Jun.-Prof. Dr. Daniel Nölleke | Bildquelle: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann
Einblicke

Jun.-Prof. Dr. Daniel Nölleke im Gespräch

Sport in den Medien

Daniel Nölleke (44) ist Juniorprofessor für Sportjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit am Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Deutschen Sporthochschule Köln.

Das Gespräch führte Susanne Rohlfing.

Zur Person

Jun.-Prof. Dr. Daniel Nölleke

Juniorprofessor für Sportjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit 

Institut für Kommunikations- und Medienforschung

Deutsche Sporthochschule Köln

Herr Nölleke, haben Sie eine Lieblingssportart, bei der Sie alles im Fernsehen anschauen und alles im Internet und in den Zeitungen lesen, was Sie finden können?

Meine Lieblingssportart ist Tennis. Das Problem: Man kann das im Fernsehen fast gar nicht mehr gucken. Das finde ich enttäuschend. Deshalb verfolge ich relativ viele Social-Media-Accounts von Tennisspieler*innen und Fach-Journalist*innen.

In unserer deutschen Medienlandschaft wird Fußball geguckt und geklickt wie verrückt. Alle anderen Sportarten müssen um die so wichtige Medienpräsenz kämpfen. Warum ist das so?

Das ist kulturell bedingt und von Land zu Land unterschiedlich. In Deutschland hat der Fußball einfach traditionell einen extrem hohen Stellenwert. Dadurch, dass er in Dauerschleife läuft, kann er immer weiter Interesse generieren und bleibt an der Spitze der Übertragungszeiten. Ich bin gespannt, wie sich das in Zukunft entwickeln wird. Denn die Rezeptionsgewohnheiten gerade der jungen Generation haben sich sehr verändert. Der Fußball selbst macht sich ja auch schon Sorgen. Es ist völlig unklar, ob Übertragungsrechte zukünftig so teuer verkauft werden wie bisher. Klar ist: Auch für den Fußball ist öffentliches Interesse kein Selbstläufer mehr. Ich würde fast prognostizieren, dass andere Sportarten da besser aufgestellt sind, weil sie daran gewöhnt sind, um Aufmerksamkeit zu kämpfen. Der Fußball konnte sich bisher auf seiner sicheren Position ausruhen, aber diese Situation ist mehr und mehr gefährdet.

Sind die Medien an der Ungleichverteilung schuld, weil sie so viel Fußball bringen? Oder sind die Menschen schuld, weil sie so viel Fußball gucken?

Die Medien haben eine gewisse Kultivierungswirkung, das wissen wir aus der Forschung. Wenn vor allem Fußball läuft, dann ist es sehr schwierig, eine Begeisterung für etwas anderes zu entfachen. Zumindest wenn wir in der alten Medienlandschaft jenseits von Social Media bleiben. Aber natürlich können die Medien auch nicht am Sportinteresse der Bevölkerung vorbei agieren.

Die Medien richten sich nach Einschaltquoten und Klickzahlen. Und die sprechen ganz eindeutig für den Fußball. 

Ja, das gilt trotz allem weiterhin. Und durch dieses mehr, mehr, mehr an Fußball kommen dann so Absurditäten zustande, dass kleine Privatschmankerl von Neymar eher gebracht werden als die Ergebnisse einer Turnmeisterschaft.

Tut einer Sportart so viel Medienpräsenz gut, mal abgesehen vom Finanziellen?

Im Fußball wird eine authentische Berichterstattung immer schwieriger, weil alles von Medienmanager*innen zurechtgestutzt wird, die Spieler gar keine tieferen Einblicke mehr gewähren oder eben selbst Absurditäten aufgegriffen werden.

Bei der Fußball-WM der Frauen haben wir in derselben Sportart einen ganz anderen Zugang gesehen. Wir hören immer wieder, dass die Frauen deutlich nahbarer sind, dass über sie wieder ein Identifikationspotenzial geschaffen werden kann. Es ist unglaublich, wie das Männerteam darum ringt, eine Aufbruchstimmung für die Europameisterschaft 2024 zu erzeugen.

Aber woher soll bei ihnen das Identifikationspotenzial noch kommen, wenn so viel glattgebügelt wird, wenn selbst Nachhaltigkeitsbemühungen oder der Einsatz für Menschenrechte immer ein bisschen unter dem Verdacht der Marketingmaßnahme stehen?

