Prof. Dr. Ingo Froböse | Bildquelle: Sebastian Bahr
Fit & Gesund

Prof. Dr. Ingo Froböse im Interview

Warum ist Outdoor-Sport so empfehlenswert?

Das Naturerlebnis ist sehr wichtig. Darüber hinaus sind da die intensiven äußeren Umweltreize wie Temperatur, Licht und Wind. Das Licht verhilft uns gerade in den Sommermonaten zu ausreichend Vitamin D. Wenn wir aus klimatisierten Wohlfühlräumen hinausgehen, sind wir Regen oder Wind ausgesetzt. Damit trainieren wir das Immunsystem. Wir bekommen viel abwechslungsreichere Informationen und schulen so die Sensorik. Der Outdoor-Sport ist so interessant, weil er stellenweise unkalkulierbar ist und variable Reize setzt. 
 

Warum sollte man diese Herausforderung gerade beim Sport annehmen?

Wenn wir Sport treiben, haben wir immer den Wunsch, besser zu werden, Leistung zu optimieren oder uns anzupassen. In einer standardisierten, immer wiederkehrenden Situation ist das schwieriger als in einer sich dauerhaft verändernden Situation. Der Outdoor-Sport verlangt mehr von uns, mehr Anpassung, mehr Orientierung, mehr Wahrnehmung, als wenn ich beispielsweise monoton auf einem Laufband laufe. Da konzentriere ich mich höchstens auf meine Lauftechnik. Als Meditation ist das wunderbar. Draußen fordern zusätzliche Reize heraus. Insofern ist Outdoor-Sport belastender, weil variabler, aber dementsprechend auch stimulierender.

Hat die Pandemie den Menschen mehr Lust auf Outdoor-Sport gemacht?

Ich selbst treibe jeden Tag Outdoor-Sport, fahre Rad, laufe.

Dabei habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Menschen im ersten Frühjahr der Pandemie intensiver Outdoor-Sport getrieben haben. Im Sommer 2020 ist das abgeebbt, da war es zu warm. Mit dem zweiten Lockdown ging es wieder los.

Aber dieses Jahr habe ich das Gefühl, dass der Outdoor-Sport und das Sporttreiben überhaupt wieder an Reiz verloren hat. Natürlich hat das Sportverbot drinnen die Menschen nach draußen gebracht. Trotzdem haben sich viele darüber gefreut, dass die Vereine und Fitnessstudios wieder geöffnet haben, weil sie damit das Alte, das Traditionelle, das bisher Geliebte zurückbekommen.

Ich glaube, dass nur ein kleiner Prozentsatz derer, die den Outdoor-Sport während der Pandemie kennengelernt haben, grundsätzlich dabei bleibt. Viele hat es in ihre alte Hemisphäre zurückgezogen.

Sollten die Vereine und Fitnessklubs mehr Angebote draußen machen?

Unbedingt. Ich verstehe sowieso nicht, warum viele das nicht tun. Erstens spart es Ressourcen, man muss nicht immer Hallenzeiten nutzen. Zweitens habe ich eine viel größere Flexibilität in meiner Angebotsstruktur. Drittens ist es viel attraktiver, bestimmte Dinge draußen zu machen. Insofern halte ich die Verbindung von Indoor- und Outdoor-Sport für ein Must-have sowohl für Fitnessstudios wie auch für Vereine. 

Worauf müssen Menschen achten, die sich, vielleicht auch durch die Pandemie und die Lockdowns, lange nicht bewegt, aber jetzt Lust auf Outdoor-Sport haben?

