Anke Gerber, DTB-Ausbildung Choreografie | Bildquelle: DTB
Einblicke

Big things start small

Choreografieren und Präsentieren

Wo soll ich denn nur anfangen?

(Bild: Fliegende Homberger (2013). Deutsches Turnfest)

  • Was wollen wir mit dem nächsten Stück zeigen?
  • Wollen wir ein Thema bearbeiten?
  • Reizt uns ein besonderes Material?
  • Welche und wie viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen werden dabei sein?
  • Wie sollen wir das schaffen?

Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigen sich viele, die mit Gruppen gestalten und choreografieren, und sie kennen die damit verbundenen Probleme. Manchmal scheint einiges zu viel zu sein, zu viele Ideen, zu viel Unsicherheit oder zu viel Unentschiedenheit, oder es herrscht Klarheit, und dennoch "hängt" es mit dem Start. Erfahrene Übungsleiter*innen wissen und vertrauen darauf, dass man mit einer Sache anfangen muss, auch wenn es wenig ist, sich aber dadurch nach und nach Lösungen ergeben, die zum Endprodukt der Choreografie führen. Anfänger*innen können u. U. verunsichert sein. Es gibt jedoch keine allgemeingültigen Regeln, wie und womit man anfangen soll, sondern es hängt von der Art der Vorführung, der choreografischen Absicht und der Ausgangssituation ab. Handelt es sich um ein Thema, einen Text, ein Material, Bewegung, Kostüm oder die Musik?

Egal womit man beginnt, mit irgendetwas muss man anfangen.

Tipp 1

Habt Mut zu beginnen, damit die Choreografie eine Chance hat, zu entstehen und zu wachsen. Wenn ihr wenig Erfahrung im Choreografieren habt, beginnt mit kleinen Projekten, und steigert euch allmählich und denkt daran, alle Fortgeschrittenen und Profis haben auch einmal klein angefangen. Das gleiche gilt oft für die Aktiven, auch sie waren einmal jung und wurden größer und meist besser.

(Bild: Schwerpunktfach Bewegungen gestalten. Foto: Benjamin Heller)

Ich suche nicht, ich finde

Die Aussage "Ich suche nicht, ich finde" wird Picasso zugeschrieben, der einst damit seine künstlerische Arbeitsweise erklärte. Nicht das ständige Suchen, sondern das gleichzeitige Offensein für etwas, das die Lösung sein kann, seien bedeutsam. Auch wenn diese Aussage vor langer Zeit gemacht wurde, kann sie auch heute noch hilfreich sein. Online-Recherchen gehören gegenwärtig zum Choreografieren und Präsentieren, und das Angebot im Internet ist immens, man kann sich darin verlieren und seine Zeit ebenso. Gerade daher kann es hilfreich und wichtig sein, wieder Abstand zu nehmen, zu pausieren, die Informationen auf sich wirken zu lassen, und sie als Quelle der Inspiration zu nehmen, und zu schauen, was sich daraus mit der eigenen Gruppe machen lässt. Und manchmal kann es zu einer Art "Aha-Effekt" kommen.

Tipp 2

Auch wenn die Ideen und Pläne für eine Choreografie unvollständig sind, die Musik noch nicht festgelegt wurde, oder der Umgang mit einem neuen Objekt noch unklar ist, vertraut darauf, dass ihr durch die Auseinandersetzung mit den Ideen und durch das Tun Lösungen finden werdet.

Ich weiß, was gefordert wird

Ein entscheidender Faktor für den Erfolg einer Choreografie ist die "Passung" zu den Gegebenheiten und die Akzeptanz der Faktoren bzw. Regeln, unter denen der Auftritt stattfinden soll. Leistungsniveau, Konzeption der Choreografie, Raum, Zeit etc. müssen den Aufführungsbedingungen entsprechen. Daher ist es unumgänglich, sich früh über was, wann, wo, wer, wie zu informieren. Nichts ist schlimmer und führt zu Enttäuschungen als eine Choreografie, die nicht den Anforderungen entspricht, wie z. B. eine falsche Dauer, die Abgabe der Musik im falschen Format oder Gruppenmitglieder, die laut Ausschreibung vom Alter her nicht teilnehmen dürfen, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Tipp 3

Sobald ihr mit einer Gruppe einen Auftritt plant, setzt euch intensiv mit den Rahmenbedingungen, Regeln und gültigen Kriterien auseinander, damit ihr genau wisst, was gefordert wird, und berücksichtigt dies bei der Erstellung der Choreografie. Wenn ihr etwas nicht versteht, fragt Personen, die euch weiterhelfen können. 

Choreografieren muss man wollen

Experten*innen und renommierte Choreografen*innen sind sich darin einig, dass man für erfolgreiches Choreografieren und Präsentieren gewisse Voraussetzungen erfüllen muss, um erfolgreich zu werden, unabhängig vom jeweiligen Niveau der Gruppen. Neben einem gewissen Talent für diese Aufgabe, muss ein Interesse und große Motivation für das Choreografieren gegeben sein, es wird sogar von Berufung für diese Tätigkeit gesprochen. Man soll offen sein, von anderen zu lernen, unterschiedliche Stücke zu sehen, bereit sein "zu machen", Mut zu haben, die Dinge anzugehen, sich auf "Learning by Doing" einzulassen, und vor allem nicht verzweifeln, wenn Scheitern und Frust den choreografischen Prozess begleiten.

