Rainer Brechtken | Bildquelle: Picture Alliance
Einblicke

Gastkommentar des DTB-Ehrenpräsidenten Rainer Brechtken

Der Verein als Familie

Zuerst ist der Verein der Spezialist für Bewegungsangebote für jedes Alter – ohne soziale Schranken. Dies beginnt bei den Kindern. Bewegung ist ein Grundbedürfnis von Kindern und eine Grundlage der gesamten Persönlichkeitsentwicklung. Bewegung ist ein Motor für die Entwicklung geistiger und psychosozialer Ressourcen. Auch die Gehirnforschung legt klar, dass bereits bei der frühkindlichen Entwicklung Bewegung für die Synapsenbildung, also auch für späteres kognitives Können, ganz entscheidend positiv wirkt. Bewegung und Toben – so wichtig sie sind – reichen nicht aus, die gesamte Entwicklung positiv zu beeinflussen. Gezielte Bewegungserziehung und qualifizierte Anleitung ist gefragt. Mit seinen qualifizierten Übungsleiterinnen und Übungsleitern leistet dies der Verein. Ein wichtiges Element kommt hinzu. Bewegungserziehung im Verein findet in sozialer Gemeinschaft statt. Diese soziale Gemeinschaft bindet die Kinder an das Bewegungsangebot des Vereins. So wird Nachhaltigkeit erreicht.

Teamgeist, Toleranz, Fairplay und Respekt 

In der zweiten Phase – nach der soliden Grundlagenausbildung im Kinderturnen – interessieren sich die Kinder für eine Sportart nach ihrer Neigung. Sie kommen in neue Gruppen und Mannschaften. Dies ist wiederum ein soziales Lernfeld. Es geht um Werte wie Teamgeist, Toleranz, Fairplay und Respekt. Es geht um die Einhaltung von Regeln. Werte, die unsere Gesellschaft dringend braucht. Die Vereinsfamilie leistet so einen zentral wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft.

Demographische Entwicklung & soziale Gemeinschaft

Eine weitere wichtige Herausforderung für unsere Gesellschaft ist die demographische Entwicklung. Das statistische Bundesamt rechnet vor, dass der Anteil der Deutschen über 65 Jahre von heute 20 Prozent bis 2030 auf 33 Prozent ansteigen wird. Wir diskutieren über die Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Erforderlich sind konsequente Investitionen in die Prävention. Gesundheitsvorsorge beinhaltet vielseitige Bewegung, gesunde Ernährung und geistiges Interesse. Gesundheitlich ausgerichtete Bewegungsangebote werden von unseren Vereinen flächendeckend angeboten. Auch bei diesen Angeboten ist die qualifizierte Anleitung wichtig. Auch hier gilt: Dauerhaft Bewegungsangebote annehmen, ist am ehesten in sozialer Gemeinschaft möglich.

Vereine – der soziale Kitt der Gesellschaft

In einer sich dramatisch verändernden Welt, mit ihren Spannungen und Ängsten, gilt es den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken. Der Verein bietet vielen Menschen die Möglichkeit ihren Interessen nachzugehen und zwar in sozialer Gemeinschaft im Verein mit Gleichgesinnten. Im Verein finde ich – auch wenn ich etwa neu zugezogen bin – die Möglichkeit, in eine neue soziale Gemeinschaft eingebunden zu werden, Freunde, Bekannte zu finden, um mich so in eine soziale Gemeinschaft, meiner neuen Gemeinde, einzufinden. Auf diese Weise werden Vereine zum sozialen Kitt der Gesellschaft. Im Hinblick auf diese soziale Funktion der Turn- und Sportvereine muss deutlich angemahnt werden, dass die Vereine nicht Bittsteller gegenüber der öffentlichen Hand sind. Sie erfüllen wichtige soziale Funktionen; sie brauchen deshalb die finanzielle Unterstützung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.
Gerade die beiden vergangenen Jahre in der Pandemie haben gezeigt, welche Defizite entstehen, wenn die Vereine nicht voll handlungsfähig sind. Die Forderung nach einem Bewegungsgipfel von Politik und Sport ist mehr als berechtigt. Wir müssen gemeinsam Strategien entwickeln um die Defizite abzubauen. Meine Bitte: Entwickeln wir nicht immer neue Leuchtturmprojekte. Der Bewegungspartner an jedem Ort ist der Verein. Er braucht kontinuierliche Unterstützung.

Verantwortung übernehmen

Ein weiterer Aspekt ist die Bedeutung unserer Vereine für die Demokratie und ihre Entwicklung. Demokratie ist kein selbstverständlicher Zustand. Demokratie muss täglich durch Engagement der Bürgerinnen und Bürger erarbeitet werden. Engagement ist vor allem die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen. Dies heißt Kontinuität im Engagement. Dies heißt Kritik aushalten. Dies heißt andere zur Mitarbeit ermuntern. All dies lernt man im Verein. Der Verein ist die Ebene, die überwiegend vom ehrenamtlichen Engagement lebt. Die Grundprinzipien gehen über 200 Jahre zurück auf die Turnbewegung.

 

Der Verein ist also Familie. Er ist soziale Gemeinschaft.

Der Verein ist eine unverzichtbare Basis für unsere demokratische Entwicklung.

AUSGABE  Familie 01-2022 | Einblicke | Gastkommentar Brechtken
AUTOR       Rainer Brechtken