Kampagne aktiv(er)leben | Bildquelle: DTB-Archiv
Historisches

Das Allgemeine Turnen

Flaggschiff der Verbandsentwicklung

Anspruchsvoll ist der DTB schon immer gewesen, wenn es um verbandspolitische Zielsetzungen im Bereich des Breiten-, Freizeit- und Gesundheitssports geht.

In der Perspektivplanung 2005-2009 stellt er für den Verbandsbereich Allgemeines Turnen als Kernaufgaben heraus:

  • Sicherung der Marktführerschaft im Fitness- und Gesundheitssport durch bedarfsgerechte Angebote für junge Erwachsene sowie für das mittlere Erwachsenenalter, insbesondere für Mädchen und Frauen.
  • In den Altersgruppen von 20 – 60 Jahren erhöhen wir innerhalb von 5 Jahren unsere Mitgliederzahl um mindestens 10%.

Das Profil des DTB als Marktführer im Breiten-, Freizeit- und Gesundheitssport hat sich vor allem seit Ende der 70er Jahre geschärft. Die Basis dafür liegt in der mehr als 200-jährigen Tradition des Turnens mit den Bewegungskonzepten der Philanthropen und von Friedrich Ludwig Jahn.

Ihre Ziele und Prinzipien werden auch heute noch im Allgemeinen Turnen verfolgt, wie Stärkung der körperlichen Fitness durch Training grundlegender körperlicher Fähigkeiten, Stärkung der Gesundheit und des Wohlbefindens, Körperertüchtigung als Mittel der Erziehung und Bildung, Partizipation statt Selektion, kein wettkampfmäßiger Leistungsvergleich.

Traditionell, aber weitgehend wettkampffrei

Mit der Wiederbegründung des DTB nach dem 2. Weltkrieg wurde die traditionelle, weitgehend wettkampffreie Bewegungskultur des Turnens wieder aufgenommen. Sie ist unter wechselnden Oberbegriffen und sich immer wieder verändernden Inhalten bis heute die stärkste Säule des DTB geblieben. Wie schwer es ist, dieses vielseitige Bewegungskonzept mit einem eindeutig erklärenden, im Inneren des Verbandes wie auch nach außen hin klar erkennbarem Begriff zu belegen, zeigt der häufige Wechsel der Begrifflichkeit. Was in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts "volkstümliches Turnen" hieß, wurde in den 60er Jahren zum "Turnen für Jedermann" und Anfang der 70er Jahr zum "Turnen als Freizeitangebot für alle". 

Turnen vs. Sport

Ende der 70er Jahre wurde dann qua Satzung zwischen "Turnen" (als dem freizeitorientierten Turnen) und "Sport" (als das leistungs- und wettkampforientierte Turnen) unterschieden. Das "Turnen" wurde dann häufig mit dem Untertitel "…als Breiten- und Freizeitsport" versehen. Seit 1990 wurde in Anlehnung an die Begrifflichkeit des Internationalen Turnerbundes die Bezeichnung "Allgemeines Turnen" eingeführt. Dann wurde auch dieser Begriff als nicht mehr zeitgemäß und aussagekräftig genug empfunden. Er wurde durch die neue Marke GYMWELT abgelöst.

Trimmy, Turni, Aktiv im DTB

Unter dem Einfluss der Trimm-Kampagne, die der DSB 1970 als offenes freizeitsportliches Angebot für jedermann startete, geriet der DTB immer stärker in Zugzwang, auch seine breiten- und freizeitsportlichen Angebote deutlicher zu profilieren und eigene Wege zu gehen.

So setzte er dem Trimmy des DOSB den Turni des Schwäbischen Turnernbunds als Symbolfigur entgegen (1975); und anstatt der Trimm-Medaille führte der DTB die Nadel Aktiv im DTB ein, die von den Leistungsanforderungen her anspruchsvoller war und eine Teilnahme an 30 Übungsstunden forderte.

TRIMMY | Maskottchen DOSB

TURNI | Maskottchen Schwäbischer Turnerbund

Die Trimmspiele

Wenn sich auch der DTB seit 1972 an den Trimmspielen des DSB mit beteiligt hat (zunächst mit "Turn mal wieder", später mit dem "Gymnastiktreff"), so geschah das wohl eher mit halbem Herzen, um nicht gänzlich als Außenseiter abgestempelt zu werden. In den Umsetzungsstrategien des DTB haben diese Projekte keine rechte Verankerung in der Vereinsarbeit gefunden und wurden relativ schnell wieder fallen gelassen. Er rückte demgegenüber das Turnen mit seinen sozialen Komponenten in den Blickpunkt und entwickelte Schwerpunktprogramme zum Kinderturnen, Sonderturnen und Familienturnen. Einen Neuansatz zu einer dynamischen Breiten- und Freizeitsportentwicklung des DTB gab es dann seit Anfang der 80er Jahre.

