Bewegungsbegleiterinnen im Volkspark Mainz | Bildquelle: Torsten Silz
Fit & Gesund

Bewegungsbegleiterinnen

Abba im Mainzer Volkspark

I do, I do, I do.

So schallt es aus einem kleinen Bluetooth-Lautsprecher im Graben des Mainzer Volksparks. Der Abba-Hit passt in doppelter Hinsicht. Einerseits zu dem Kreuzschritt, den knapp 20 Frauen zu seinem Rhythmus üben. Aber auch, weil die Titelzeile fast ein bisschen trotzig betont, dass diese Truppe sich selbst in den beiden vergangenen Pandemie-Jahren nicht davon abhalten ließ, sich jeden Dienstagmorgen zu einer gemeinsamen Bewegungsstunde zu treffen.

Begegnung und Bewegung – auch während der Pandemie

Wir haben vorher immer erst mal die aktuellen Corona-Vorschriften studiert. 

Das erzählt Renate Kiefer, die gemeinsam mit ihren beiden Kolleginnen Hedi Plän und Angelika Jahr die Gruppe in Schwung bringt. Während der Zeit der strengeren Einschränkungen gingen jeweils zwei Mitglieder im vorgeschriebenen Abstand miteinander spazieren. Oder sie bekamen einen Zettel mit Übungen in die Hand gedrückt, die sie selbstständig absolvieren konnten. Hauptsache, man tat etwas für sich, seinen Körper, seinen Kopf, sein Wohlgefühl und pflegte gleichzeitig sozialen Kontakt. Für einige stellten die Treffen in dieser schwierigen Zeit die einzigen Begegnungen mit anderen Menschen dar. Ein wichtiger Halt in der Krise. Etwas Verlässliches, wo so vieles plötzlich anders war. 

Ob Wind oder Regen, irgendetwas geht immer, betont Kiefer.

Seit Mai 2018 besteht das kostenlose Angebot in der Landeshauptstadt, das überwiegend die Generation 60 plus anzieht. In der Zeitung sei damals zu lesen gewesen, dass die Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz sogenannte Bewegungsbegleiter*innen sucht. Die Ehrenamtlichen sollten Menschen mit niedrigschwelligen Offerten im leicht zugänglichen öffentlichen Raum, nahe ihrem Wohnort, zu einfachen Übungen motivieren. Das Projekt ist Teil der Kampagne "Ich bewege mich – mir geht es gut!", die 2015 im Auftrag des GKV-Bündnisses für Gesundheit eingeführt wurde.

Gleichgewicht, Beweglichkeit, Kraft und mentale Fitness
Kiefer, die vorher schon längere Zeit Mitglied einer Gymnastikgruppe beim TV Weisenau war, fühlte sich angesprochen. Zwei Tage lang wurde sie geschult, der Kontakt mit Plän wurde vermittelt. "Uns war wichtig, dass wir mehrere sind, damit wir uns gegenseitig vertreten können", sagt Plän, die aus ihrer Line-Dance-Gruppe auch noch Jahr dazu holte. Wenn alle drei bei einem Termin vor Ort sind, teilen sie sich die Einheit auf: Erst gibt es Atemübungen, die Plän dem Qi Gong entlehnt, dann Gymnastik, um unter anderem das Gleichgewichtsgefühl zu schulen, die Beweglichkeit zu erhalten und Kraft aufzubauen. Schließlich wird getanzt, was der Koordination und damit auch der mentalen Fitness dient. 
Tücher, Therabänder und ähnliches Material befanden sich in einer Tasche, die das Trio für sein Engagement gestellt bekam. Zusätzlich können die Verantwortlichen eine Förderung in Höhe von 300 Euro beantragen, um weiteres Material zu besorgen. "Wir machen aber das meiste nur mit dem eigenen Körper", sagt Plän. Schließlich soll die gemeinsame Übungsstunde auch Anregung geben, das Gelernte an anderen Tagen und alleine auszuführen. Inspiration holen die Leiterinnen selbst sich bei Youtube-Videos und von DVDs. Ihr Wissen reicht weit genug, um die Mitmachenden bei falscher Ausführung zu korrigieren.    
 