Ich muss Vorkehrungen treffen. So sollte man erst mal über mögliche Allergien Bescheid wissen. Wenn ich Heuschnupfen oder Asthma habe, könnte das zum Problem werden. Da draußen kreucht und fleucht einiges. Zweitens muss ich mich mit der Sonnenbestrahlung auseinandersetzen. Wenn die zu bestimmten Zeiten zu intensiv ist, sollte ich die Zeit meines Sporttreibens vielleicht verlegen. Von der Wärme ist auch abhängig, was ich anziehe. Die Dusche ist nicht direkt vor der Tür, und ich fahre vielleicht mit dem Auto zum Laufen. Da stellt sich die Frage: Wie halte ich meinen Körper trocken, wie bereite ich den Sport nach? Das Schuhwerk sollte zu mir und zum Wetter passen. Gewitter könnten mich überraschen. In einem geschützten Raum habe ich deutlich mehr Sicherheitsmaßnahmen. Ich möchte keine Ängste auslösen, aber wir haben erst vor Kurzem bei der Fußball-Europameisterschaft gesehen, wie schnell Notfallmedizin nötig werden kann. Wenn ich loslaufe, sollte ich ein paar persönliche Informationen dabei haben. Ich brauche eine gute Routenplanung und sollte darüber nachdenken, ob ich vorher jemanden darüber informiere, wo ich gerade bin. Das gilt fürs Wandern genauso wie fürs Joggen. 

Sollte ich überhaupt allein loslaufen?

Besser wäre es mindestens zu zweit, denn es gibt immer ein kleines Risiko umzuknicken, zu stürzen oder mich zu verirren – irgendein unvorhergesehenes Ereignis. Vor allem wenn ich irgendwo unterwegs bin, wo nicht viele Menschen sind oder wo Gefahrenmomente auftauchen, wie beim Mountainbike- oder Rennradfahren. Da kann immer etwas passieren. Wenn ich mit anderen zusammen unterwegs bin, sollte das Leistungsniveau aber vergleichbar sein. Sonst macht es keinen Spaß. 

Mancher, der während der Pandemie wenig Sport getrieben hat, überschätzt sich vielleicht, weil er vorher fitter war. Wie kann ich das schnellere Atmen durch normale Anstrengung von der gefährlichen Atemlosigkeit unterscheiden?

Jeder sollte sich nach einer längeren Pause Zeit für einen langsamen Wiederaufbau nehmen. Man braucht ein Nachhilfeprogramm. Es dauert manchmal Wochen oder Monate, bis man seine frühere Leistungsfähigkeit wieder zurück hat. Man sollte nicht versuchen, seine alten Zeiten gleich wieder zu realisieren, sondern erst mal ruhig anfangen. Die körperlichen Reaktionen sind dabei der beste Maßstab. Wenn du 18 bis 24 Stunden nach einem Muskeltraining Muskelkater bekommst, bist du zu intensiv eingestiegen. Beim Ausdauertraining solltest du versuchen, nicht die Herzfrequenz der letzten Läufe oder Walking-Einheiten zu erreichen, sondern die Ansprüche in der Anfangsphase fünf bis zehn Schläge niedriger schrauben.

Steuere am besten alles über die Atmung. Die klare Botschaft lautet dabei: auf vier Schritte einatmen, auf vier Schritte ausatmen. So ist man immer im richtigen Modus. Die Atemfrequenz steuert dich besser als der Herzrhythmus und sagt dir, was der Körper braucht. Wenn du in den ersten vier bis sechs Wochen diese Atmung beibehältst, machst du alles richtig und baust dich wieder auf. Du kannst auch am Morgen prüfen, ob du am Abend überzogen hast, indem du deine Ruheherzfrequenz kontrollierst. Die misst man vor dem Aufstehen. Wenn sie vier bis sechs Schläge vom normalen Wert, den jeder bei sich kennen sollte, abweicht, dann warst du am Abend zu intensiv im Training. Die Nacht hat nicht dafür ausgereicht, dass du dich richtig erholst, und du solltest deine Belastung beim nächsten Mal reduzieren.         

Viele Menschen laufen heutzutage mit Kopfhörer. Inwiefern lenkt das von dem Rhythmus, den Sie gerade beschrieben haben, ab?

Ich bin kein Freund davon. Alle gleichförmigen Bewegungen dürfen keinen externen Rhythmus erhalten, weil der Rhythmus des eigenen Körpers sich dann an diesen anpasst. Es ist viel wichtiger, gerade bei dauerhaft meditativen, zyklischen Sportarten den eigenen Körperrhythmus zu halten. Völlig anders sieht es bei animativen, tänzerischen Disziplinen aus. Oder bei koordinativen. Dabei kann der Rhythmus mich lenken und leiten. Hör dir bei Ausdauereinheiten lieber die Natur an, die hält viele schöne Musiken für dich bereit.

