Kevin Grafen in Norwegen 2016 | Bildquelle: Kevin Grafen
Fit & Gesund

Wie ein "Augenblick" mein Leben veränderte

Ein tiefer Einblick in die Welt des neurozentrierten Trainings

Ich werde diesen Tag niemals vergessen, an dem ich nach alternativen Möglichkeiten recherchiert habe, die meine Beweglichkeit verbessern können. Als ehemaliger Karate-Leistungssportler war ich für den Sport, den ich trieb, nie der Beweglichste. Ich habe mich jahrelang durch die unendlichen Weiten von Dehnübungen, Massagen und Faszienrollen gequält und nichts hat langfristig wirklich geholfen. Umso skeptischer war ich als ich auf ein Video stieß, das behauptete, Schielen könne die Beweglichkeit der Vorbeuge verbessern.

"Das kann nur ein schlechter Witz sein", dachte ich.

Doch meine Neugier siegte und nach einer 15-sekündigen Augenübung berührten meine Hände zum ersten Mal in meinem Leben mit gestreckten Beinen den Boden. Ich war verblüfft, verwirrt und dennoch vollkommen überzeugt.

Dieser Augenblick veränderte meine komplette Ansicht auf Training, Therapie und Leistung und wurde zum Auslöser einer tiefen Leidenschaft für die angewandte Neurologie.

Der "Augenliegestütz". Im weiteren Sinne trainiert die Übung die Konvergenz (Engstellung der Augen) und zielt auf eine Stimulation des Mittelhirns im Hirnstamm ab, da diese Augenbewegung dort "verschaltet" wird. Unter anderem hat das Mittelhirn entscheidenden Einfluss auf die Steuerung unserer Flexoren, also Beugemuskeln. Ist das Mittelhirn aktiver, lassen sich somit oft Beugebewegungen, wie die Vorbeuge verbessern.

Dieses Schlüsselerlebnis rückte meine klassischen sportwissenschaftlichen Ansichten in ein völlig neues Licht. Ich lies mich direkt in den USA ausbilden und bilde heute deutschlandweit Physiotherapeut*innen, Trainer*innen und Interessierte aus (Mehr Infos unter: www.neuro-dimension.de). Insbesondere durch meine enge Kooperation mit dem ARTZT Institut darf ich auf großen Kongressen referieren und habe im Oktober 2022 mein erstes Buch (Neuronales Training mit Fitnessgruppen) herausgebracht. Das zweite und dritte Buchprojekt sind in Arbeit und erscheinen Anfang 2024. Was mich allerdings am meisten erfüllt:

Der neurozentrierte Ansatz steigert meine Erfolgsrate bei der Behandlung von Patienten enorm, sei es in Sachen Schmerz, Bewegungseinschränkung oder Leistung.

Was ist neurozentriertes Training?

Mittlerweile ist neurozentriertes Training oder Neuroathletik in aller Munde. Man könnte meinen, dass dies nur Trend ist, befasst man sich jedoch ein wenig mit den Hintergründen und Ansätzen, kann nicht mehr ignoriert werden, dass es fester Bestandteil in einem jeden Training oder Therapie werden muss. Neurozentriertes Training ist ein komplexer, aber essenzieller Ansatz, dass das Nervensystem ins Zentrum der körperlichen Leistung stellt. 

Für wen eignet sich diese Methode

Die Antwort ist einfach: Für jeden, der ein Gehirn hat! Egal ob Spitzensportler*in oder "Opa Erwin", der einfach nur schmerzfrei seine Enkel hochheben möchte.

Die Optimierung des Nervensystems kennt keine Altersgrenze oder Fitnesslevel.
 

Das Nervensystem 

Was macht das Nervensystem so verdammt wichtig? Stellt euch das Nervensystem als Dirigenten eines großen Orchesters vor.

Es steuert alles: von Gedanken und Emotionen bis hin zu Muskelkontraktionen und Schmerzwahrnehmung. Wenn der Dirigent fähig ist, dann spielt das Orchester wunderbar harmonisch. Dabei kann seine komplexe Funktion auf drei einfache Schritte reduziert werden.

Hier wird der Augenliegestütz mit einem Bizepscurl kombiniert, um diesen besser ausführen zu können.

