Kids in Action | Bildquelle: Michael Dick/ dickital_
Die Familie

Trainerin-Lizenz statt Mutter-Kind-Kur

Kids in Action

Kirsten Riedel hatte nicht vor, Trainerin zu werden. Sie war Anfang 30, ihr zweites Kind kam grad ins Kita-Alter – "und ich wollte mal wieder etwas für mich machen", erinnert sich die heute 54-Jährige. Statt ins nächste Wellness-Hotel zu fahren oder sich um eine Mutter-Kind-Kur zu bemühen, reiste Riedel für sechs Tage in die Sportschule Hamm und machte die DTB-Aerobic-Trainer*in-Lizenz Basic.

Das war eine Woche Spaß, Sport und mal wieder Nachdenken müssen.

Die Kinder waren bei Oma und Opa, und die junge Mutter fand nicht nur die gesuchte Entspannung, sondern legte unverhofft den Grundstein für ihre zweite berufliche Karriere.

Heute ist Kirsten Riedel, die nun seit 20 Jahren mit ihrer Familie in Böhl-Iggelheim in der Pfalz lebt, eine begehrte Trainerin und Referentin mit ausgewiesener Expertise im Bereich Kindersport. Und weil sie da in den letzten zwei Jahrzehnten massive Veränderungen wahrgenommen hat, konzipierte sie die DTB-Kursleiter*innen-Ausbildung "Kids in Action" neu.

Mit diesem Fitnessprogramm für Kinder sollen auch Sportmuffel von der Couch gelockt werden. Die erste Weiterbildungs-Maßnahme 2024 findet im April im Saarland statt, geeignet ist sie für Übungsleiterinnen und Übungsleiter mit einer Trainer*in-C-Lizenz und Pädagog*innen, die an Kitas und Schulen für mehr Spaß an Bewegung sorgen wollen. Weitere Termine folgen im Juni in Hessen, im August in Westfalen und im September in Hamburg.

Kirsten Riedel lebt seit 20 Jahren mit ihrer Familie in Böhl-Iggelheim in der Pfalz.

Kirsten Riedel fand über einen Umweg zum Aerobic. In ihrer Jugend war sie als Schwimmerin und Wasserballerin aktiv, sie spielte in der Regionalliga, der damals höchsten Frauen-Liga. "Doch in der Abi-Zeit machte mein Knie schlapp", erzählt sie. Mit Anfang 20 wurde sie operiert, es hieß, außer Radfahren werde sie wohl keinen Sport mehr machen können. Riedel kämpfte sich ein Jahr lang durch die Rehabilitation und meldete sich dann im Fitnessstudio an, um dort Kraftaufbau zu betreiben. "Ich fand das Training an den Maschinen allerdings furchtbar“, sagt sie. Es erschien ihr deutlich verlockender, mal an einer der Aerobic-Stunden teilzunehmen – und das tat sie. Das Knie hielt stand. Riedel tauchte immer tiefer ein in die Szene und war bald Teil einer Showgruppe und unterrichtete vertretungsweise.

Heute, knapp 20 Jahre später, leitet Riedel ihre vierte Showgruppe beim VT Böhl: die Crazy Crocodiles.

Die erste Trainerinnen-Ausbildung

Es folgten ihre erste Trainerinnenausbildung und ein erster Einsatz beim Uni-Sport. "Zu Beginn waren nur acht Studenten da, aber nach wenigen Stunden waren es bereits 30", erzählt Riedel: "Und ich habe gemerkt, dass es gar nicht so beängstigend ist, wenn man da vorn steht." Im Gegenteil: Kirsten Riedel hatte ihre Passion gefunden. In ihren ursprünglichen Job als Fach-Krankenschwester für Intensivmedizin kehrte sie nicht zurück. Die Arbeitszeiten waren mit dem Leben mit zwei kleinen Kindern ohnehin nicht mehr vereinbar.

Als Riedel dann mit ihrer Familie in die Pfalz zog, wurde sie dort vom VT Böhl gebeten, eine Kindertanzgruppe zu übernehmen. Diese hatte wenig Rhythmus-Gefühl, viel klappte nicht. Riedel konzentrierte sich daraufhin auf die Basics, vermittelte den Kindern zunächst Grundlagen, deren Muskelspannung und Koordination verbesserten sich. Und siehe da: alle hatten Spaß. Heute, knapp 20 Jahre später, leitet Riedel ihre vierte Showgruppe beim VT Böhl: die Crazy Crocodiles. Die Kinder kommen von der 2./3. Klasse bis zum Beginn ihres Studiums oder ihrer Ausbildung zu ihr. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der ersten Gruppe seien jetzt Ende 20/Anfang 30, erzählt Riedel: "Einige haben inzwischen Kinder und kommen zum Erwachsenensport in den Verein."
 

Fitness ohne Denken

Riedel selbst verfügt inzwischen über ein gutes Dutzend an unterschiedlichen Trainerin-Lizenzen. 2010 übernahm sie beim DTB die Kursleiter*innen Ausbildung "Kids in Action", doch das ursprüngliche, aerobicbasierte Konzept wurde immer weniger nachgefragt, da ab den 2010er Jahren ein Umbruch im Fitnesssport stattfand. Der Aerobic-Hype ebbte deutlich ab, Formen des Intervalltrainings oder Spinning kamen groß raus. Riedel nennt das "Fitness ohne Denken". Schwitzen ohne schwierige Choreografien. Das "Kids in Action" Konzept führte sie nur noch in der Pfalz als Tagesfortbildung erfolgreich weiter.

