Jörn Verleger | Bildquelle: DTB
Einblicke

Wenn der Präsident höchstselbst die Limousine fährt

Ein Perspektivwechsel

Jörn Verleger bereitet es sichtlich Spaß, in der Elektrolimousine einer bayerischen Edelautomarke des Fahrservice bei den European Championships in München die einzelnen Wettkampfstätten abzuklappern.

"Mit Ausnahme von einem Tag war ich jeden Tag im Olympiapark. Ich habe gefühlt 25 bis 30 Sportveranstaltungen besuchen können. Beachvolleyball, Klettern, Turnen, Triathlon, Marathon, ich war immer mit dabei", erklärt der Präsident des Faustball-Weltverbandes (IFA).

Das Besondere:

Verleger sitzt in München selbst hinter dem Steuer. Acht seiner 12 Tage bei der internationalen Großveranstaltung hat der 50-Jährige als Volunteer Sportler*innen, Kampfrichter*innen und Funktionär*innen von und zu den Wettkampfstätten transportiert.

"Während ich vor vier Wochen bei den World Games noch derjenige war, der im Auto gefahren wurde, habe ich diesmal das Auto selbst gefahren und hatte das Vergnügen den Vizepräsidenten des Europäischen Triathlon Verbandes aus Irland zu chauffieren.

Oder die Turnerjugend aus Österreich und die Kanuten aus Israel in ihr Hotel zu bringen", erzählt er.

Herzerfrischende Begegnungen

Neben den E-Autos gab es in München natürlich auch verschiedenste Neunsitzer für den Gruppentransport. "Rund 140 Autos waren im Fuhrpark, entsprechend viele Fahrerinnen und Fahrer mussten da zusammenarbeiten. Per App hat man seine Fahraufträge bekommen, da stand drin, wann man loszufahren hat und wann man wo zu sein hat. Das war schon relativ professionell organisiert und von der Systematik wie von der Herangehensweise sehr durchstrukturiert", berichtet der Volunteer.

An insgesamt acht Schichten hat Verleger mitgearbeitet, unzählige Aufträge abgearbeitet. "Bei all diesen Fahrten lernt man nicht nur spannende Leute kennen, das sind Begegnungen, die herzerfrischend sind und einem einen spannenden Zugang eröffnen", sagt der Bayer, der im Jahr 2023 für die Faustball-Weltmeisterschaft in der Mannheimer SAP-Arena verantwortlich zeichnet.

Gerade aus dieser Sicht, erklärt Verleger, sei das ein hochspannender Perspektivwechsel. "Man lernt immer etwas dazu. Man sieht die Veranstaltung noch einmal von einer ganz anderen Seite", betont er.

Vom Bandensystem im Leichtathletikstadion bis hin zu der Frage, ob man dieses "Limo Works" für die Fahreinsätze bei einer Faustball-WM einsetzen kann, Verleger hat sich alles intensiv angeschaut und (manchmal sehr zur Verwunderung seiner Fahrerkollegen) viele Details auf Fotos festgehalten.

"Weil ich dieses Wissen gerne mit den Kollegen von der WM teilen möchte. Da sind spannende Ansätze mit dabei", findet er.

Mit Ausnahme eines Tages sei er jeden Tag im Olympiapark gewesen, gefühlt 25 bis 30 Sportveranstaltungen habe er besuchen können.

Beachvolleyball, Klettern, Turnen, Triathlon, Marathon, Verleger war in München immer mit dabei. Für den Sportfunktionär ist der Perspektivwechsel zum freiwilligen Helfer aber keine neue Erfahrung. "Ich habe mich schon immer in verschiedensten Funktionen ehrenamtlich engagiert, seit ich 16 bin. Im Verein, im Verband, bei der Deutschen Olympischen Gesellschaft auf Bundesebene. Seit 1998 habe ich Multisport- und Großveranstaltungen mitgemacht. Ich war beim Turnfest in München für zwei Showbühnen verantwortlich, ich war bei der Fußball-WM 2006 im Medienbereich mit dabei, bei der Tischtennis-WM war ich Hallensprecher", zählt er auf.

Fragt man ihn nach seinem schönsten Erlebnis in München, will sich der erfahrene Volunteer nur ungern festlegen.

"Ich würde das nicht auf einen Fahrauftrag reduzieren. Das Besondere war tatsächlich die Stimmung, die 50 Jahre nach 1972 hier geherrscht hat. Und das sowohl im Park bei den Besuchern als auch bei den Teilnehmern wie auch bei der Gruppe der über 6.000 ehrenamtlichen Helfer", sagt er - um dann doch noch eine Sache herauszuheben: "Gerade die Gespräche mit den Israelis über 1972 waren intensiv und sportpolitisch spannend", erinnert sich Verleger, der als Fahrer seine Fragen immer geradeheraus gestellt hat und auch immer offene Antworten bekam. "Ich glaube, dass da auf deutscher Seite damals der ein oder andere Fehler gemacht worden ist", findet er.

Nicht festlegen mag er sich auch in der Frage, welcher Platz in der E-Limousine ihm besser gefällt.

Der als Fahrer hinter dem Steuer oder der als Verbandspräsident auf dem Rücksitz. "Hauptsache mittendrin statt nur dabei, das ist ein bisschen mein Motto. Und eigentlich bist Du bei beidem mittendrin. Als Volunteer hast Du weniger Verantwortung, als wenn es Deine eigene Veranstaltung ist. Aber die Erlebnisse und das Gemeinschaftsgefühl, Teil des Ganzen zu sein und etwas zum Erfolg beizutragen, eint sowohl die eine als auch die andere Funktion", kann er beiden Funktionen ihre schönen Seiten abgewinnen.

Für Verleger ist daher schon jetzt klar, dass er mit Sicherheit wieder punktuell solche Dinge machen wird.

"Meine letzte Großveranstaltung davor war als Anti-Doping-Volunteer bei der Nordischen Ski-WM in Obersdorf. Das habe ich 2005 schon einmal gemacht. Und wenn man mich fragen würde, was der beste Volunteer Job ist, dann glaube ich tatsächlich, dass dieser einer der spannendsten ist. Denn Du wartest als Ehrenamtlicher praktisch auf der Ziellinie, um Deinen Dir vorher zugeteilten Sportler dann zu begleiten und aufzupassen, dass er bis zur Dopingkontrolle nicht irgendwohin verschwindet", erklärt er.

Die Frage, ob das riesige Event European Championships zeitgemäß ist, möchte Verleger unbeantwortet lassen.

"Ich kann aber jedem empfehlen, sich bei sportlichen Großveranstaltungen als Volunteer einzubringen. Das ist etwas, das das Leben bereichert und zu neuen Perspektiven führt. Dieses Gemeinschaftsgefühl einmal im Leben hinzukriegen, das kann ich jedem empfehlen, weil es sein Leben bereichert", ist er überzeugt. Es gebe bereits viele Volunteers, die mittlerweile von Veranstaltung zu Veranstaltung tingelten. "Diese Faszination, dass Sport die Menschen vereint, kann man natürlich nur erleben, wenn es sportliche Großveranstaltungen gibt. Und dafür würde ich mich in jedem Fall einsetzen. Ob die Kinder dann European Championships, European Games oder Olympische Spiele heißen, ist an dieser Stelle dann egal", glaubt er.

AUSGABE  München 04-2022 | Einblicke | Ein Perspektivwechsel
AUTOR       Nils B. Bohl