Karin Büttner-Janz bei der Bodenübung | Bildquelle: Picture Alliance
Historisches

50 Jahre München

Eine Olympiasiegerin stellt Fragen

An die Stätte ihres größten olympischen Erfolges will Prof. Dr. Karin Büttner-Janz bei den European Championships in München am 14. August 2022 zurückkehren.

Ich habe schon im Oktober Tickets für Wettkämpfe in der Olympiahalle gekauft.

Das verrät die Doppel-Olympiasiegerin der Spiele von 1972.

In der bayerischen Landeshauptstadt hatte sie als Mitglied der Mannschaft der DDR Gold am Sprung und am Stufenbarren gewonnen sowie zwei silberne und eine Bronze-Medaille mit nach Hause genommen. 

Olympisches Dorf München 2022 aus der Vogelperspektive

Olympische Spiele 1972 - frei, offen und freudebetont

Was der damals 20 Jahre alten Karin Janz von den Olympischen Spielen 1972 im Gedächtnis haften blieb, waren die Farben. "Das war eine bunte Welt für mich. In der DDR war alles, was mit Werbung und vieles, was mit bunten Farben zu tun hatte, unterrepräsentiert und nicht von Bedeutung", sagt sie. In der Bundesrepublik herrschte die Marktwirtschaft und das bedeutete, es muss hervorstechen und dadurch werbeträchtig sein.

"Da sind Farben, ist das Visuelle, natürlich extrem wichtig. Auf mich hat das einen positiven Eindruck gemacht, ein positives Gefühl hervorgerufen", betont sie. Schön war auch, dass man sich im Olympischen Dorf frei bewegen konnte. "Ich kann mich nicht an irgendwelche Restriktionen erinnern. Da war alles frei und offen. Es war ein freudebetonter, zwangloser Umgang", sagt sie.

Zum Sport gehört eine friedliebende Welt

Gänzlich anders verhielt es sich mit dem Attentat 1972 auf das israelische Team. "Wir sind an dem Tag, am 5. September, mittags zurückgereist. Wir haben früh gerade noch mitbekommen, dass etwas ganz Schlimmes in der Nacht passiert sein musste", erinnert sie sich.

Das Attentat war furchtbar, das komplette Gegenteil von dem, was sie mit Olympischen Spielen verbindet:

Freundschaft, Frieden, Fairness, Wohlbefinden, Freude, Leistung, Leistungsvergleich, positive Energie.

"Natürlich haben wir dauerhaft versucht, mit den damaligen, im Vergleich zu heute sehr begrenzten Medienmöglichkeiten, mehr in Erfahrung zu bringen", sagt sie. "Niemals wieder darf ein Attentat anlässlich Olympischer Spiele passieren, zum Sport gehört eine friedliebende Welt", ist sie überzeugt.

Erste Spiele mit Eigendarstellung der DDR

Aus Sicht der damaligen DDR-Athletin hatten die Spiele in München aber auch aus anderem Grund eine ganz besondere Komponente.

"München hat es im Vergleich zu Mexiko-City 1968 noch einmal getoppt, indem alles auf die DDR bezogene eine Eigendarstellung erhielt: eigene Mannschaft, eigene Fahne, eigene Hymne", sagt sie.

In Tokio 1964, also 8 Jahre vor München, war die Olympiamannschaft noch in allem "gesamtdeutsch". In Mexiko 1968, erinnert sie sich, gab es dann schon zwei Mannschaften.

"Wir waren da schon eine eigene DDR Mannschaft, hatten aber noch das gemeinsame Emblem mit Schwarz-Rot-Gold und den olympischen Ringen darauf und die gemeinsame Hymne ‚Ode an die Freude", sagt sie.

Für wen sind eigentlich Athleten bei Olympischen Spielen unterwegs?

Für Büttner-Janz führen diese Überlegungen zu heutigen zentralen Fragen. Macht es für einen Sportler einen Unterschied, ob man nur für die Familie, Freunde und für sich an den Start geht, natürlich auch für die Trainer, Betreuer, medizinischen Behandler und weitere Personen, oder ob es eine definierte Grenze gibt, ein Land, das man mit seiner sportlichen Leistung vertritt, dessen Bevölkerung hinter einem steht.

