Tatjana Bachmayer beim DTL Finale Turnen 2022 | Foto: Minkusimages
Turn-Team Deutschland

CULTurn eröffnet Top-Trainerin Tatjana Bachmayer ganz neue Blickwinkel

Perspektivwechsel

Eine der Trainerinnen, die das "CULTurn"-Angebot des DTB nutzte, ist Tatjana Bachmayer. Die 51-Jährige war über ein Jahrzehnt Cheftrainerin der Kunstturn Region Karlsruhe. "Ich bin immer offen für solche Dinge und dachte mir, ich probiere es einfach aus", erzählt Bachmayer. Schließlich sei das ein interessantes Thema.

Zumal ich selbst manchmal damit Schwierigkeiten habe und bei mir da gewisse Defizite sehe.

Die hat die Trainerin aus Leidenschaft nach eigener Einschätzung nicht im Hinblick auf die Führung ihrer Athletinnen. "Das war weniger ein Problem. Aber damals war ich auch verantwortlich für ein Trainerteam. Und es war mir dabei immer wichtig, dass alle harmonisch zusammenarbeiten", sagt sie. Doch Führung bedeutet auch, Entscheidungen treffen zu müssen. Und das, räumt Bachmayer ein, sei ihr in manchen Situationen alles andere als leichtgefallen. "Deshalb dachte ich mir, es könnte nicht schaden, mich mit diesem Thema einmal näher zu beschäftigen. Ich hatte im Vorfeld gelesen, dass man in diesem Projekt aus verschiedenen Perspektiven bewertet wird. Allein diesen Punkt fand ich schon spannend."

Erster Schritt: die Selbsteinschätzung

So musste Bachmayer dann zunächst eine Selbsteinschätzung vornehmen, zusätzlich gab es einige Fremdeinschätzungen. "Besonders interessant war, wie meine eigene Wahrnehmung von der anderer abwich. Das hatte ich nicht erwartet. Dass mich andere so sehen, wie sie es taten", erinnert sie sich. Für sie sei das damals der Einstieg in das Thema gewesen. Schon das erste Auswertungsgespräch empfand sie als äußerst aufschlussreich. "Viele Erkenntnisse haben mich zwar nicht überrascht, weil ich mich darin wiedergefunden habe. Dennoch war es sehr spannend zu erkennen, wo die Stärken in meinem persönlichen Führungsverhalten liegen – besonders in meinem charismatischen Auftreten", erzählt die Trainerin, die schnell erste Lehren aus den Gesprächen zog: "Zu wissen, dass ich dieses Auftreten gezielt einsetzen kann, fand ich schon sehr interessant."

Durch CULTurn kam Bachmayer auch in einen tieferen Austausch mit anderen Trainerkolleginnen und -kollegen. "So konnte ich auch über persönliche Herausforderungen sprechen, die mich in dieser Zeit belasteten", sagt sie. Ein großes Thema sei für sie der Umgang mit Wettkämpfen gewesen. "Ich habe mir das nie anmerken lassen, aber ich war viel lieber Trainerin in der Halle als auf dem Wettkampfplatz", erzählt sie.

Das Schlüsselerlebnis

Im Rahmen von CULTurn habe sie sich erstmals intensiv damit auseinandergesetzt und analysiert, warum das so sei. "Mir wurden verschiedene Werkzeuge an die Hand gegeben, um damit besser umzugehen", sagt Bachmayer und erzählt von einem Schlüsselerlebnis: "Während dieser Zeit fanden Die Finals statt, die Deutschen Meisterschaften. Für mich waren solche Wettkämpfe immer extrem stressig, weil ich bei Fehlern meiner Athletinnen automatisch die Schuld bei mir selbst suchte. Ich hatte das Gefühl, deswegen als schlechte Trainerin wahrgenommen zu werden", verrät sie.

Doch dann sei etwas Entscheidendes passiert: "Ich sah einen Turner am Seitpferd, der dreimal stürzte. Und anstatt an seinen Trainer zu denken, hatte ich nur Mitleid mit dem Athleten, der sein Potenzial nicht abrufen konnte", erinnert sie sich. Da habe es bei ihr plötzlich Klick gemacht: "Ich kannte noch nicht einmal den Namen des Trainers. Und ich bin vom Fach. Warum also sollte die ganze Welt ausgerechnet bei meinen eigenen Athleten anders denken?", erzählt sie mit einem Schmunzeln und fügt hinzu: "Dieser Perspektivwechsel hat mir geholfen, meine Einstellung zu Wettkämpfen zu überdenken."

Doch ihre Angst vor Wettkämpfen war nicht die einzige Hürde, die Bachmayer im Laufe des Projekts zu überwinden hatte. "Während dieses Reflexionsprozesses habe ich auch gemerkt, dass ich das Gefühl hatte, meine Leidenschaft für das Turnen verloren zu haben", sagt sie. Gemeinsam sei man dieser Frage weiter nachgegangen, bis schließlich ein Wechsel von Karlsruhe nach Chemnitz im Raum stand. "Dort ist mir letztendlich klar geworden, dass es nicht daran lag, dass ich die Leidenschaft verloren hatte. Sondern daran, dass es einfach Zeit für etwas Neues war", betont sie.