Die Unverbindlichkeit gefällt

Auch wenn das Angebot als Türöffner für ein weiteres Engagement der reiferen Generation im Sportverein wirken könnte: Es ist die Unverbindlichkeit, die vielen gefällt.

Sie können kommen oder auch nicht, müssen sich nicht ab- oder abmelden, und wer nur zufällig durch die Grünanlage spaziert und herüberschaut, wird mit den Worten begrüßt: "Jeder ist willkommen."

(Bild: Bewegungsbegleiterinnen in Mainz mit Teilnehmenden und Hunden. Foto: T. Silz)

Auch Hunde willkommen

Eine Hundehalterin, deren Tiere neben ihr im Gras liegen, erzählt, dass sie gar keine andere Möglichkeit habe, Sport zu treiben, weil ihre beiden Vierbeiner sonst ohne Aufsicht wären. Mehrere andere berichten, dass sie sich deutlich besser fühlen, seitdem sie regelmäßig mittrainieren, Bewegungen wieder ausführen können, mit denen sie vorher Probleme hatten. Auch Freundschaften haben sich bereits geschlossen: Man trifft sich in Kleingruppen zum Kaffeetrinken oder am Ende des Jahres zu einer kleinen Weihnachtsfeier für alle. 

Nicht den Kontakt verlieren

Eine Frau mit einem Rollator kommt vorbei. "Eine frühere Teilnehmerin", erklärt Kiefer, die an den Folgen einer Operation laboriere. Es ist für beide Seiten ein schönes Gefühl, dass man den Kontakt nicht verliere, selbst wenn jemand nicht mehr in der Lage zum Mitmachen ist. Man interessiert, man kümmert sich.

Flyer und Mundpropaganda

Mit Flyern hatten Kiefer und Plän anfangs auf sich aufmerksam gemacht, der Rest war Mundpropaganda. "Ursprünglich wollten wir auf einen Spielplatz gehen, auf dem vormittags noch nichts los ist", verrät Kiefer. Doch das sei einigen Frauen zu öffentlich gewesen, "wie auf dem Präsentierteller". Die Mulde im Gelände, die sie jetzt nutzen, kommt deutlich besser an. Sie bietet ein bisschen Schutz vor den Blicken der Passanten. Es gibt sogar eine Aktionsfläche mit einem Belag, der auch bei Nässe, anders als der Rasen daneben, nicht rutschig ist. Allerdings waren die Bohlen bereits nach kurzer Zeit beschädigt und müssen repariert werden. Einen Zeitplan kennen Kiefer und Plän dafür nicht. Vielleicht bis zum Frühling, heißt es. 

Schwund gibt es immer wieder

Die Ecke, die sie jetzt stattdessen bei Feuchtigkeit nutzen, ist eng und hat einen Steinboden. "Da sind wir fast froh, wenn gerade nicht noch mehr Leute kommen", verrät Kiefer. Etwa 30 Mitglieder zählt die Gruppe, darunter sind regelmäßig zwei Männer. Aufgrund des hohen Durchschnittsalters gibt es immer wieder Schwund. 
Kiefer selbst kann sich kaum mehr ein Hallentraining vorstellen. Die frische Luft, die befreite Atmung, auch das sind Zutaten, die viele begrüßen. 
Mittlerweile ist die Musik verstummt. Die Ersten verabschieden sich, einige steigen auf ihre Räder, andere waren zu Fuß gekommen. "Bis nächste Woche", heißt es hier und da.

Fest steht: Kiefer, Plän und Jahr, mindestens eine von ihnen wird wieder da sein, um die Gruppe anzuleiten und weiter bewegend durch ihr Leben zu begleiten.  

AUSGABE  Sportarten 06-2022 | Fit & Gesund | Abba im Mainzer Volkspark
AUTORIN   Katja Sturm