Dmitry Zimmermann beim Ski Alpin Weltcup | Bildquelle: Jens Körner
Einblicke

Dmitry Zimmermann hat alle musikalischen Fäden im Griff

Die Spinne im Hintergrund

Dmitry Zimmermann weiß, wie Turnen klingen muss. Als Meister des Sounddesigns, hält er als DJ oder Venue-Producer die musikalischen Fäden von Großveranstaltungen in der Hand.

Er agiert als musikalische Stimmungskanone, reagiert auf das Geschehen auf dem Field of Play oder interagiert mit dem Hallenmoderator, um das Publikum abzuholen und es in allerbeste Feierlaune zu versetzen.

Der gelernte Musikproduzent

Der gebürtige Moskauer, der seit 2014 in Stuttgart lebt, hat in seiner Heimatstadt und in Nashville/Tennessee Musik studiert. Er ist gelernter Musikproduzent und arbeitete unter anderem für SONY MUSIC. Eigentlich glaubte er, sein weiteres Leben mit Musikproduktion und Konzerten zu verbringen. Aber über ein Engagement beim Organisationskomitee der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi knüpfte er erste Kontakte zum Sport.

Heute arbeitet er als Venue-Producer und DJ für die Sport- und Eventagentur 24passion. Dort konnte er zum ersten Mal seine Begabung und Kenntnisse aus der Musikindustrie auf die sportliche Schiene setzen. Heute haben viele Eventmanagerinnen und -manager die Handynummer von Dima bereits in ihrem Notizbuch, wenn es darum geht, passende Musik für ihre Veranstaltungen sicherzustellen.

Ist DJ nicht einfach DJ? Reicht es nicht auch einfach, im Club seines Vertrauens den zuständigen Plattenleger zu verpflichten?

"Sport ist schon eine sehr spezielle Sache. Für mich gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen dem DJ im Club und einem DJ bei Sportveranstaltungen. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Da braucht man auch völlig unterschiedliche Skills."

Was braucht es für einen guten Sport DJ? Was sind diese Skills?

"Der Club DJ ist selbst ein Vektor davon, wie der Abend abläuft. Der Sport DJ muss ein Stück weit auch ein Psychologe sein. Er muss eine Situation erkennen und verstehen. Er muss die richtige Musikauswahl für das aktuelle Geschehen treffen, jetzt haben wir Boden, danach Schwebebalken, jetzt haben wir Jubel oder anschließend einen Überraschungssieger."

Und wie macht man das, so blitzschnell auf das Geschehen in der Halle reagieren?

"Der Sport DJ ist ein Art Spinne, der ganz viele Ordner hat und mit ganz viel Geschick je nach Situation eine passende Musik herausziehen muss. Ich habe so etwa 30 Ordner zu allen möglichen Situationen. Es ist aber nicht so, dass man sich auf jedes Event speziell vorbereitet. Es kommt hier auf die Größe der Veranstaltung an.

Bei Weltmeisterschaften entwickeln wir beispielsweise ein spezielles Musikkonzept für besondere Momente wie die Siegerehrung oder die Präsentation der Athletinnen und Athleten. Bei einem Länderkampf arbeiten wir mit der bestehenden Musikbibliothek. Selbstverständlich gibt es für bestimmte Programmpunkte dann auch spezielle Musikstücke, zum Beispiel für Gewinnspiele, Action-Cams oder ähnliches."

Aber es gibt einen minutiösen Plan, dem du folgst?

"Ich bin eher nicht der Typ von DJ, der alles genau vorbereitet und egal was passiert, dann auch so abspielt. Da geht die Flexibilität verloren. So bleibt jedes Event musikalisch einzigartig. Ich höre immer gerne ins Publikum hinein, wie die Stimmung ist. Ob die Leute gerne klatschen oder nur dann, wenn der Moderator sagt, ‚und jetzt alle zusammen!‘."

musikalisch | einzigartig | klatschen | zusammen

Was aber tun, wenn die Halle nur schwach gefüllt ist? Oder das Publikum sich für das Gezeigte nur schwer begeistern kann?

"Das ist eine sehr schwierige Situation. Dieses Problem hatten wir hin und wieder schon einmal, gerade auch jetzt während der Pandemie. In einer ganz kleinen Halle, die aber voll ist, ist es wesentlich einfacher, mit dem Publikum zu interagieren als an einem Morgen vor 500 Menschen in der riesigen Berliner Max-Schmeling-Halle."

Und wie lautet dann der Rettungsanker?

"Dafür gibt es ja dann noch die tolle Unterstützung des Moderators. Musik kann in einer Halle ganz anders wirken, wenn der Moderator die Zuschauer vorher entsprechend darauf vorbereitet. Mit Musik allein ist das in solchen Situationen ein relativ schwieriges Unterfangen.

Ein einfaches Beispiel.

Jeder kennt das Lied "Que Sera". Wenn du als DJ das einfach so spielst, dann schunkelt da vielleicht der eine oder andere mit. Wenn der Moderator alle dazu auffordert, dann schunkelt die ganze Halle. Das ist schon cool. Um 10 Uhr morgens kann ich mir außerdem nicht vorstellen, die Leute mit harten Beats zu quälen. Die musikalische Begleitung kann nicht dieselbe sein, wie wir sie an einem Abend machen, wenn wir die Stimmung der Menschen pushen."

Und wer bestimmt am Ende die Musik?
Der DJ oder das Publikum?

