Turner-Musik-Akademie in Altgandersheim | Bildquelle: TMA
Einblicke

Die TMA – Turner-Musik-Akademie mit Nehmerqualitäten

Irgendwo im Nirgendwo

Auf die Größe ihres Ortes angesprochen, antworten die Altgandersheimer oft mit einem Augenzwinkern. Immerhin sei der örtliche Imker mit 1,5 Millionen Arbeiterinnen einer der größten Arbeitgeber der Region. Neben dem Imker zeichnet die südöstlich von Hannover gelegene 500-Seelen-Gemeinde ein weiß gekalkter Backsteinbau aus, der wie kein anderes Gebäude in Deutschland für die Turnermusik in ihrem ganzen Facettenreichtum steht. Untrennbar verbunden ist die Turner-Musik-Akademie (TMA) mit Wilhelm Watermann. Dem Gründungsmitglied des 1953 gegründeten Turnermusikzuges Altgandersheim ist es zu verdanken, dass 1971 die Bundesmusikschule des DTB in der Gemeinde südöstlich von Hannover gegründet und gebaut wurde. Seit 1994 trägt diese bis heute bundesweit einmalige Einrichtung seinen Namen. 
 

(Bild: Logo 50 Jahre Turner-Musik-Akademie | TMA)

50 Jahre TMA

Mitten in der Pandemie feierte die TMA 2021 ihr 50-jähriges Bestehen. "Die Coronakrise haben wir nur deswegen überstanden, weil wir uns umgehend intensiv mit staatlichen Förder- und Überbrückungsprogrammen beschäftigt haben. Wenn wir kleine Lehrgänge machen konnten, dann haben wir sie auch gemacht. Dennoch bedeutet das, dass dreiviertel unsere Veranstaltungen rot durchgestrichen waren", erinnert sich Geschäftsführer Pieter Sikkema, der die Geschäfte der Musikschule seit 2018 leitet.

Wir haben aber nicht aufgegeben.

"Und dieses Jahr haben wir bereits eine fast komplette Auslastung. Belegungstechnisch sind wir jetzt schon beim Veranstaltungsplan für 2025. Für 2023 haben wir bereits 105 Veranstaltungen, 2024 sind wir jetzt schon bei 40 Veranstaltungen", freut er sich.

Auch ein Platz für Schulorchester, Bigbands und Theater AGs

Sikkema ist stolz darauf, dass die Schule trotz Pandemiekrise noch immer am Laufen ist. Früher sei sie zwar musikalisch hervorragend geleitet worden, der betriebswirtschaftliche Teil der Einrichtung habe damit aber nicht immer ganz mithalten können. "Ich habe daher auch sehr stark darauf hingearbeitet, dass wir uns mit Schulen und Gymnasien auseinandersetzen. In der Bundesrepublik sind viele Jugendherbergen und Schullandheime endgültig geschlossen worden. Das muss irgendwo ausgeglichen werden. Und da wollen wir unter der Woche zur Verfügung stehen. Denn unser eigentliches Programm geht meistens erst Donnerstag oder Freitag los. Und da können wir problemlos noch unter der Woche ein Schulorchester, eine Schüler Bigband oder eine Theater AG unterbringen", erzählt Sikkema. Daher ist die Schule nun unter der Woche auch ein Hostel – mit hervorragendem Frühstücksbüffet.
 

Ein Kampf ums Überleben

Die heutige Übernachtungsqualität war nicht immer so gegeben. "Deswegen haben wir irgendwann auch einen Koch angestellt und die Zimmer optimiert", erinnert sich auch Dieter Adam, der bis 2010 im Vorstand der TMA war. "Das Gebäude hatte früher völligen Jugendherbergscharakter. Das führte allerdings dazu, dass die Leute irgendwann keine Lust mehr hatten in so einem Umfeld hochklassige Musik zu machen. Da waren auch viele ältere Erwachsene dabei, die keine Lust mehr hatten, mit ihren Prostatabeschwerden nachts im Dunkeln über den Flur zu eiern und das WC zu suchen", erinnert er sich. Zumal mit der niedersächsischen Musikakademie in Wolfenbüttel noch ein hochsubventionierter Konkurrent direkt vor der Haustür entstanden sei. Da diese sich aber um Spielleute nicht kümmern wollte, habe man den Fokus lange daraufgelegt, dort musikalische "Leben zu retten", auch wenn die Blasmusik dabei hin und wieder ein wenig ins Hintertreffen geraten sei. "Aber so konnten wir letztendlich bis heute überleben", betont Adam.

Doch die Einrichtung musste noch weitere Nackenschläge wegstecken. Gleich zweimal schlug das Hochwasser zu. Auch wenn dies erst nach Adams Amtszeit geschah, erinnern kann er sich an die immensen Schäden noch allzu gut. "Beim ersten Mal war es schon sehr dramatisch. Da hat sich der Keller binnen Minuten gefüllt. Da gab es Zimmer. Wären die an diesem Tag belegt gewesen, hätte man unter Umständen mit Toten rechnen müssen und die Akademie vermutlich nie wieder aufmachen dürfen", glaubt Adam. 
Auch Sikkema erinnert sich gut an diese schwersten Stunden in der Geschichte der Akademie. Doch die Musiker bewiesen erneut Nehmerqualitäten: Noch in diesem Jahr will die Akademie die damals betroffenen Zimmer komplett saniert wieder in Gebrauch nehmen und so zu ihrer ursprünglichen Kapazität von 85 Plätzen zurückkehren.  
 

