Torsten Hartmann im Pressebereich | Bildquelle: DTB
Einblicke

Quo Vadis?

Der Turnsport in den Medien

Wir schreiben das Jahr 2005. Das Internationale Deutsche Turnfest in Berlin ist mit sagenhaften 100.000 Teilnehmenden Geschichte, mit der Turn-WM im australischen Melbourne steht im Herbst bereits das nächste sportliche Highlight im Turnsport an. Vor allem der anstehende Auftritt eines damals gerade erst 17-jährigen Teenagers ließ die Medienlandschaft in Hektik geraten. Erst Wochen zuvor hatte der junge Hesse mit dem Europameister-Titel am Reck seinen ersten internationalen Titel errungen. Erstmals international auf sich aufmerksam gemacht hatte Fabian Hambüchen als sogenannter "Turnfloh" jedoch schon ein Jahr vorher, bei den folgenden Olympischen Spielen 2004 in Athen. Dort war er sensationell ins Reckfinale eingezogen und hatte sich gegen die internationalen Topstars tapfer geschlagen. Der Wetzlarer erzielte seinerzeit mit seiner Übung am Königsgerät die beste deutsche TV-Quote während der Olympischen Spiele.

Ein Jahr später folgte Melbourne

Die Titelkämpfe auf der anderen Seite des Globus waren für mich (Anm. der Redaktion: Torsten Hartmann) der erste große Einsatz als Pressesprecher für den Deutschen Turner-Bund. Gut einen Monat zuvor hatte ich meinen Dienst beim Verband in Frankfurt am Main aufgenommen.

Nun lag ich nachts im Bett meines Hotelzimmers und an Schlaf war nicht zu denken. Ständig klingelte das Mobiltelefon, permanent kamen Anfragen von Journalisten-Kolleg*innen, die mit dem neuen deutschen Turnstar ein Gespräch führen oder etwas rund um dessen WM-Auftritt veröffentlichen wollten und Gesprächsbedarf hatten.

Die meisten Medienvertreter*innen hatten schlicht nicht damit gerechnet, dass ich als Pressesprecher des Verbandes mit vor Ort war, oder vergessen, dass es acht Stunden Zeitverschiebung nach Melbourne waren und riefen daher nachts in Australien an.

Es war viel los rund um den "Boris Becker des Turnens", der bei dieser WM seine erste Medaille nur knapp verpasste. Die Zeitungen waren voll, wenn Fabian Hambüchen antrat und das TV war fast immer mit dabei, wenn er nach erfolgreicher Übung die Faust ballte und frenetisch gefeiert wurde.

Von der One-Man-Show zur Boy-Group

Ein Zustand, der in den folgenden Jahren nicht nur anhielt, sondern sich sogar noch verstärkte. Durch ebenfalls sehr erfolgreiche Teamkollegen wurde im Laufe der Jahre aus der One-Man-Show Hambüchens eine "Boy-Group". Deutschland hatte plötzlich mit Philipp Boy, Marcel Nguyen, Matthias Fahrig und Fabian Hambüchen eine ganze Riege cooler Jungs, die nicht nur Weltspitze war, sondern auch dermaßen trendy, dass jeglicher Staub von den Turngeräten förmlich weggeblasen wurde. Ein wunderbarer Status Quo für einen Presseverantwortlichen des zuständigen Verbandes. Die Medien goutierten die Erfolge mit Berichterstattung, Reichweite und jeder Menge persönlicher Präsenz. Bis zu zwei Dutzend Journalist*innen reisten bei internationalen Meisterschaften im Tross mit. Die öffentlich-rechtlichen TV-Sender bauten aufwändige Live-Produktionen in diese Titelkämpfe im Ausland ein. 

DTB-Pressesprecher Torsten Hartmann bei einer Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Turnfestes Metropolregion Rhein-Neckar 2013. Bildquelle: Turnfestfotos