Ich glaube, dass die Medienmaschine bei den Männern derart professionell läuft, dass sie Begeisterung eher unterdrückt, denn entfacht. Möglicherweise stehen wir an einem Scheideweg, der Fußball muss aufpassen, dass er den Kontakt zu den Fans nicht verliert. Gleichzeitig beneide ich die Fußballprofis in keiner Weise dafür, dass sie automatisch stets im Rampenlicht stehen. Da muss man sich auch selbst schützen und mitunter abschirmen.

Nähe zu den Medien wird oft kaum noch zugelassen.

Wo andere Sportarten darum ringen, dass über sie berichtet wird, kann der Fußball es sich leisten, den Zugang zu limitieren und nur relativ unkritische Berichterstattung zuzulassen oder auf die hauseigenen Medien zu setzen. Da ist so sehr der Daumen drauf, dass Journalist*innen sich mitunter sicher auch fragen, ob sie nicht nur noch Steigbügelhalter für Partikularinteressen sind.

Was können die Nicht-Fußballsportarten tun, außer zu hoffen, einen Henry Maske, eine Steffi Graf oder einen Fabian Hambüchen hervorzubringen?

Oder einen Michael Schumacher. Erfolgreiche Stars helfen am meisten. Aber es wäre natürlich fahrlässig, sich darauf zu verlassen, dass ein Jahrhunderttalent um die Ecke kommt. Es gibt andere Maßnahmen, die Sportarten ergreifen können, um mehr Medienpräsenz zu erzielen. Das nennen wir in der Wissenschaft "Medialisierung des Sports". Da verändern Sportarten ihre Regeln oder entwickeln neue Modi, die etwas attraktiver für die Medien sind. Ein sportartübergreifendes Beispiel sind die Finals, die eine Bündelung mehrerer Deutscher Meisterschaften verschiedener Sportarten an einem Ort sind. So wird aus einzelnen Titelkämpfen ein Großevent. 

Genau so schafft man einen erhöhten Berichterstattungswert. Solche Medialisierungsmaßnahmen sieht man auch bei einzelnen Sportarten: Etwa beim Ski alpin, wo die Parallelslaloms und die Flutlichtevents für eine größere Medienaufmerksamkeit sorgen sollten. Oder die Massenstarts beim Biathlon, die es noch gar nicht so lang gibt, wie man vielleicht glauben mag. Es geht im Kern oft darum, dass der Zuschauer oder die Zuschauerin einfach besser nachvollziehen kann, wer gewonnen hat oder wer gerade warum in Führung liegt – und man hofft, dass so auch die Medien ein größeres Interesse entwickeln, über die jeweilige Sportart zu berichten. Die größere Transparenz bei der Benotung im Dressurreiten ist ein Beispiel, die Ballvergrößerung beim Tischtennis oder das Markieren der idealen Kurvenhöhe durch blaue Linien im Bob- und Rodelsport.

Was ja in den Sportarten durchaus zu Diskussionen führt. Weil befürchtet wird, dass das Traditionelle verloren geht. Im Modernen Fünfkampf etwa gibt es einige, die von der Einführung des Obstacle Race für das Reiten nicht viel halten. Müssen die Sportarten da durch, wenn sie in der modernen Medienwelt mithalten wollen?

Das ist auf jeden Fall ein Drahtseilakt. Und ich würde sagen: Nein, sie müssen da nicht zwingend durch. Ich glaube, dass so etwas wie Tradition wichtig ist und einem Sport seine Identität verleiht. Medienbezogene Veränderungen haben oft auch nicht die erwünschte Wirkung. Wie viel mehr Aufmerksamkeit bekommt Dressurreiten, seit das Benotungssystem transparenter wurde? Oder die Finals, das Konzept klingt erstmal toll, und tatsächlich erreichen Sportarten ungeahnte Aufmerksamkeit. Aber dadurch hat sich für viele Athlet*innen der Terminkalender völlig verändert, und damit wiederum der Trainingsaufbau. Oder nehmen wir die Leaders-Box, das ist ja auch ganz klar eine Medialisierungs-Maßnahme. Im Skisport sitzt der/die jeweils Führende da vor einer Sponsorenwand, wird dabei gefilmt und winkt in die Kamera. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob das der ideale Platz ist, um sich auf den nächsten Lauf oder Sprung vorzubereiten. Es werden Kompromisse eingegangen. Es sollte aber erstmal evaluiert werden, ob diese Kompromisse sich wirklich lohnen. Dahinter steckt oft so ein vages Versprechen, populärer zu werden. Wir wissen aus der Forschung, dass das nicht zwingend gelingt.

Das Turnen bleibt seinen Traditionen bislang ziemlich treu.

