Herzlichen Glückwunsch (posthum) Alfred Schwarzmann

Am 23. März 2022 würde Alfred Schwarzmann, geboren in Fürth, sein 110. Lebensjahr vollenden.

Alfred Schwarzmann | Bildquelle: DTB Archiv

Selbst wenn der Ausnahmeturner seit 22 Jahren nicht mehr unter uns weilt, so gedenkt der Deutsche Turner-Bund einem seiner Helden.

Der "Helden"begriff ist in Deutschland ein schwieriger, dennoch, auf Alfred Schwarzmann trifft dieser zweifellos zu. Der fünffache Medaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1936 war eine hochdekorierte, herausragende Persönlichkeit, jedoch eher öffentlichkeitsscheu. Statt Bäcker – so wie es sein Vater wollte – zu werden, wählte er den pädagogischen Beruf des Lehrers mit der Fächerkombination Sport und Werken. Schwarzmann plante und forderte auf der Basis von bedingungsloser Selbstdisziplin begründete Leistung: 

Neunmal im Zweiten Weltkrieg verwundet, u.a. Lungenschuss und Oberarmschuss, sein 1948 erlittener Motorradunfall, bei dem er sich einen komplizierten Schien- und Wadenbeinbruch zugezogen hatte, ein Sturz auf den Kopf bei einer Bodenübung, der ihn zum Abbruch des Wettkampfes zwang – stets motivierte er sich neu. Der Druck, den er mit dieser Lebensweise und Einstellung auf sich selber – mental wie physisch – ausübte, war immens.

In der öffentlichen Wahrnehmung wurde Schwarzmann ehrfürchtig als Relikt einer früheren Zeit gesehen, das auch 1952, als er bei den Olympischen Spielen die Silbermedaille am Reck erturnte, "im Wettbewerb alle Kennzeichen einer geschlossenen Turnerfigur repräsentierte ... tätig, leistungsfroh, ein nach schwerem Schicksalsschlag in Zucht und Ordnung wiedergeborener Turner von weitreichendem Rang", "aus der unbeirrbaren Folgerichtigkeit eines echten Turnercharakters wieder 'aufgebaut', ... ein unerschütterlicher Turnersmann, Ausdruck der unberechenbaren Lebenskraft eines Volkes, das nach sauberer Ordnung und menschlicher Bewährung strebt." (Dr. Laven, Paul, Warum ich Alfred Schwarzmann wählte. In: Hannoversche Allgemeine, 13.12.1952, Wahl des Sportsmann des Jahres.)

Alfred Schwarzmann wurde – noch zu Lebzeiten – 1999 zu "Deutschlands Turner des 20. Jahrhunderts" vom Sportmagazin "Kicker" gewählt. Rund 50 Jahre lang hat er aktiv das Turnen in Deutschland und der Welt geprägt.

Sein Lebenslauf – sein Credo

Als Achtjähriger, 1920, begann Alfred Schwarzmann beim TV 60 Fürth, bedingt durch seinen Vater, der seit 1899 Vereinsmitglied und langjähriger Oberturnwart war, eine vielseitige sportliche Grundausbildung u.a. mit Schwimmen, Fußball, Leichtathletik und Krafttraining. Am 27. April 1926, kurz nach seinem 14. Geburtstag, wurde er offizielles Vereinsmitglied. Aber erst nach seinem 16. Lebensjahr konzentrierte sich Schwarzmann auch aufgrund seiner optimalen konstitutionellen Voraussetzungen – er war 1,60 m groß – auf das Kunstturnen.

Bereits mit Mitte 20 hat er ein 14-seitiges maschinen-schriftliches Manuskript zum Thema: "Welchen Sinn hatte mein turnerisches Leben?" verfasst. So eine Art der Öffentlichkeitsarbeit war in den 30er Jahren bei Sporthelden durchaus üblich, besonders war jedoch, dass er ein Jahr später, 1937, in seinem eher als Methodik-Buch zu verstehenden 80-Seiten-Wert "Vollendete Turnkunst" (herausgegeben von Karl Behrend) Folgendes formuliert hat: 

"Wissen mußt du:

  • Es ist nicht nötig, viermal in der Woche zu turnen, aber es ist notwendig, dass regelmäßig geturnt wird.
  • Ein Anfänger darf nicht mit schwierigen Übungen beginnen. Man muß ihn heranwachsen lassen! – Wozu ist sonst die Grundschule da? –
  • Beim Turnen ist es ähnlich wie beim Bergsteigen. `Zeit lassen!´ heißt der Gruß des Bergsteigers. Zeit lassen muß sich auch der Turner, wenn er ein hochgestecktes Ziel erreichen will.
  • Mut ist gut! Tollkühnheit ist ein Stück von der Dummheit! Die Kraft des Leibes soll gestählt, aber nicht blind zerstört werden.
  • Sorge bei schwierigen Übungen immer für Hilfestellung und weiche Niedersprünge.
  • In der Turnkunst liegen die Grenzen dort, wo der Kopf nach ruhiger Überlegung sagt: genug!
  • Unsicherheit bringt mehr Minus- als Sicherheit Pluspunkte.
  • Lerne erst eine Übung vollkommen, ehe du mit einer anderen beginnst.
  • Höher als alles Können steht die Kameradschaft. Grösser als der Einzelne ist die Riege. Der Einzelne hat sich vollkommen in den Dienst der Riege zu stellen. In der Unterordnung zeigt sich die wahre Kameradschaft.
  • Sei ein Diener der Turnkunst! Bedenke aber stets, dass auch die Turnkunst ein Diener deines Leibes ist!"

Die Sprache klingt für uns heute befremdlich, die Aussage ist jedoch überraschend aktuell und erinnert an die pädagogisch-psychologischen Abschnitte in den Rahmentrainingskonzeptionen.

Schwarzmann galt als jemand, der zunächst mental die Anforderungen zu verstehen versucht und erst danach mit viel Überlegung turnt und trainiert hat: beispielsweise zog er sich für das Lernen des Salto rückwärts aus dem Langhang am Reck ein paar schwere Stiefel an, um das Gefühl zu bekommen, dass der Körper nach dem Grifflösen vom Reck weggezogen wird.

Seine Mission

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stellte Schwarzmann sein Können und Wissen in Niedersachsen, seit 1945 als Turnlehrer beim MTV Braunschweig, später beim MTV Goslar und seit 1947 als Lehrer für Sport und Werken an der Oberschule für Jungen in Goslar unter Beweis. Die freie Zeit an den Wochenenden nutzte der Leiter der Niedersachsenriege, um als Männerturnwart und Kampfrichter Technik und Methodik des Gerätturnens zu vermitteln, wobei er derjenige war, der auf seiner 250er DKW zu Trainern und Athleten des Bezirks gereist ist, um seine Erkenntnisse im Sinne einer Meisterlehre an die nachfolgende Turner-Generation weiter zu geben und Vorturner auszubilden. Sein Credo enthielt dabei unter anderem den Grundsatz, dass acht bis zehn Jahre breitgefächerte Bewegungserfahrung nötig seien, um auf die Entwicklungen im internationalen Turnsport adäquat reagieren zu können.
Nach dem Gewinn der Silbermedaille am Reck 1952 in der Messehalle in Helsinki – der Turnsport fand in der Zwischenzeit leistungsbezogen in der Halle statt, und es gab seit 1949 mit dem Code de Pointage klare internationale Vorgaben – zog sich der mittlerweile 40-Jährige aus der Nationalmannschaft als Aktiver zurück, präsentierte seine Turnkunst jedoch weiterhin bei Schauturnen der Deutschlandriege, zu denen er nicht selten mit seinem motorisierten Zweirad von Goslar aus 500 km anreiste … Noch als 60-Jähriger führte er, der mehr als zwei Jahrzehnte lang in der deutschen Nationalmannschaft geturnt hatte, eine deutsche Riege im Länderkampf gegen Ägypten.
Ohne Alfred Schwarzmann, den Botschafter, hätte das deutsche Turnen insbesondere in der Nachkriegszeit nicht die internationale Anerkennung erfahren, die es dank der technischen Perfektion des Turners Schwarzmann, seiner Persönlichkeit, seinem Auftreten und seiner Präsenz bis heute als Kernsportart im DTB nachhaltig attraktiv macht.
  
AUTORIN Swantje Scharenberg