Das heißt "Für wen sind eigentlich Athleten bei Olympischen Spielen unterwegs? Für das NOK ihres Landes? Oder für ihr Land?", fragt sie sich und ergänzt: "Ich kann mich nicht erinnern, dass beim Einmarsch auf den Schildern mehr stand als die Bezeichnung des Landes, aus dem die Athleten kamen, dass da etwas zum Nationalen Olympischen Komitee vom jeweiligen Land stand."

Verbindung zwischen Sport und Frieden

Letztendlich ist die Medizin-Professorin überzeugt, hätten Olympische Spiele und auch diese Europameisterschaften einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert, sie senden ein Signal an die Politik. Man könne nicht einfach nur sagen, die treiben da Sport.

"Nein, es sind Vertreter, Athleten - und wie man weiß, auch Funktionäre aus dem jeweiligen Land, die miteinander können müssen, um friedliche Wettkämpfe gemäß den gültigen Regularien durchzuführen. Sonst funktionieren die Wettkämpfe nicht, sonst kommt auf jeden Fall nicht das zustande, was die Absicht ist, vielleicht sogar das Gegenteil", betont sie. Schon zu DDR-Zeiten war Büttner-Janz engagiert im Friedenskampf.

"Ich habe immer die Verbindung zwischen Sport und Frieden gesehen. Nämlich, dass die Sportler dieser Welt zusammen mit ihrem Umfeld, das für die Erzielung ihrer Höchstleistungen mit tätig ist, zeigen, dass friedlicher Wettstreit geht, egal, ob man sich gerade leiden kann oder nicht", sagt sie.

Weil es im Hochleistungssport klare Regeln gibt, an die sich jeder halten muss, weil man gegeneinander friedlich kämpfen will. Vielleicht ist das eine Blaupause.

Gutes Beispiel: Weltraumzusammenarbeit

Büttner-Janz ist ganz Wissenschaftlerin und sie hinterfragt noch mehr.

 Warum werden Sportler ausgeschlossen, wenn ein Staatsoberhaupt einen Weg einschlägt, der völlig zurecht von sehr vielen Menschen der Welt nicht akzeptiert und hart verurteilt wird?

 Welche Schuld haben die Sportler daran, warum wird ihnen das Erbringen ihrer Höchstleistung anlässlich internationaler Wettkämpfe nicht ermöglicht, wenn ihre Teilnahme von den sportlichen Entscheidungsträgern akzeptiert und sichergestellt werden kann?

Schließlich gebe es auch die Weltraumzusammenarbeit. "Die ISS ist weiterhin unterwegs, mit stets gemischten Besatzungen aus diversen Ländern und internationaler Ost-West-Kooperation. Warum macht man den Cut bei Hochleistungssportlern und findet keinen Ausweg?", fragt sie. "Wegen des großen Dopingskandals auf staatlicher Ebene konnte für unbeteiligte Athleten eine Lösung zur Teilnahme an Olympischen Spielen gefunden werden. Sie gingen ohne Flagge und ohne Hymne ihres Landes an den Start und durften so bei den Wettkämpfen ihre über viele Jahre antrainierte sportliche Leistung zeigen, was zu den Werten der olympischen Bewegung passt."

Qualitätssprung durch klassisches Ballett

Den eigenen Bezug zum Turnen hat Büttner-Janz nicht verloren. Als Vereinsmitglied der KunstTurnRegion Berlin steuert sie ihr Wissen bei, unterstützt sie, um eine künftige leistungsstarke Generation an Turnerinnen zu entwickeln. "Ich habe nicht den kompletten Überblick, aber ich habe aus Wettkämpfen den Eindruck, dass es noch nicht gut genug ist. Was ich vor allem vermisse, ist ein extensives klassisches Ballett in ganz frühen Jahren. Nicht um Schwanensee vorzuführen und weil das alles so schick aussieht. Man lernt mit dem klassischen Ballett seinen Körper grundlegend kennen. Man bekommt ein ganz anderes Körpergefühl, was sich nicht nur beim Bodenturnen, sondern zum Beispiel dann auch auf dem Schwebebalken zeigt. Das betrifft zusätzlich die Sicherheit auf dem Balken, nicht nur das ästhetische Aussehen", sagt sie. Eine sehr gute Ballettausbildung nehme auch positiven Einfluss auf das moderne, primär athletisch geprägte Turnen.