Als der DSB 1983 mit "Trimming 130" auf das Gesundheitsmotiv setzte und später durch SYDNE ROME bzw. MARLENE CHARELL die Aerobic-Welle als Ausdaueraktivität in Deutschland vorgestellt wurde und begeisterte Aufnahme insbesondere bei jüngeren Frauen fand, reagierte der DTB blitzschnell. Bereits beim Turntag Ende 1982 wurde das Aktionsprogramm "Sport und Gesundheit im Turnverein" verabschiedet und noch im Verlauf des Jahres 1983 erschien das vom DTB herausgegebene Lehrbuch für eine Zusatzausbildung von Übungsleitern mit dem Titel "Aerobic-Gymnastik für die Praxis".

Die Aerobic-Welle schwemmte dem DTB dank seiner schnellen Umsetzung der Angebote in die Vereinspraxis Mitte der 80er Jahre sprungartig eine große Menge neuer Mitglieder zu, insbesondere bei den jüngeren Frauen.

Mitgliederzuwachs dank Hilfestellung für die Turnvereine

Es ist auffällig, dass auch in der innerverbandlichen Kommunikation der 80er bis weit hinein in die 90er Jahre im Rahmen einer ausgeprägten "Leitbilddiskussion" das besondere Profil des DTB mit seinem Schwergewicht im Breiten- und Freizeitsport offensichtlich immer wieder herausgestellt werden musste. Das DTB-Leitbuch 1984-1987 lieferte dazu ebenso Belege wie die Leitthemen der Turntage, die vom Gesundheitsthema "Sport und Gesundheit im Turnverein" über verschiedene Zielgruppenthemen (u.a. Kinder, Ältere, Familien) bis hin zu den Schwerpunktprogrammen der 90er Jahre fast ausschließlich freizeit- und gesundheitssportliche Entwicklungsfelder diskutiert haben. Durch verstärkte Fortbildungsmaßnahmen für Multiplikatoren, Arbeitshilfen in Form von Videokassetten und Praxis-Broschüren sowie durch eine sechsbändige Lehrplanreihe wurden die Entwicklungsstrategien im Allgemeinen Turnen auch in der Praxis der Verbandsarbeit unterstützt. Dabei war es bereits in dieser Zeit ein prägendes Merkmal der Kampagnen und Aktionsprogramme des DTB – und darin unterscheidet er sich wohl auch von den "Dachkampagnen" der Trimm-Ära des DSB – dass alle Maßnahmen im Wesentlichen als Hilfestellungen direkt für die Vereinsarbeit aufgebaut waren, mit denen die Turnvereine neue Zielgruppen ansprechen und ein zielgruppenadäquates Angebot unterbreiten konnten. An der Mitgliederentwicklung lässt sich ablesen, wie erfolgreich diese Bemühungen waren. Zwischen 1985 und 1995 verzeichnete der DTB einen Zuwachs von fast 1 Millionen Mitgliedern, wobei ca. 2/3 Frauen zwischen 19 und 60 Jahren waren.

Marktführer DTB

Beim Turntag in Bremen (1986) wurde mit dem Aktionsprogramm "Turnen ist aktive Freizeit" ein weiterer entscheidender Schritt in Richtung Marktführerschaft des DTB im Freizeit-, Fitness- und Gesundheitssport gegangen. Mit der auf dem Aktionsprogramm aufbauenden Kampagne aktiv(er)leben gewann diese Entwicklung dank massiver Sponsorenunterstützung eine ungeahnte Dynamik. Der Sponsorenvertrag mit der Firma Kraft General Food führte dem DTB über 10 Jahre lang jährlich 1 Million DM an Fördermitteln explizit für die Freizeit- und Gesundheitssportentwicklung zu.

Das Aktionsprogramm aktiv(er)leben und die darauf aufbauenden, sich zeitlich überlappenden Schwerpunktprogramme Fitness/Gesundheit (1994/95), Gymnastik/Tanz (1995/96), Kinder/Jugend (1996/97), Ältere (1997/98) hat über mehr als ein Jahrzehnt die Freizeit- und Gesundheitssportentwicklung im DTB bestimmt. Auch nach seinem Auslaufen Mitte der 90er Jahre hat es insoweit weitergewirkt, als dass die bis dahin aufgebauten Vermittlungsinstrumente (z.B. "Akademie vor Ort"; DTB-Akademie; Ü-Magazin) bis heute noch wirksam sind und mit anderen Mitteln erfolgreich weitergeführt werden.

Die Basis für die heutige führende Stellung des DTB im Bereich des zielgruppenorientierten Freizeitsports, insbesondere auch im Fitness- und Gesundheitssport ist in einem spannungsreichen, herausfordernden und innovativen Entwicklungsprozess des Allgemeinen Turnens der 80er und 90er Jahr geschaffen worden, der zu einer dynamischen Ausweitung der Vereinsangebote und einem damit verbundenen Mitgliederschub, insbesondere bei den Kindern, den Frauen und den Älteren, geführt hat.

AUSGABE  175 Jahre 02-2023 | Historisches | Flaggschiff der Verbandsentwicklung
AUTOR       Prof. Dr. Herbert Hartmann