Hendrik Freitag | Bildquelle: Christian Herzog
Mehr Sport

Hendrik Freitag

Der Herr der Gummiringe

"Könnt ihr mal den Ball weglegen? Ich hasse Bälle."

So schallt es beim B-Kaderlehrgang in Pforzheim einmal quer durch die Halle. Der Absender der Botschaft ist Hendrik Freitag. Seit 2019 führt der Herr der Ringe aus dem Wetteraukreis die Talente an die Nationalmannschaft heran. Vier bis fünf Mal pro Jahr zieht er sie für ein Wochenende zusammen.

"Ringtennis ist eine tolle Sportart, in der man sich weiterentwickelt und auch wahnsinnig viele Freunde findet", sagt er und erklärt auch gleich die größten Herausforderungen für die Sportlerinnen und Sportler: "Das Schwierigste ist, die Ruhe zu bewahren. Es ist ein Spiel, bei dem man die Konzentration bewahren muss. Man muss enorm viel Ruhe und Geduld haben. Ich muss warten, bis im Spielfeld eine Stelle offen ist, wo ich hineinspielen kann", erklärt Freitag seine Faszination. 

 

(Bild: B-Kaderlehrgang in Pforzheim. Foto: Mario Müller)

Ringtennis – was ist das eigentlich?

Ist es ...
... Tennis im Boxring???
... Ringen um den Tennisball???
... Kreislauf im Tennisschuh???

Kleine Randsportart: Ringtennis

Dass der 24-Jährige von der TG Groß-Karben 1891 für seinen Sport brennt, ist spürbar. "Es ist zwar eine kleine Randsportart, wo man die Leute erst einmal für begeistern muss", sagt er. Denn wer es nur oberflächlich betrachte, denke sich häufig, einen Ring zu werfen, könne ja gar nicht so spannend sein.

"Wenn man die Leute dann aber auf das Spielfeld schickt und sagt, probiere es mal selbst, ein bisschen zu fangen und zeig mal, wie Deine Reaktion und Deine Augen-Hand-Koordination ist, dann löst das in Verbindung mit den verschiedenen Würfen diese Spannung aus", erklärt er. Aber die Menschen bis zu diesem Punkt zu bringen, das benötige einfach Zeit.

"Da braucht es ein gutes Konzept", räumt er ein.

Anzeige

Recruiting im Schulsport

In seiner Heimat Karben bei Frankfurt war dies zum Beispiel eine Schulaktion. "Alle fünften Klassen müssen zwei Schulstunden lang Ringtennis spielen. Da haben wir die Erfahrung, dass zwischen fünf und zehn Kinder jedes Jahr zu uns kommen. Zwei oder drei davon bleiben über weitere Jahre mit dabei", sieht Freitag das Projekt als Erfolg an. Er selbst dagegen kam auf andere Weise zu diesem Sport. "Ich wohne direkt neben einer Sporthalle. Ich bin da immer hingegangen und habe geschaut, was mich interessiert hat. Ich war zudem nie jemand, der große Lust verspürt hat, das zu tun, was alle machen. Und so bin ich irgendwann beim Ringtennis hängen geblieben", verrät er.

Dennoch ...

... ist auch seine Geschichte nicht die klassische Einstiegsgeschichte im Ringtennis. "Wir haben ganz viele, die aus einer Ringtennis-Familie kommen. Da hat schon der Vater und bei manchen sogar der Opa Ringtennis gespielt. Oder sogar noch eine Generation weiter", erzählt Freitag.

"An Deck" fing alles an

Die Ursprünge des Sports lassen sich bis in die 1920er Jahre verfolgen. Der damalige Karlsruher Baubürgermeister Hermann Schneider hatte sich dazu 1925 auf einer Schiffsreise in die USA anregen lassen. Dort war an Bord Deck-Tennis gespielt worden, ein seinerzeit beliebter Sport auf Schiffen. Er baute dann das Spielfeld zunächst im heimischen Garten nach und gab dem Spiel den Namen "Ringtennis".

"Ja, es kommt von den Kreuzfahrtschiffen. Irgendwann hat man ein Tau zusammengeknotet, weil der Ball immer über Bord gehüpft ist. Und dann hat man Ringtennis irgendwann auch auf dem Land gespielt", weiß auch Freitag.

