Postkarte Freiheitskampf von 1848 | Bildquelle: Archiv
Fundstück

Postkarte zur Erinnerung an den Freiheitskampf von 1848

In zahlreichen Veranstaltungen wird derzeit der demokratischen Traditionen des Deutschen Turnens gedacht. 175 Jahre sind es her, seit in Hanau am 2. April 1848 der Deutsche Tunerbund gegründet wurde, in dessen Tradition sich der heutige Deutsche Turner-Bund sieht. Er legte sich nicht auf eine bestimmte "staatliche Richtung" fest.

Demokratisch orientierte Turner und Vereine gründeten, ebenfalls in Hanau nach einem gescheiterten Vermittlungsversuch, am 3. Juli 1848 den Demokratischen Turner-Bund, dessen "Zweck" auf die Errichtung eines "volksthümlichen Freistaates - der demokratischen Republik -" zielte. Einzelne Turner und ganze Vereine waren in die demokratische Volksbewegung eingebunden, viele 1849 an der pfälzisch-badischen Revolution beteiligt. Die Hanauer, z. B., stellten unter ihrem Anführer August Schärttner ein Bataillon, das Richtung Süden zog, um sich in Baden den kämpfenden Revolutionären anzuschließen. Nach der Niederschlagung der Revolution durch überwiegend preußische Truppen, mussten die Turner vor der Verfolgung fliehen. Der Großteil der Vereine, besonders in Südwestdeutschland wurde für zehn Jahre verboten. Nur wenige überlebten in Norddeutschland als kläglicher Teil des ersten Turnerbundes. Erst ab 1860 kam es wieder zur Wiederbelebung des Turnens und 1868 schließlich zur Gründung der Deutschen Turnerschaft (DT). In ihrer eher konservativen Grundeinstellung ließ sie sich zusehends in den preußischen Obrigkeitsstaat einbinden.

Sowohl DT als auch der heutige DTB taten sich lange schwer damit, sich auf ihre demokratisches Erbe zu beziehen, das aber in Hanau stets präsent war. Das heutige "Fundstück" passt die Zeit des Erinnerns nach dem verlorenen Weltkrieg von 1939-1945.

Die nicht gelaufene Postkarte zeigt im Zentrum (im Vordergrund rechts) die Front des Neustädter Rathauses in Hanau, links dahinter die (noch unzerstörte) Wallonisch-Niederländische Kirche, in der 1848 der Deutsche Turnerbund gegründet wurde.

Sowohl die Umrahmung in Schwarz-Rot-Gold als auch das Zusammenzwingen von Friedrich Ludwig Jahn mit dem Revolutionär August Schärttner (oben rechts) ist dem Zeitgeist geschuldet. Bekanntlich war Jahn ein "Demokratenhasser" und Schärttner, der Revolutionär, nicht direkt ein Freund Jahns. Er starb 1853 im englischen Exil.

Neben dem Wappen der Grafschaft Hanau wird an die Beteiligung der Hanauer Turner am "Freiheitskampf des deutschen Volkes" erinnert. Der Spruch und die Gestaltung der Karte dürfen als Zeichen interpretiert werden, sich von der noch lange nach dem Krieg in Kreisen der Turner vorherrschenden Haltung zu distanzieren. Bekanntlich hatte sich die Deutsche Turnerschaft nie mit den Farben der Revolution anfreunden können und die Kämpfe der Jahre 1848/49 stets als Jugendsünden entweder verschwiegen, lächerlich gemacht oder umgedichtet. Selbst die Rückbesinnung auf sein "demokratisches Erbe" sollte dem DTB erst 1993 gelingen, nachdem in norddeutschen Vereinen Dokumente über den Fortbestand des Deutschen Turnerbundes aufgefunden werden konnten. Bis dahin galt die Lesart der "Vorgeschichte" und Neugründung der Deutschen Turnerschaft nach dem ominösen "Ruf zur Sammlung", eine Legende, die sich bis heute hält und verbreitet wird.

AUSGABE         Medien 04-2023 | Historisches | Fundstück Postkarte
AUTOR              Dr. Lothar Wieser