Tipp 4

Auch wenn im choreografischen Prozess manchmal Lust und Frust nahe beieinander liegen, mache beständig weiter, der Wille führt am Ende zum Erfolg, und oftmals muss man auch seiner Gruppe Zuversicht vermitteln, damit alle am Ziel ankommen wollen.

Tipp 5

Versuche an Weiterbildungsangeboten des DTB teilzunehmen, und das Können und Wissen im Bereich Vorführungen zu verbessern oder erweitern. 

Choreografieren kann man lernen

Auch wenn Talent und Motivation für das Choreografieren als wichtige Voraussetzungen angesehen werden, gibt es einige Möglichkeiten, wodurch man seine Kompetenzen verbessern, erweitern und vertiefen kann. Hierzu gehören z. B. thematisch ausgerichtete Veranstaltungen des DTB wie Workshops, Fortbildungen und Ausbildungen. An diesen Veranstaltungen können grundsätzlich Übungsleiter*innen verschiedener Vorführbereiche teilnehmen von Akrobatik über Gymnastik, Rope Skipping, Tanz, Turnen, inklusiven Gruppen etc. Diese Angebote sind auf die Konzeptionen und Ziele des Bereichs Vorführungen im DTB ausgerichtet, welche zu großem Teil aus Shows bestehen, die bei Vereinsfesten, Landesturnfesten, Internationalen Deutschen Turnfesten, Tuju-Stars, Rendezvous der Besten, Welt-Gymnaestraden usw. gezeigt werden.

Folgende Choreografie Angebote wie Workshops, Fortbildungen und Ausbildungen gibt es zurzeit:

•    Choreografie Tag
•    DTB Choreografie Werkstatt
•    Choreografie Ausbildung (2. Lizenzstufe)
•    DTB-Choreograf*in

 

Die Choreografie-Module

Choreografien wollen gesehen und geübt werden

Es gehört zum Wesen einer Choreografie, dass sie für Zuschauerinnen und Zuschauer (und z. T. für Wertungsrichterinnen und Wertungsrichter) gemacht wird. Sie soll wiederholbar sein, ist an Kriterien und Regeln gebunden und sie lebt vom Augenblick, der Präsentation und der Ausdrucksfähigkeit der Aktiven. Daher sind zwei Aspekte bedeutsam.

Zum einen ist immer wieder zu prüfen, wie das Stück auf Zuschauerinnen und Zuschauer wirkt, und zum anderen gilt es, die Aktiven im Hinblick auf ihre Ausdrucks- und Präsentationsfähigkeit zu schulen, dazu gehören auch Mimik, Gestik und Blickverhalten. Als Methode eignen sich verschiedene Maßnahmen wie z. B. Gäste einzuladen und sie nach ihren Eindrücken zu fragen. Sehen sie, was die Intention der Choreografie ist? Zur Schulung der Sicherheit im Präsentieren sollten Gruppen auch unter variierten Bedingungen proben, z. B. eine andere Seite der Halle als "vorne" festlegen, eine "andere" Halle nutzen, kleine Störmanöver bewältigen lernen usw. Denn die Aktiven müssen im Vorfeld einer Aufführung eine große Sicherheit erlangen, damit sie bei einer Show in neuer Umgebung, mit Zuschauer*innen und meist mit Lampenfieber in der Lage sind, die Choreografie erfolgreich auf die Bühne zu bringen.

(Bild: Ausbildung Bewegungen gestalten. Foto: Benjamin Heller)

Choreografieren und Präsentieren sind nicht einfach, können glücklich und stolz machen, manchmal auch nicht, aber auch das gehört dazu.

Tipp 6

Warte nicht bis zur Generalprobe, um Sicherheit in ein Stück zu bringen, sondern achte beim Einstudieren der Choreografie auch darauf, dass neben der Bewegungsqualität auch Ausdruck und Präsentation gelingen, das kann auch in kleinen Teilen geübt werden. Über das "Nachstellen" bzw. "Vorwegnehmen" von Auftrittsbedingungen lernen die Aktiven, mit diversen Druckbedingungen eines Auftritts umzugehen, sei es Präzision, Zeit, Komplexität, Situation oder emotionale Belastung. 

Autorin: Dr. Gabriele Postuwka

Dr. Gabriele Postuwka ist seit Oktober 2020 im Ruhestand an der Goethe-Universität Frankfurt und ist seit November 2021 ehrenamtlich im Bereichsvorstand Allgemeines Turnen des Deutschen Turner-Bundes für den Bereich Vorführungen tätig.