Trotzdem nehme ich Turnen immer sehr gern als Beispiel für Medialisierung. Nicht wegen spektakulärer Neuerungen, sondern wegen der Debatte um den Turnanzug, die ja vom deutschen Nationalteam mit initiiert wurde. Da findet etwas statt, das bewusst nicht der sexualisierten Medienaufmerksamkeit entgegenkommt. Sogar im Gegenteil, man schützt sich davor, man will die Medienspirale nicht komplett mitmachen, weil diese Form von Aufmerksamkeit als belastend wahrgenommen wird. Das ist spannend.

Zu den klassischen Medien Fernsehen und Print kommt heute Social Media dazu. Wie verändert das die Sportberichterstattung? Können die sozialen Medien die klassischen ersetzen, weil über sie inzwischen eine hinreichende Medienpräsenz erreicht werden kann?

Wir haben dazu Studien gemacht und mit Sportakteuren gesprochen: Sportarten, die früher jenseits der medialen Massenaufmerksamkeit stattfanden, haben jetzt einen eigenen Kanal, über den sie sich an ihre Fanbase wenden können. Das ist eine große Chance, die von vielen Sportarten, Vereinen und Einzel-Sportler*innen sehr, sehr gut genutzt wird. Das betrifft nicht nur die kleinen Sportarten, sondern auch die großen. Die sagen: Okay, wir haben die riesige Aufmerksamkeit durch die Medien, aber wir möchten davon unabhängig unsere eigenen Narrative erzählen. Für den Journalismus kann das zu einem Problem werden. 

Wobei der Journalismus ja sehr oft auf die sozialen Medien als Informationsquelle zurückgreift.

Richtig. Für den Sportjournalismus sind die Social-Media-Auftritte von Sportler*innen eine wichtige Quelle; oftmals aber leider nicht, um Postings journalistisch einzuordnen. Stattdessen werden sie vielfach einfach reproduziert, um so ein Stück vom Aufmerksamkeitskuchen der prominenten Sportler*innen, abzubekommen. Für den Sport hat Social Media grundsätzlich großes Potenzial, da man nicht mehr darauf angewiesen ist, Teil der klassischen Sportberichterstattung zu werden. Man behält so ein Stück weit die Kontrolle darüber, welche Geschichten wie erzählt werden. 

Gerade Nischensportarten erreichen über Social Media in der Regel aber nur eine schon existierende Fangemeinde. Um größer zu werden, sind Sportarten immer noch auf den traditionellen Journalismus angewiesen. Lügenpresse hin oder her, am Ende genießen die klassischen Medien bei ganz vielen Menschen immer noch einen Vertrauensvorschuss.

Der ist für viele Sportarten weiterhin wichtig.

Und dann sehen wir bei aller Übermacht des Fußballs ein Olympia-Phänomen: Alle vier Jahre ist das Interesse an anderen Sportarten riesig. Aber eben nur dann. Woran liegt das? 

Es gibt Groß-Events, und dazu zählt Olympia, die in den Medien sehr gut eingebunden werden. Dann hoffen immer alle, Erfolge würden zu einem Hype führen. Aber im medialen Alltag kehrt Ernüchterung ein und es überwiegen wieder die fußballbezogenen Strukturen. Alles bleibt, wie es war. Gerade Olympia lebt dabei auch vom Exotischen, es ist das Fest der unterschiedlichen Sportarten. Das funktioniert alle vier Jahre super. Allerdings haben wir während dieser zwei Wochen auch eine Dauerschleife der Berichterstattung, da gibt es dann Sendezeit, die es sonst nicht gibt. Aber große Erfolge und eine umfassende Berichterstattung während der Olympischen Spiele haben in Nischensportarten noch selten einen wirklich anhaltenden Medien-Hype ausgelöst. Da muss man auf dem Teppich bleiben.

Was können Sportarten wie Turnen, Schwimmen, Kanu und so weiter tun?

Die eigenen Fans über Social Media gut bedienen. Ich glaube, dass eine Flamme der Begeisterung auch mal einen Brand auslösen kann. Wenn man da professionell aufgestellt ist, kann man meiner Meinung nach zukünftig nur profitieren. Die Rezeptionsgewohnheiten gerade im jungen Publikum ändern sich. Ich prognostiziere, dass sich der Fußball in Zukunft sehr schwer tun wird mit seinem traditionellen Format. Sportarten, die von ihrer Authentizität leben, mit Sportlerinnen und Sportlern, die in den sozialen Medienwelten aufgewachsen sind, haben meiner Ansicht nach sehr großes Potenzial für die Zukunft.

AUSGABE         Medien 04-2023 | Einblicke | Medienpräsidenz, Einschaltquoten und Klickzahlen
AUTORIN          Susanne Rohlfing