Mangel an motorischen Grundfähigkeiten

Bei den Kindern, die zu ihr zum Sport kommen, hat Riedel in den letzten Jahren festgestellt:

Es tauchen immer mehr gravierende Defizite auf.

So mangele es zunehmend an motorischen Grundfähigkeiten, der Umgang mit dem eigenen Körper sei unsicher, die Kommunikation schwierig, da aktives Zuhören keine verlässliche Kompetenz mehr sei und die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder immer kleiner werde. So erlebe sie Kinder, die den Tränen nahe sind, weil die Muskulatur nach dem Training vielleicht mal etwas brennt, erzählt Riedel. Oder die Angst bekommen, weil ihr Herz bei körperlicher Anstrengung laut und schnell klopft. "Natürliche Reaktionen des Körpers auf Bewegung ängstigen einige Kinder, das ist erschreckend", sagt Riedel. Sie stelle auch gehäuft Haltungsschwächen und bedenkliche Unbeweglichkeit fest. "Bei mir sind die Senioren teilweise flexibler als die Kinder und Jugendlichen", sagt Riedel.

Ganz wichtig: Lust auf Bewegung

Ihre Idee für das neue "Kids in Action"-Konzept sei daher:

"Wir müssen die Kinder mehr abholen."

Kids in Bewegung | Bildquelle: Michael Dick / dickital_

Bewegung komme im Kinderalltag heute zu kurz, dieser Wandel stelle Vereine, Pädagoginnen und Pädagogen vor neue Herausforderungen. Sport macht vielen Kindern nicht mehr automatisch Spaß, sie haben häufig ihre eigentlich angeborene Lust auf Bewegung in ihrem Alltag mit langen Sitz- und Drinnenzeiten verloren. Das Problem falle vor allem nach dem Wechsel von der Grund- in die weiterführenden Schulen auf, sagt Riedel. 

Dort steigen die Anforderungen im Sportunterricht deutlich, Dinge wie Turnen oder eine Überprüfung der Ausdauerleistungsfähigkeit mit dem Cooper-Test (in zwölf Minuten eine so große Laufstrecke wie möglich bewältigen) stehen auf dem Programm. "Da strengen sich viele Kinder maximal an – und bekommen doch nur eine Vier", sagt Riedel: "Das schürt Frust. Es wird konditioniert, dass Sport mit negativen Gefühlen verbunden ist." Es wird also genau das Gegenteil des Gewünschten erreicht: Die Lust auf Bewegung nimmt noch weiter ab.

Über allem steht der Spaß!

Bei "Kids in Action" soll es anders laufen, allerdings nicht durch ein Herabsetzen der Anforderungen. Die Übungen sind so ausgewählt und zusammengestellt, dass körperliche Anstrengung als spaßvoll erlebt wird. Es geht um eine vielseitige Entwicklung und die Festigung koordinativer, konditioneller und mentaler Grundlagen. Das alles in der Gruppe, aber ohne Wettkampfcharakter.

Das Material, das zum Einsatz kommt, ist in der Regel in der Grundausstattung von Turnhallen vorhanden (z. B. Bälle, Gymnastikstäbe, Chiffontücher). Außerdem werden Alltagsgegenstände verwendet und kostengünstige Dinge, die wenig Lagerplatz benötigen (z. B. Schwimmnudeln). In den Übungen ist ein bisschen Aerobic enthalten, dabei handelt es sich aber um spannende, schnell nachvollziehbare Choreografien zu fetziger Musik. Dazu gibt es spielerische Workouts mit Fitness-Spielen, Intervall- oder Zirkeltraining.

Es ist alles dabei, was fit hält – aber auch Spaß macht.

DTB-Kursleiter*in "Kids in Action"

Das Fitness-Programm für Kinder im Alter von 6 bis 10 bzw. 11 bis 13 Jahre

Spannende, schnell nachvollziehbare Choreografien zu fetziger Musik und spielerisches Workout sind Inhalte dieses Fitness-Programms für Kinder. "Kids in Action" holt das Fitnessstudio in die Turnhalle, egal ob im Verein oder in der Schule. Der Wandel im Kinderalltag stellt Vereine, Lehrkräfte und AG-Leiter*innen vor neue Herausforderungen.

Durch welche Angebote können wir Kinder und Jugendliche zum Bewegen motivieren bzw. in den Vereinen halten?

Die jüngsten Erhebungen der World Health Organization (WHO) bezüglich des Bewegungsmangels und seine negativen Auswirkungen auf die gesunde körperliche und geistige Entwicklung unserer Kinder sind alarmierend.

 

Die Stundenbilder von "Kids in Action" stellen eine sinnvolle und attraktive Möglichkeit dar, körperliche Anstrengung durch ein spaßvolles Erleben positiv zu konditionieren. Sie dienen der vielseitigen Entwicklung und Festigung koordinativer, konditioneller und mentaler Grundlagen. Das Material, das zum Einsatz kommt, ist in der Regel in der Grundausstattung von Turnhallen vorhanden (z. B. Bälle, Gymnastikstäbe, Chiffontücher). Darüber hinaus verwenden wir Alltagsgegenstände und kostengünstige Dinge, die wenig Lagerplatz benötigen (z. B. Schwimmnudeln).

Zur Ausbildung DTB-Kursleiter*in "Kids in Action"

AUSGABE         Fitness 01-2024 | Die Familie | Kids in Action
AUTORIN          Susanne Rohlfing