Man sieht mittlerweile viele Menschen draußen tanzen oder auf Anlagen Sport treiben. Das kannte man früher höchstens aus Kalifornien. Worauf führen Sie es zurück, dass die Menschen offenbar kein Problem mehr damit haben, sich und einen vielleicht nicht gerade optimal gebauten Körper so offen zu zeigen und sich teilweise in aller Öffentlichkeit wie im Bootcamp herumscheuchen zu lassen?
Das ist ambivalent. Die Menschen werden immer unsportlicher und dicker. Auf der anderen Seite ist das Streben nach einem Ideal extrem groß. Wir haben eine sehr stark körperlich geprägte Gesellschaft. Es sind viele Pumper unterwegs, Sixpack ist ein Qualitätsmerkmal. Ein gestählter Körper steht für Leistungsfähigkeit und auch für mentale Fitness. Die Menschen sind hin und her gerissen zwischen Genussmomenten und dem Wunsch, ein gutes Bild abzugeben. Man versucht beides zu vereinen. Man weiß von seinen Schwächen und diszipliniert sich, indem man die Outdoor-Programme mehr nutzt. Aber das spiegelt nicht die intrinsische Motivation der Menschen wider, die eher Lebensqualität in den Mittelpunkt rückt. 

Begrüßen Sie dennoch diesen Trend?
Ja, ich freue mich, dass die Menschen wenigstens ein bisschen auf sich achten und etwas tun, egal was, sonst würde alles aus dem Ruder laufen. Nur man darf über den Körper auch nicht den Menschen verlieren. 
 

Wie würde ein gutes Rundum-Programm aussehen?

Es sollte aus zwei Komponenten bestehen: einerseits aus Ausdauer-, Herzkreislauf-, Stoffwechseltraining wie Walken, Joggen, Radfahren, Schwimmen. Je länger umso besser, aber immer mit ausreichend Sauerstoff zur Verfügung. Outdoor und variantenreich. Also nicht immer die gleiche Runde drehen oder diese zumindest mal andersherum laufen. Das Ganze dreimal in der Woche. Mindestens 45 bis 60 Minuten. Zweimal in der Woche sollte man ein Muskeltraining betreiben für alle großen Muskelgruppen. Muskeln müssen brennen, damit sie wachsen. Also ruhig intensiver belasten, damit sie einen richtigen Reiz erhalten.

Was ist speziell für Kinder wichtig nach der langen pandemiebedingten Pause?

Erst mal muss man den Bewegungsvirus wieder hervorlocken. Das ist das Wichtigste. Man muss den Kindern das Erlebnis Sport wieder nahebringen. Sie sollen keine Pässe sondern Spielen üben. Sport, Spiel und Spannung sind der wichtigste Reiz, um lebenslang den Bewegungsvirus zu erhalten und die körperliche Entwicklung zu unterstützen. Je unterschiedlicher die Reize sind, desto besser wirken sie sich auf das Wachstum und die Persönlichkeitsentwicklung aus. Sieg und Niederlage, soziale Aspekte wie Teamfähigkeit, Integration, Verantwortung zu übernehmen, Sicherheit zu geben, all das sind Elemente, die im Sport vorkommen. 

Lässt sich das Verpasste aufholen?

Nur bedingt. Wenn der Bewegungsvirus nicht bis zum achten Lebensjahr entwickelt wurde, wird es schwer. Wenn der Knochen zwischen sechs und acht Jahren nicht ein paar schöne Gummitwist-Reize bekommen hat, gibt es ein echtes Problem. Wir sagen nicht umsonst, was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Ball-, Wasser-, Schneegefühl, das entwickelt sich später nur noch schwer. Wir verlieren leider eine Generation an Sportlern.  

AUSGABE  OUTDOOR 02-2021Fit & Gesund | Interview Prof. Dr. Ingo Froböse
Das Gespräch führte Katja Sturm