Als Indiz dafür führt sie sich selbst an, hatte sie doch vor den Olympischen Spielen in München das Glück zu einer strengen klassischen Ballettausbildung durch Solotänzer des Bolschoi-Balletts.

"Wenn ich meine alten Filme anschaue, sehe ich einen richtungsgebenden Sprung in dem, was ich turnte. Durch das klassische Balletttraining ist ein absoluter Qualitätssprung entstanden", sagt sie. "Wenn ich dann heutzutage im Wettkampf sehe, dass bei gymnastischen Übungen die Schultern direkt unter den Ohren sind, weiß ich, dass so etwas niemals passiert, wenn man eine klassische Ballettgrundausbildung hat", ist sie überzeugt.

Klassisches Ballett sei eigentlich ein Nebenschauplatz, der aber ästhetisch und von der Mittelkörperspannung her sehr wichtig sei und am Ende auch dafür, wie gut man z. B. eine Drehung hinbekäme oder eben nicht. Die klassische Ballettausbildung durch Profis auf dieser Strecke sollte nach Büttner-Janz‘ Ansicht möglichst früh erfolgen, den ganzen Körper einbeziehen.

"Das ist wie beim Erlernen des Autofahrens. Am Anfang sind alle Schilder gleich wichtig. Später sieht man nur noch die Hauptschilder. Man weiß, dass z. B. Vorfahrt immer wichtig ist. Und dann gibt es noch Nebensächlichkeiten aller Art. Wenn eine Turnerin auf alle Details gleichzeitig eingehen muss, inklusive z. B. auf die Schulterhaltung bei bestimmten gymnastischen Elementen, dann konzentriert sie sich auch auf etwas, was nicht den Hauptinhalt ihrer Übung ausmacht, wodurch schneller Fehler entstehen. Wenn man eine Ausbildung im klassischen Ballett hat, braucht man auf so etwas gar nicht mehr zu achten, weil man es von alleine richtig macht. Sehe ich heute die AK 10 bis AK 12, dann fehlt so etwas", bedauert sie.

Rückkehr ins Münchner Olympiastadion

Zurückkehren möchte Büttner-Janz auch in das Münchner Olympiastadion. "Am Dienstagabend habe ich dann noch vor, die Leichtathletik zu besuchen", bestätigt sie. Sie wolle zwei wesentliche Orte, an denen sie vor 50 Jahren gewesen sei, mit heutigem Feeling erleben.

"Das Stadion ist ja das, wo 1972 die Eröffnungsveranstaltung stattfand. Ich konnte damals wegen einer Fußverletzung nicht mit einlaufen, war aber als Zuschauerin dabei", erinnert sie sich.

Und sie hofft, dass die European Championships ein ähnlich buntes Event werden, wie die Spiele von 1972 es waren. "Ich glaube, dass so ein Event mit viel Freundlichkeit und Frohsinn einhergehen kann und die Bereitschaft fördert, selbst freundlich zu sein und so von anderen empfangen zu werden", sagt sie.

Gespannt blickt sie auch auf das, was sie aus München gedanklich mit nach Hause nehmen wird, welche interessanten Fragen vielleicht bei ihren Erlebnissen in München entstehen. "Stillstand geht bei mir gar nicht. Es muss bei mir immer vorwärts gehen. Und zwar positiv vorwärts. Wenn das nicht so ist, dann überlege ich, was es zu verändern gilt, damit die Richtung wieder stimmt". 
 

Back to the Roofs | Bildquelle: Marc Müller

AUSGABE  München 04-2022 | Historisches Eine Olympiasiegerin stellt Fragen
AUTOR       Nils B. Bohl