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Historisches

Von den Deutschen Turnern zu den …

American Turners

Bei einem Streifzug durch die USA finden sich auch noch Reste des Turnvereinswesens, das Mitte des 19. Jahrhunderts entstand und bis in die Gegenwart auf nationaler Ebene organisiert ist. 2023 kann der erste amerikanische Turnverein, die heutigen Cincinnati Turners, seinen 175. Gründungstag feiern, und 2023 wird das nationale Turnfest ausgetragen, das wie in Deutschland in der Regel alle vier Jahr stattfindet.

Das Foto aus einer Privatsammlung zeigt die New Yorker Turners in den späten 1920er Jahren. Turner Frank Wedl schrieb: "Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese Damen in der Tanzabteilung (Klasse) eingeschrieben waren. Ich erkenne die Dame am linken Ende der Leitung als Olga First, die Ehefrau von Turner Milton First, der viele Jahre lang Erster Redner/Präsident unserer Gesellschaft war." Turner Hans Sammer fügte hinzu, dass er glaubt, dass die dritte Dame von links Wilhelmina Mey sein könnte. Quelle: https://americanturners.org/our-history-2

Turnen und Politik

Die Turnvereine gehören zu den bedeutendsten Vereinen, die die Deutschen in den USA gegründet haben. Insgesamt gab es um die 700 Turnvereinsgründungen. Diese Vereine, und ihre heutige Dachorganisation, die American Turners, die auf die politischen Flüchtlinge der deutschen Revolution von 1848/49 zurückgehen, haben eine bewegte Geschichte aufzuweisen: in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz vertraten sie vor allem ein sozialistisch geprägtes Gedankengut, das sich nicht nur in ihren Grundsätzen und den Artikeln ihres Organs zeigte, sondern auch in der Namensgebung der Turnvereine, die ihrem Namen das Attribut social oder socialistisch beifügten. Der 1850 gegründete “Socialistischer Turnerbund von Nordamerika” betonte in seiner Satzung, eine “Pflanzschule” revolutionärer Ideen zu sein. So konzentrierten sich die Turner von Anfang an nicht nur auf das aktive Turnen, sondern bemühten sich, ihr politisches Gedankengut auch in der amerikanischen Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen. Eines der wichtigsten Ziele des Bundes, der einen antireligiösen Standpunkt und damit die Meinung der “Freidenker” vertrat, war es, die Rechte des Individuums zu verteidigen. Deshalb sagten die Turner in Amerika der Sklaverei, der Fremdenfeindlichkeit (Nativismus), unter dem vor allem die deutschen und irischen Einwanderer zu leiden hatten, den Kampf an. Außerdem lehnten sie die Temperenz- und Sabbath-Day-Gesetze, die den Alkoholausschank kontrollierten und das gesellige Zusammensein an Sonn- und Feiertagen einschränkten, ab.

Sportliche, politische und kulturelle Vereinsangebote

Neben diesen politischen Inhalten wurde in den Turnvereinen als Versammlungsorte der Deutsch-Amerikaner deutsches Kulturgut gepflegt. Das Turnen selbst fand dabei sowohl im körperlichen als auch im "geistigen" Turnen seinen Ausdruck. Vor allem durch die Angebote des geistigen Turnens, wie z. B. englische Sprachkurse, Diskussionsabende und Vorlesungen, sollten die Vereinsmitglieder zu mündigen amerikanischen Bürgern erzogen werden, um ihnen dadurch das Leben in einer fremden Umgebung zu erleichtern. Damit trug die Turnvereinsgemeinschaft durch ihre politischen, sportlichen und kulturellen Vereinsangebote – insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – zur Identitätsfindung der Deutschen in den Vereinigten Staaten bei, die nun zu Deutsch-Amerikanern geworden waren.

Die "American Turners" 

Der Höhepunkt der Entwicklung der deutsch-amerikanischen Turnbewegung wurde kurz nach dem Zenit der deutschen Einwanderung in die USA in den 1890er Jahren erreicht als im nordamerikanischen Turnerbund über 300 Turnvereine mit ungefähr 40.000 Mitgliedern organisiert waren.

Zu einer nationalen Bewegung wie in Deutschland konnte sich das Turnen jedoch nie entwickeln. Eher trat das Gegenteil ein. Aus den Deutsch-Amerikanern wurden im Laufe der Zeit Amerikaner deutscher Abstammung. Diese Anpassung der Deutschen an Sprache und Kultur der neuen Heimat wirkte sich auch auf die Turnvereine aus. Amerikanisierung und auch die antideutsche Stimmung während der beiden Weltkriege führten zu einer Abnahme der Zahl der Turnvereine und ihrer Mitglieder. Die meisten Turnvereine legten in dieser Zeit ihre deutschen Namen ab und ersetzten sie durch englische Bezeichnungen, die jedoch immer ein "Turners" enthielten. Die deutsche Sprache in den Sitzungsprotokollen verschwand und der "Nordamerikanische Turnerbund" als Dachverband der ehemals deutschen Turnvereine folgte dem Beispiel seiner Mitgliedsvereine und änderte 1938 seinen Namen in "American Turners".

Geselliges Zusammensein im Vordergrund

Trotz aller Schwierigkeiten überlebten die American Turners. Gegenwärtig gibt es noch 50 Vereine in elf Bezirken. Ihre Mitgliederzahl beträgt etwas unter 10.000 Personen. Den typischen deutsch-amerikanischen Turnverein gibt es heute nicht mehr. Man kann sie in verschiedene Typen unterteilen: ethnische, gesellige, gesellig-sportlich oder nur sportlich orientierte Vereine. Neben der Durchführung verschiedener Sportarten – dabei ist Turnen als Sportart nicht mehr in jedem Verein aufzufinden – steht häufig das gesellige Zusammensein im Vordergrund des Vereinslebens. Ebenso haben die politischen Grundsätze und die Verbreitung von deutscher Kultur an Bedeutung verloren. Die meisten dieser ursprünglich deutsch-amerikanischen Vereine haben sich zu multiethnischen Organisationen entwickelt, deren Mitglieder fast ausschließlich aus verschiedenen europäischen Bevölkerungsgruppen stammen, wobei allerdings die deutschstämmigen noch immer den größten Anteil ausmachen.

Durch die Verlagerung der Vereinsangebote seit dem 19. Jahrhundert und die ethnisch gemischte Mitgliederschaft ist heute in vielen Turnvereinen eine Diskrepanz zwischen Tradition und Amerikanisierung festzustellen, die sich auf der einen Seite im Festhalten an bestimmten Traditionen und turnerischen Symbolen, und auf der anderen Seite in der Übernahme amerikanischer Werte und der Anpassung an die amerikanische Gesellschaft zum Ausdruck kommt. Aber gerade durch diese Assimilation und Amerikanisierung ist das Überleben der gegenwärtigen Turnvereine zu einem gewissen Grad für einige weitere Jahre gesichert. Wie lange sie allerdings noch existieren werden, ist fraglich.

AUSGABE  International 03-2023 | Historisches | American Turners
AUTORIN   Prof. Dr. Annette R. Hofmann