Treffpunkt für die Amateurmusik

Als sein Vorgänger Albert Bohnsack in Rente ging, war der ausgebildete Dirigent und Dauergast Sikkema gefragt worden, seinen jetzigen Part zu übernehmen. Da er neben seinen musikalischen Qualitäten auch eine kaufmännische Ausbildung besaß und die Akademie ansonsten in den Abgrund zu rutschen drohte, sagte der heute 60-Jährige nach kurzem Überlegen zu. "So eine Institution darf einfach nicht untergehen", ist er noch heute von seinem Schritt überzeugt. Nach erfolgreichen Umstrukturierungen, Hochwasser und Coronakrise geht der Blick des Sanierers nun wieder nach vorne. "Wir haben die Herausforderung, dass die TMA so umgebaut werden muss, dass sie ein bundesweiter Treffpunkt für die Amateurmusik wird. Damit wir so viele Verbände und Vereine wie möglich an die TMA anbinden können. Die TMA ist nämlich die einzige Akademie, die noch nicht staatlich gefördert wird", sagt er.

Das läge unter anderem auch daran, dass im Moment noch der Deutsche Turner-Bund (noch) der Träger sei. Die Liegenschaft soll daher auf den TMA e.V. übertragen werden. "Da reden wir jetzt aber auch schon fünf Jahre darüber. Denn das Ganze muss auf einem sicheren Standbein stehen. Insbesondere nach der Corona Zeit. Denn es nützt alles nichts, wenn der Verein die Tagungsstätte übernimmt und dadurch in gefährliches Fahrwasser kommt", betont Sikkema.

Denn die Zahlen hat der Geschäftsführer immer im Blick. Und er weiß, dass auf die Akademie noch Aufgaben zukommen, um langfristig erfolgreich sein zu können. "Die größte Herausforderung in den nächsten Jahren wird die energetische und die komplette Sanierung der Liegenschaft sein. Das hat damit zu tun, dass wenn die TMA die Liegenschaft übernimmt, bestimmte Bereiche saniert und auf dem neuesten Stand gebracht werden müssen", erklärt er.
 

(Bild: Saal mit Bühne der Turner-Musik-Akademie | TMA)

Wieder E-Lehrgänge

Dafür will Sikkema nicht nur die bestehenden Kontakte vertiefen, sondern auch neue Musikerinnen und Musiker gewinnen. Die Turnermusik und die Musik im Allgemeinen habe noch sehr viele weiße Flecken auf der Landkarte. "Die müssen wir aktivieren oder reaktivieren. Denn es fehlt in vielen Bundesländern an Strukturen", hat er erkannt. Und genau da möchte er mit der TMA ansetzen. "Wir wollen die Landesverbände unterstützen, um sagen zu können, wir fangen mal wieder ganz unten an. Wir fangen wieder mit E-Lehrgängen an, um dann nach und nach wieder Führungskräfte ausbilden zu können. Und die bringen wir dann in die Verbandsarbeit. Damit sie dort wieder Musikzüge aufbauen", lautet sein Plan. 

Wenn er Schleswig-Holstein, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern anschaue, dann seien die noch sehr schwach besetzt. Und Nachwuchsarbeit habe eben auch sehr viel mit guter Vereinsarbeit zu tun. "Es gibt Vereine, die hoffnungslos überaltert sind. Meistens liegt das an einer mangelnden Jugendarbeit. Man braucht einen unheimlich langen Atem, um die Jugend an seinen Verein zu binden. Aber denjenigen, die es intensiv betreiben, rennen, nach meiner Erfahrung, die Leute die Bude ein", sagt Sikkema.

Zukunftshoffnung: gute Ausbildung

Genau darin liegt nach seiner Meinung auch die Zukunftshoffnung der Turnermusik. "Wir konzentrieren uns jetzt darauf, dass wir so viel und so gut wie möglich ausbilden. Damit die Leute auch im Verein Führungsaufgaben übernehmen können. Denn nur so können wir Strukturen wieder aufbauen und Führungskräfte innerhalb der Vereine schaffen", findet der TMA-Geschäftsführer, der die Dinge gerne pragmatisch angeht. So stolperte er über eine für ihn wichtige Frage.

„JULEICA-Kurse gibt es immer nur für Sportvereine. Warum nicht für Musiker?“, fragte er sich.

Schließlich sei die gute Ausbildung von Jugendleiterinnen und Jugendleitern ein eminent wichtiges Thema, insbesondere unter dem Aspekt der bekannten Vorfälle in Chormusik und Kirchenumfeld. "Das sind Dinge, die sind unheimlich wichtig. Deswegen haben wir uns mit der deutschen Bläserjugend zusammengesetzt und ein paar anderen Dachverbänden", erzählt er. Man sei ziemlich bald übereingekommen. "Wir haben gesagt, okay, das machen wir", berichtet Sikkema und freut sich nun im April auf den ersten JULEICA-Kurs für Musikerinnen und Musiker.

Bis 2027 will Sikkema weiter am Ruder der TMA stehen. Bis dahin will er die Akademie durch die gröbsten Stürme navigiert haben. Nach überstandenem Hochwasserschaden und Pandemie hofft er nun auf ruhigere Gewässer.

Ich freue mich sehr auf schönere Zeiten. Allerdings kann mich jetzt wohl kaum noch etwas schocken.

AUSGABE  Musik 01-2023 | Einblicke | Irgendwo im Nirgendwo
AUTOR       Nils B. Bohl