeiten", sagt er. Sprung-Olympiasieger Helmut Bantz, der damals an der DSHS unterrichtete, überredete ihn jedoch, weiterhin zu Barrenholmen und Ringen zu greifen. "Er hat mir die vielen älteren Semester gezeigt, die damals dort turnten", sagt Takizawa. Aus dem eigenen Land war er das nicht gewohnt.

Das war für mich ein Kulturschock.


Mit neuem Eifer kehrte er an die Geräte zurück, wurde unter anderem 1968 in Berlin Turnfestsieger im Zwölfkampf und, wie er selbst lächelnd sagt, "ein Star". Im gleichen Jahr lud ihn der Westdeutsche Rundfunk ein, sich während der Spiele in Mexiko ein Fernduell mit den japanischen Nationalturnern zu liefern, um zu zeigen, dass er, entgegen eigener Überzeugung, gut genug für eine Teilnahme gewesen wäre. 

Die eigenen Tradition wiederbeleben

Das große Interesse an Deutschland resultiert in der japanischen Sportszene seinen eigenen Angaben nach daraus, dass Friedrich Ludwig Jahn hier das Turnen begründete. Als in Joetsu der Gedanke daran reifte, die eigene Tradition darin wiederzubeleben, wurde deshalb der Entschluss gefasst, die Nähe zu den Europäern zu suchen. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin stand ein Sohn der Stadt, Dokan Sone, im japanischen Nationalteam. Doch die jüngsten Erfolge sind schon länger her. Auch mit Blick auf die Gesundheit der Bevölkerung will der Oberbürgermeister für einen neuen Aufschwung sorgen.

In entsprechende Infrastruktur wurde bereits investiert. Im Oktober 2015 war zudem beschlossen worden, die deutschen Nationalteams vor den Olympischen Spielen im eigenen Land einzuladen. Takizawa, der den Verantwortlichen vorher bereits viel von seinen Erfahrungen in Deutschland und mit dem dortigen Vereinssystem erzählt hatte, wurde aufgrund seiner guten Kontakte um Hilfe gebeten. Er ließ sich von Willam sagen, was man zum Wohle der Mannschaften brauchen werde. "Es wurden fast alle Wünsche erfüllt", sagt Takizawa, darunter die Ausstattung der Halle mit den speziellen Geräten.   

Auf einige Annehmlichkeiten, etwa die Nutzung der benachbarten Schwimmhalle, musste pandemiebedingt verzichtet werden. Takizawa findet das nicht so schlimm. Es werde, nachdem kleinere Gruppen mit deutschen Turnern und Funktionären schon früher mal in Joetsu auftauchten, noch weitere Gelegenheiten zu Besuchen geben, glaubt der mittlerweile emeritierte Professor der Nippon Sport Science University.

Wir haben in der Zukunft noch sehr viel Zeit.

AUSGABE  Olympia 01-2021Turn-Team Deutschland | Joetsu City
AUTORIN   Katja Sturm