Jegliche Übungen können mit Augenübungen kombiniert werden. Die hier dargestellte Kniebeuge wird mit sogenannten Sakkaden (Augensprüngen) kombiniert. Die Ausführung von vertikalen Sakkaden hat Einfluss auf die Ansteuerung der Mittellinienstabilität und kann so zu einer verbesserten Streckung führen.

Augen werden durch Muskeln gesteuert. Wie bei allen anderen Muskeln können auch diese verkümmern, wenn sie nicht entsprechend genutzt werden. Demnach ist es wichtig die Augen in alle Bewegungsrichtungen zu trainieren.

Input, Interpretation, Output: Die Dreifaltigkeit der menschlichen Leistung

Input:

Das Fundament für alle Entscheidungen

Die Eingabe oder der "Input" stellt die Grundlage für alle weiteren neurologischen Prozesse dar. Hier sammelt das Gehirn Informationen aus sämtlichen Sinnessystemen, sei es propriozeptiv, visuell, vestibulär oder andere. In der traditionellen Sportwissenschaft und Therapie wird leider oft nur das propriozeptive System berücksichtigt. Maßnahmen wie Dehnen, Faszienrollen, Massage oder Taping sind zwar wichtig, bleiben jedoch an der Oberfläche des Potenzials, das unser Nervensystem bietet. Neurozentrierte Übungen richten ihren Fokus deshalb häufig auf das visuelle und vestibuläre System, also auf unsere Augen und unser Innenohr. Die Qualität des Inputs ist entscheidend; suboptimale oder fehlende Informationen können das Gehirn zu Fehlentscheidungen verleiten, die sich negativ auf unser Verhalten und unsere Leistungsfähigkeit auswirken.

Interpretation:

Das Gehirn als intelligentes Entscheidungszentrum

Der zweite Schritt im Dreierkonzept ist die Interpretation dieser gesammelten Daten durch das Gehirn. Ein gesundes, gut funktionierendes Gehirn ist unerlässlich, um die Qualität und Relevanz der Daten zu beurteilen und sie sinnvoll zu interpretieren.

Ein "Verständnisproblem" auf dieser Ebene kann verheerende Konsequenzen für den finalen Output haben. Es ist nicht nur wichtig, dass das Gehirn über alle nötigen Informationen verfügt, sondern auch, dass es in der Lage ist, diese angemessen zu verarbeiten. Wenn die Interpretation fehlerhaft ist, werden auch die resultierenden Handlungen oder Reaktionen unweigerlich beeinträchtigt sein.

 

Output:

Die manifestierte Entscheidung des Gehirns

Letztlich führt die Interpretation der gesammelten Inputs zu einer Handlung oder Reaktion, die als "Output" bezeichnet wird. Dies kann sich in einer Vielzahl von Formen manifestieren, sowohl positiv als auch negativ.

Ein optimierter Output kann sich in gesteigerter Beweglichkeit, Kraft und Leistung äußern. Negative Outputs können jedoch Bewegungseinschränkungen, Schmerzen, Verspannungen, Unkonzentriertheit und andere unerwünschte Zustände einschließen.

Daher ist es nicht nur wichtig, dass der Input und die Interpretation hochqualitativ sind, sondern auch, dass die gesamte Prozesskette optimal abgestimmt ist.

 

Dieses Konzept der "Input-Interpretation-Output"-Dreifaltigkeit ist fundamental für das Verständnis menschlicher Leistung und sollte in jedem Trainings- oder Therapieansatz Beachtung finden.

Schlusswort

Neurozentriertes Training ist kein vorübergehender Hype. Es ist ein Paradigmenwechsel, der die Grenzen des Möglichen verschiebt. Wer seine physische und mentale Leistung wirklich verbessern will, sollte sich dringend in diesem aufregenden Feld umsehen.

Kevin Grafen ist Sportwissenschaftler, Z-Health Master Coach Neurozentiertes Training, Kampfsportler und Autor.

KONTAKT 

E-Mail:         grafen@kensho.de
Instagram:  @kevin_grafen; @kenshoacademy 
TikTok:        @kevingrafen
Homepage: www.neuro-dimension.de 

Medien zum Weiterlesen:

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Zur Buchvorstellung

AUSGABE         Trends 05-2023 | Fit & Gesund | Wie ein "Augenblick" mein Leben veränderte
AUTOR              Kevin Grafen