Die Verbreitung des Ringtennis aus dem Badischen wurde 1929 durch den Bau des Karlsruher Rheinstrandbads im Ortsteil Rappenwört vorangetrieben. Die Badeanstalt am Rheinufer gilt daher mithin als erstes Zentrum des Ringtennissports. Auf Veranlassung Schneiders wurden dort zunächst erst 20, später dann 60 Ringtennisfelder angelegt. In der Folgezeit breitete sich das Spiel zunächst im Südwesten, in den 1930er-Jahren über ganz Deutschland aus. Im Oktober 1930 gründete sich mit dem Karlsruher Ringtennis-Club (KRC) der erste deutsche Fachverein.

1932 – erstes Regelwerk

Die immer größer werdende Zahl an Ringtennisspielern machte natürlich auch einheitliche Spielregeln notwendig. Diese wurden im August 1930 nach Vorarbeiten eines schwäbischen Sportlehrers von Schneider aufgestellt und 1932 in ein verbindliches Regelwerk gegossen. Ziel des Spiels ist es demnach, einen etwa 220 Gramm schweren Moosgummiring so zu werfen, dass ihn der Gegenspieler nicht fangen kann. Das Ringtennis-Spielfeld hat die Maße 12,2 x 5,5 Meter (im Doppel), wobei die Spielfläche im Einzel 12,2 x 3,7 Meter beträgt. In der Mitte des Spielfelds ist ein 1,55 Meter hohes Netz gespannt. Aufgrund der unterschiedlichen Regeln in den einzelnen Ringtennis-Nationen, gibt es mittlerweile sogar ein eigenes Regelwerk für internationale Begegnungen.

Karlsruhe und Deutschland - Titelgewinner

In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik gehörten die Ringtennisabteilungen der Karlsruher Vereine KTV 46, ESG Frankonia und Lichtbund Karlsruhe (LBK) zu den führenden Clubs. Von 1948 bis 2004 gewannen sie fast jedes Jahr mindestens einen deutschen Meistertitel. Bei den deutschen Meisterschaften 1988 in Detmold gelang es der ESG Frankonia sogar, alle fünf Wettbewerbe für sich zu entscheiden. Ein Meilenstein im Ringtennis, der bislang noch von keinem Club wiederholt werden konnte. Im November 2006 fanden die ersten von bislang vier Ringtennis-Weltmeisterschaften in Indien statt. Deutschland war bei diesen Welttitelkämpfen in Chennai wie auch bei den nachfolgenden sehr erfolgreich. "Wir haben bisher vier WMs gespielt, davon hat drei Deutschland und eine Südafrika geholt. Als starker Dritter ist auch immer Indien mit dabei", erklärt Freitag. In der weißrussischen Hauptstadt Minsk 2018 gewann das Team mit dem Bundesadler dann sogar alle fünf möglichen Titel.

Dringend Nachwuchs gesucht

Um diese internationale Führungsposition auch in Zukunft untermauern zu können, bedarf es freilich ausreichenden Nachwuchses. "In Hessen gibt es gerade einmal drei Vereine. Man kennt sich untereinander. Alles ist sehr familiär. Das sind alles Freunde, mit denen man zusammenspielt", sagt Freitag. Das Ringtennis fühle sich beim Deutschen Turner-Bund zwar sehr gut aufgehoben, aber es sei eben nur ein sehr kleines Fachgebiet. "Ich schätze, wir haben rund 15 Vereine. Da kennt jeder jeden. Das ist eine Verbindung, die da aufgebaut wird. Das sind Freunde, mit denen man jedes Fest verbringen will", sagt er. Was die Sportlerinnen und Sportler aber gerade zusammenschweißt, kann in Sachen Nachwuchs zum Problem werden.

"Die Jugendlichen gehen zum Studieren oder zur Ausbildung weg. Und plötzlich ist kein Ringtennisverein mehr in der Nähe. Das ist eines unserer größten Probleme", betont Freitag. Menschen wie er, die für diesen Sport brennen und andere begeistern, sind eine Strategie der Ring-Sportlerinnen und -Sportler für mehr Öffentlichkeit und Anerkennung. Doch das allein wird nicht reichen, um die Traditionssportart auch nach 100 Jahren weiter am Leben zu erhalten. Dafür braucht es zusätzlich Konzepte und gute Ideen, wie der Sport weiter zu verbreiten und wieder aktiv in die Vereine zu bringen ist.

                                                           Weitere Informationen finden Sie auf ringtennis.de

AUSGABE  Sportarten 06-2022 | Mehr Sport | Der Herr der Gummiringe
AUTOR       Nils B. Bohl