Von Oktober 2001 bis 2020 war sie Akademische Rätin am Institut für Sportwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt a.M. Zwischen 1984 und 2001 war sie an verschiedenen Universitäten bzw. Hochschulen tätig. Sie promovierte zum Thema "Moderner Tanz und Tanzerziehung". Ihre beruflichen Schwerpunkte liegen im Bereich Theorie und Praxis von Bewegungen gestalten, Gymnastik und Tanz, Turnen, Fitness in der Schule, Sportpädagogik, Lehren und Lernen, Ästhetische und kulturelle Bildung.

In ihrer Jugend war sie im Kunstturnen aktiv, wechselte später zum Tanz und übernahm während des Studiums ehrenamtliche Aufgaben im Verein. Ab 1986 nahm sie mit Tanzgruppen bei Turnfesten teil, führte Fortbildungen im STB und DTB durch, war als Lehrkraft im Rahmen verschiedener Angebote des DTB tätig und unterstützt den Bereich Shows und Vorführungen im DTB. 

Präsentation: Von der Idee zur Choreografie von Dr. Gabriele Postuwka

Weitere Quellen und Literaturhinweise von Gabriele Postuwka:
  • Barthel, Gitta & Artus, Hans-Gerd (2008). Vom Tanz zur Choreographie. Obernhausen: Athena.
  • Csikszentmihalyi, Mihaly (2001). Kreativität. Wie Sie das Unmögliche schaffen und Ihre Grenzen überwinden. Stuttgart: Klett Cotta. 
  • Brinkmann, Stephan (2013). Bewegung erinnern. Gedächtnisformen im Tanz. Bielefeld: transcript. 
  • Deutscher Turner-Bund (DTB). (2005). (Hrsg.). Förderung der Bewegungsqualität. Teil 2. Frankfurt, Societäts Druck. 
  • Ellermann, Ulla (1988). Die Choreographie im künstlerischen Bereich und in kompositorischen Sportarten. Untersuchung und Theoriebildung zu choreographischen Konzepten und Methoden. Dissertation Gesamthochschule Kassel. 
  • Ellermann, Ulla & Meyerholz, Ulrike (2009). TuB – Tanz- und Bewegungstheater. Oberhofen: Zyglogge. 
  • Ellermann, Ulla; Klinge, Antje; Postuwka, Gabriele (2011): Choreographieren - ein Weg zu Gestaltung und Präsentation in Tanz und Gymnastik. Unter Mitarbeit von Klaus J. Gutsche. Kiel: Kieler Institut für Gymnastik und Tanz.
  • Gerber, Anke & Mattis, Christian (2017). Bewegung inszenieren. Das Choreobuch für AnfängerInnen und solche, die es werden wollen. Berlin: Druckcenter Berlin GmbH. 
  • Neuber, Nils (2004): Kreative Bewegungserziehung - Bewegungstheater. 2., überarb. Aufl. Aachen [u.a.]: Meyer & Meyer. 
  • Pollähne, Helga & Postuwka, Gabriele (1995). Kennzeichen von Bewegungsgestaltungen. In Waltraut Meusel, & Richard Wieser (Hrsg.), Handbuch Bewegungsgestaltung (S. 14-16). Seelze Velber: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung. 
  • Postuwka, Gabriele (1999). Moderner Tanz und Tanzerziehung. Analyse historischer und gegenwärtiger Entwicklungstendenzen. Schorndorf: Hofmann.
  • Postuwka, Gabriele (2003). Bewegung und Bewegungslernen im Tanz. In Heinz Mechling & Jörg Munzert (Hrsg.). Handbuch Bewegungswissenschaft – Bewegungslehre (S. 487-498). Schorndorf: Hofmann. 
  • Postuwka, Gabriele (2005). Koordinatives Lernen – der Schlüssel zur Erlangung von Bewegungsqualität. In Deutscher Turner-Bund (Hrsg.) Förderung der Bewegungsqualität. Spezielle Module Gymnastik und Tanz (S. 40 -45). Frankfurt: Societäts Druck.
  • Postuwka, Gabriele (2007). Körper- und Raumerfahrung im und durch Tanz. In motorik 30 (4), 194-201. 
  • Postuwka, Gabriele (2008). Der Tanz schafft Raum, in Sammelband Tanzen, Sportpädagogik, 33-37, Erstveröffentlichung 1992 in Sportpädagogik 16(4), 37-41.
  • Postuwka, Gabriele (2010). Gruppendarstellungen im Tanz– Choreographieren und Präsentieren. In Helga Burkhard & Hanna Walsdorf (Hrsg.). Tanz vermittelt – Tanzvermitteln. Jahrbuch der Gesellschaft für Tanzforschung (S. 123-135). Leipzig: Henschel.
  • Sofras, Pamela Anderson (2006). Dance composition basics. Capturing the choreographer's art. Champaign, Ill. [u.a.]: Human Kinetics.
  • Tsakalidis, Konstantin (2010). Choreographie – Handwerk und Vision. Konstanz: Stage Verlag.

AUSGABE  Shows 05-2022 | Einblicke | Big things start small
AUTORIN   Dr. Gabriele Postuwka