Mit der Leitfrage "Wie führt man zum Erfolg?" hat sich das CULTurn-Projekt das Ziel gesetzt, Bundeskadertrainer*innen im Deutschen Turner-Bund bei der Entwicklung ihres Führungsverhaltens zu begleiten. Dabei wurden bis Dezember 2024 verschiedene Phasen durchlaufen:

Das Projekt startete mit einer Eingangsdiagnostik, die sowohl das Selbstbild als auch das Fremdbild umfasste. Hierzu diente ein Online-Fragebogen, der von den Trainer*innen (Selbstbild) und deren direkten Trainingsumfeld (Fremdbild) ausgefüllt wurde. Athleth*innen, Kolleg*innen und Vorgesetzte der Trainer*innen erhielten die Möglichkeit, deren Führungsverhalten einzuschätzen und Feedback zu geben, welches wertvoller Bestandteil und Bezugspunkt der anschließenden Interventionsphase war.

Nach dem Erstellen der Eingangsdiagnostik wurden Feedbackgespräche geführt, in denen das erhaltene Feedback aufgearbeitet und die Interventionsphase vorstrukturiert wurde. In zwei bis drei Einzelcoachings konnten alle Trainer:innen gezielt auf ihr individuelles Führungsverhalten eingehen. Zusätzlich wurden in der Interventionsphase auch Gruppenworkshops durchgeführt, die den Trainer:innen die Möglichkeit gaben, sich im Erfahrungsaustausch zu vernetzen und gemeinsam an Problemstellungen im Führungsverhalten zu arbeiten. Diese Workshops fanden an verschiedenen Standorten statt. Ein weiterer fester Bestandteil des Programms war die Trainingsbeobachtung vor Ort in den Stützpunkten durch den Coach Dr. Sebastian Brückner, die eine zusätzliche Ebene des Coachings ermöglichte.

Das Ziel des Projekts war es, eine nachhaltige Implementierung auf DTB-Ebene zu erreichen. Besonders hervorzuheben ist hierbei die enge Zusammenarbeit mit der Ausbildungs-Kommission, um die CULTurn-Inhalte dauerhaft in die Aus- und Fortbildungsstrukturen des DTB sowie seiner Landesverbände zu integrieren. Auch der Austausch zwischen den verschiedenen Stakeholdern im DTB wurde als bereichernd wahrgenommen. In der Zukunft besteht Potenzial, das Modell auf andere Sportarten und Trainingsstrukturen auszuweiten und die Unterstützung von Spitzensport-Personal weiter zu intensivieren, um die Arbeitszufriedenheit und Führungskompetenz nachhaltig zu stärken.

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Identifikation eigener Baustellen

Natürlich habe die Teilnahme an CULTurn auch immer Herausforderungen beinhaltet. "In einem Praxisworkshop haben wir viele Probleme besprochen, die uns alle betreffen. Dabei wurde deutlich, dass jeder seine eigenen Baustellen hat – einige ausgeprägter als andere", findet sie.

Letztlich gebe es zwei unterschiedliche Typen von Trainerinnen und Trainern: "Die einen lieben den Wettkampf, die anderen bevorzugen das Training in der Halle. Aber wenn jemand Wettkämpfe als belastend empfindet, hat das verschiedene Gründe. Der Stress kann durch äußere Erwartungen – von Eltern, Funktionären oder anderen – entstehen oder durch die eigenen hohen Ansprüche", erklärt sie.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist nach Ansicht der Turntrainerin die Kommunikation. Egal ob mit Managern oder Jugendlichen – Sprache und Körpersprache spielten eine entscheidende Rolle. Das kenne man schon aus der Schule: "Manche Lehrer fesseln einen mit ihrer Art zu sprechen, andere nicht. Das hat oft weniger mit Fachwissen zu tun als mit der Art, wie dieses vermittelt wird."

Ihr selbst sei irgendwann klar geworden, dass sich gesellschaftliche Erwartungen und Kommunikationsstile mit der Zeit veränderten. "Was vor 30 Jahren funktioniert hat, passt heute vielleicht nicht mehr. Deshalb ist es wichtig, offen für neue Perspektiven zu bleiben und sich weiterzuentwickeln", ist sie überzeugt.

Wertvoller Zugewinn: Reflexion

Die Möglichkeit zur Reflexion habe sie daher als besonders wertvoll empfunden: Wie sehen mich Athlet*innen, Funktionär*innen und Kolleg*innen? Jeder habe da natürlich eine Vorstellung von sich selbst. "Doch diese Vorstellung einmal mit der Fremdwahrnehmung abzugleichen, ist unglaublich spannend. Es kann sein, dass eine Athletin mich großartig findet, während ein Kollege oder Vorgesetzter meine Arbeit kritisch sieht. Diese Bandbreite der Wahrnehmungen zu erfahren, war für mich ein wertvoller Zugewinn", sagt sie.

Angebote wie CULTurn würde Bachmayer daher jederzeit wieder gerne nutzen. "Ich halte solche Programme für immens wichtig – sei es im Bereich Führungsverhalten oder in anderen Bereichen", betont sie. Denn wer als Trainer für einen Kulturwandel stehen wolle, der müsse am besten bei seiner eigenen Person und bei seiner eigenen Trainingskultur anfangen.

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AUSGABE           Bildung 02-2025 | Turn-Team Deutschland | Perspektivwechsel
AUTOR                Nils B. Bohl