Komplette Veränderung der Medienlandschaft

Seitdem sind mindestens zehn Jahre vergangen. Ein Jahrzehnt, in denen sich die Sport-Medienlandschaft nicht nur in Deutschland komplett verändert hat. Auch wenn deutsche Turnerinnen und Turner immer noch sehr erfolgreich (und natürlich auch angesagt) sind, wie Lukas Dauser, Elisabeth Seitz, Pauline Schäfer-Betz oder Emma Malewski beweisen, so hat sich die Bühne, auf der die Erfolge gefeiert werden, ein Stück weit verlagert. Natürlich sind immer noch Journalist*innen bei internationalen oder nationalen Turn-Events vertreten und machen dort ihren Job. Auch das lineare TV versucht Bilder in das passende Sendefenster zu hieven. Allerdings ist der finanzielle Aufwand, den die Redaktionen bewältigen können, um über eine "Randsportart" wie das Turnen zu berichten, viel geringer als früher. Waren noch vor Jahren die festangestellten Redakteur*innen von den überregionalen Zeitungen bei den Events nahezu selbstverständlich vor Ort und produzierten eigene Geschichten, so bedient man sich heute zumeist aus dem Angebot der Nachrichtenagenturen. Und auch das öffentlich-rechtliche TV muss deutlich kostenbewusster arbeiten und greift vermehrt auf das TV-Bild des Veranstalters zurück, ohne einen eigenen Redakteur bzw. Redakteurin oder gar ein ganzes Team für eigene Bilder und O-Töne zu entsenden.

Die Folge ist, dass die thematische Vielfalt im Mediensport in den vergangenen Jahren weiter deutlich zurückgegangen ist.

Betrug der Anteil des Fußballs an der Gesamtberichterstattung der Sportberichterstattung vor 20 Jahren noch etwa 50 Prozent, so sind es heutzutage deutlich mehr als 75 Prozent.

König Fußball regiert also stärker als je zuvor – doch was ist mit den Turnfans? Keine Sorge, es gibt sie immer noch und es geht ihnen gut!

Die Bühne hat sich verlagert

Wie angedeutet hat sich die Bühne für das Turnen verlagert. Social-Media-Kanäle und deren Reichweiten sind eine neue Währung. Athletinnen und Athleten haben dort starke Kanäle, die sie selbst betreiben und mit denen sie in direkten Kontakt mit ihren Fans treten.

Sportverbände wie der DTB betreiben mit großem Aufwand ebenfalls eigene Social-Media-Kanäle und präsentieren hier ihren Sport direkt dem Endverbraucher – sprich dem Turnfan. Zudem existieren mittlerweile sowohl eigene als auch externe digitale Plattformen, auf denen Sportverbände eine Live-Berichterstattung von ihren Events präsentieren können. Mit Sportdeutschland.tv gibt es beispielsweise eine etablierte Streamingplattform, die jeglichem Sportevent eine Liveübertragung ermöglicht. Die Möglichkeiten, den Sport zu verfolgen, sind folglich vielfältiger, nahezu unbegrenzt. Die Fans rufen sich ihren Sport zu dem Zeitpunkt und auf der Plattform ab, der ihnen passt und die zu ihnen passt.

Doch was ist mit den klassischen Medien, sind die Tage des linearen TVs für die Randsportarten gezählt?

Mitnichten, denn eine Ausdifferenzierung der Medienkanäle bedeutet zugleich, dass man ein deutlich kleineres, bzw. spezielleres Publikum anspricht. Will man ein großes, bundesweites Publikum erreichen, kommt man auch im Turnen nicht an den klassischen Medien, allen voran dem TV – vorbei. Zumal auch die öffentlich-rechtlichen TV-Sender die Situation erkannt haben und mittlerweile über eigene Streaming-Angebote, zum Beispiel auf sportschau.de, auch spezielle Interessen besser bedienen können. So wird der Deutsche Turner-Bund auch künftig bei seiner Medienstrategie bleiben:Das eine tun, ohne das andere zu lassen - also eigene digitale Kanäle stärken und zugleich die klassischen Medien intensiv bedienen. 

Das Gemeinschaftserlebnis – größte Begeisterung

Denn spätestens bei dem größten aller Sporthighlights, den Olympischen Spielen, kommt kein Sportfan um das gute alte TV herum. Schließlich kommt die stärkste Begeisterung immer aus dem Gemeinschaftserlebnis heraus. Was wäre ein Olympiasieg von Fabian Hambüchen oder ein 100-Meter-Finale zu später Uhrzeit, wenn man es nicht im klassischen TV, beim Public Viewing oder mit Millionen anderen Sportfans gemeinsam live mitverfolgen könnte ...?

AUSGABE         Medien 04-2023 | Einblicke | Der Turnsport in den Medien
AUTOR              Torsten Hartmann, Pressesprecher Deutscher Turner-Bund