"Ich denke, da muss man als DJ immer auf das Publikum eingehen. Es ist egal, ob es einem selbst gefällt oder nicht. Ein Beispiel ist da sicher das Skispringen in Oberstdorf. Da ist seitens des Publikums Party- und Après-Ski Musik gefragt. Das ist überhaupt nicht mein Geschmack. Aber hier verstehe ich dann auch, dass die Leute es einfach verlangen.

Es geht darum zu verstehen, was die Leute von Dir erwarten.

Vielleicht ist das aber auch nur so, weil sie das immer so gehört haben… (lacht) …und man müsste sie einfach nur einmal zu "ihrem Glück" zwingen."

Sind Turnveranstaltungen "musikalisch" einfach nur Veranstaltungen wie alle anderen oder gibt es spezielle Dinge, auf die man dort achten muss?

"Was für mich beim Turnen immer sehr wichtig ist, ist die Abgangsmusik vom Gerät. Das ist die einzige Stelle, wo wir die Turner unterstützen können. Und ich merke, dass die Turner darauf sehr gut reagieren. Es gibt bestimmte Tracks, bei der WM 2019 haben wir sogar gefragt, welches die Wunschmusik der Athleten ist. Früher hat man während der Übung immer gerne eine ruhige, getragene Pianomusik gespielt. Heute haben wir da viele bekannte und populäre Songs, gerne auch in der Instrumentalversion."

An welchen Stellschrauben kann der DJ noch drehen?

"Man kann zum Beispiel auf die Stadt eingehen. Wenn man weiß, dass Berlin eine Techno-Hauptstadt ist, dann kann man Technomusik nutzen. Leicht Downtempo, aber nicht zu krass. Manche Dinge funktionieren auch nur aufgrund der Magie des Ortes. Beatles, die bei der WM in Liverpool gut funktionieren, würden vielleicht bei der EM in München gar nicht funktionieren.

Aber vielleicht irre ich mich da auch.

Aber es gibt bestimmt Dinge, die in München besser funktionieren als in Liverpool. Denn die Leute haben ja immer bestimmte örtliche Gewohnheiten und daher auch immer eine bestimmte Erwartungshaltung. Bei den European Championships nutzen wir beispielsweise eine Orchester-Fassung eines Songs der "Münchner Freiheit" für die Siegerehrung."
 

Die Finals 2022 | Max-Schmeling-Halle Berlin

Wie empfindest du das deutsche Publikum im internationalen Vergleich?

"Was man merkt, ist, dass das deutsche Publikum viel reist. Die Musikpalette darf deswegen viel breiter sein kann. Ich habe früher auch viel in meinem Geburtsland Russland gearbeitet, zum letzten Mal 2020. Da war ich Venue-Producer, also verantwortlich für den Ablauf der Arena-Show und habe mit einem russischen DJ zusammengearbeitet, der hat dann das eine gespielt, dass andere nicht. Man merkt dann zum Beispiel, dass man YMCA in Russland nicht kennt. Sweet Caroline in der Version von DJ Ötzi kennt man in Russland selbstverständlich auch nicht, das Original von Neil Diamond dagegen schon."

Welche Art Musik funktioniert beim Turnen deiner Meinung nach gar nicht?

"Ich persönlich glaube, dass Hard Rock und Turnen nicht funktioniert. Das ist nicht das, was man erwartet. Rammstein oder AC/DC kann ich mir da echt nicht vorstellen."

Hard Rock | Ramstein | AC/DC

Wie werden sich Sportveranstaltungen deiner Meinung entwickeln? Wird der Unterhaltungsanteil noch weiter steigen?

"Ich glaube ja. Einige sagen ja schon, das sei alles kein Sport mehr, das sei nur noch Show und Bling Bling. Sie vergessen aber, dass Sport auch ein wichtiger Teil des Lebens ist. Man verbringt eine gute Zeit miteinander. Wenn der Sport aber nicht mehr mithalten kann, weil man auf sozialen Medien besser und einfacher Zeit miteinander verbringen kann, dann ist es nicht gut für den Sport."

Und wie könnte man verhindern, dass der Sport von der Entwicklung abgekoppelt wird?
 

"Der Fehler ist, dass wir das Problem oft aus der Sicht der Entscheidungsträger bei Verbänden und Vereinen und damit sehr oft aus der Sicht der älteren Generation betrachten. Wir müssen aber dafür Sorge tragen, dass auch die neue Generation kommt. Wenn die aber zum Sport kommt und feststellt, dass es dort keine passende App für ihr Smartphone oder wenigstens eine interaktive Unterhaltung gibt, an der alle Zuschauer teilhaben können, dann werden sie sehr schnell das Interesse verlieren. Sie verstehen nicht, wie man 90 Minuten gegen einen Ball treten kann oder sechs Stunden am Stück Turnübungen verfolgen sollte. Turnen braucht Musik und Unterhaltung, um seine Inhalte noch transportieren zu können. Vor allem aber braucht es Erklärung. Denn der neue Zuschauer versteht zumeist nicht, was da passiert, vor allem in einem Mehrkampf nicht. Sport und Infotainment funktionieren ja sehr gut zusammen, vor allem, wenn ich die Information humorvoll und interessant darstellen kann."

"Das macht guten Sport gerade aus. 
Und das ist etwas, was der Sport noch viel mehr nutzen sollte",
sagt Dmitry Zimmermann.

AUSGABE  Musik 01-2023 | Einblicke | Die Spinne im Hintergrund
AUTOR       Nils B. Bohl