Annika Wasmuth (Gerade, WM Almere 2024 (NL)) | Foto: Bart Treuren
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Die Rhönrad-Community

Unglaublich offen und international

Das Internationale Deutsche Turnfest ist für sich schon die größte Breitensport-Veranstaltung der Welt. Die Europameisterschaft im Gerätturnen sorgt für eine sportliche Spitze, doch es gibt in Leipzig noch eine weitere internationale Krönung: die Team-Weltmeisterschaft im Rhönradturnen. Dirk Balkenohl begegnete vor fast 40 Jahren dem Turngerät, das ihn nicht mehr loslassen und in die ganze Welt führen sollte. Als Turner, als WM-Teilnehmer, als Trainer und als Pressereferent im internationalen Verband hat der gebürtige Arnsberger viele Räder ins Rollen gebracht – und natürlich (seit 2015) als Vorsitzender des Technischen Komitees Rhönradturnen im Deutschen Turner-Bund.

Im Sprossenwand-Interview blickt Dirk Balkenohl auf 100 Jahre Rhönrad, auf seine eigene Geschichte, auf die Besonderheiten einer Team-WM und auf die schon 2026 folgende nächste Weltmeisterschaft in Deutschland.

Harald Heck, Hauke Narten, Dirk Balkenohl (vorne v. l. n. r.) beim Delegationsleitertreffen der WM 2024 in Almere (NL) | Foto: Bart Treuren

Hallo Dirk, lass uns das Rad erst einmal zurückdrehen. Erinnerst du dich noch an deine erste Begegnung mit dem Rhönrad?

Ja, das war im Sommer 1988. Mein Heimatverein, der TV Arnsberg, hatte gerade eine Rhönrad-Abteilung gegründet. Da die Trainerinnen noch nicht volljährig waren, wurde das Training auch als AG an meinem Gymnasium angeboten. Ich war von Anfang an dabei, obwohl ich mit 15 Jahren vergleichsweise spät mit dem Turnen begonnen habe. Ich hatte aber das Glück, dass Paul Sieler im Nachbarverein TuS Velmede-Bestwig aktiv war. Er war damals nicht nur in der Technischen Kommission des DTB tätig, sondern auch lange Zeit Präsident des Internationalen Rhönradturn-Verbandes (IRV). So wurde ich direkt in die internationale Rhönrad-Szene mitgenommen.

Und die Faszination war so groß, dass du mittlerweile als TK-Vorsitzender und WM-Organisator am ganz großen Rad drehst?

Absolut! Seit meiner ersten Begegnung mit dem Sport bin ich quasi durchgehend dabei. Ich habe die Entwicklung der Weltmeisterschaften von Anfang an miterlebt, sei es als Teilnehmer, Funktionär oder Organisator. Rhönradturnen ist so viel mehr als nur ein Sport – es ist eine Familie. Unsere Community ist unglaublich offen und international. Ich war mit dem Rhönrad auf Tourneen durch die ganze Welt: USA, Japan, Skandinavien, ganz Europa. Wir hatten eine Show vor dem Eiffelturm, waren Teil des "Feuerwerk der Turnkunst" und eine unserer Turnerinnen hat nach dem Abitur eine Weltreise gemacht, auf der sie überall herzlich von Rhönradturnern empfangen wurde. Diese Erlebnisse und die internationale Verbundenheit machen diesen Sport so einzigartig.

Wie kam die Idee auf, die Team-WM nach Deutschland zu holen und sie ins Turnfest zu integrieren?

Ich hatte ja wie gesagt das Glück, viele der bisherigen Weltmeisterschaften und internationalen Events hautnah mitzuerleben. 2011 haben wir die Einzel-WM in meiner Heimatstadt Arnsberg ausgerichtet, 2014 den World Team Cup im Berliner Tempodrom – beides Veranstaltungen, die vielen bis heute positiv in Erinnerung geblieben sind. Es ist mir wichtig, dass auch die nächste Generation diese Erlebnisse hat. Sportliche Erfolge sind toll, aber die zwischenmenschlichen Erfahrungen sind noch viel wertvoller. Das Turnfest bietet dafür die perfekte Bühne:

Es ist das größte Breitensport-Event der Welt, mit begeistertem Publikum und einer großartigen Infrastruktur.

Zum Turnfest gehört ja auch die Turn-EM. Ist das eine Bereicherung oder eher eine Konkurrenz?

Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Sportarten könnte sicherlich noch besser sein. Rhönradturnen hat innerhalb des DTB nicht den gleichen Stellenwert wie Gerätturnen und verfügt auch nicht über vergleichbare finanzielle Mittel.

Dennoch: Die Team-WM ist bereits ausverkauft! Wir erwarten an beiden Wettkampftagen jeweils 1.500 Zuschauerinnen und Zuschauer. Das zeigt, dass sich viele Menschen bewusst für unsere Sportart entscheiden. Rhönradturnen vereint viele Elemente des klassischen Turnens: Es hat etwas von Barren, Reck, Sprung und dazu die Musikalität der Rhythmischen Sportgymnastik. Diese Vielseitigkeit macht unseren Sport so spannend und einzigartig.

Fühlst du dich bei der Organisation manchmal wie in einem Rhönrad, das sich endlos dreht?

Manchmal schon! (lacht) Neben der Team-WM beim Turnfest bin ich auch intensiv in die Organisation der Einzel-WM 2026 in Göttingen involviert. Da muss ich oft erst einmal nachsehen, um welches Event es gerade geht. Aber ich bin es beruflich gewohnt, mehrere Projekte gleichzeitig zu koordinieren. Unser Motto lautet ja auch:

Stell die Welt auf den Kopf und sieh sie aus einer neuen Perspektive.

Kleiner Crashkurs für Turnfreunde, die nicht unbedingt Rhönrad-Experten sind: Kannst du uns den Modus der Team-WM erklären?

Die Team-WM basiert auf dem früheren World Team Cup. Die vier besten Mannschaften der letzten Einzel-WM treten gegeneinander an. Sechs Runden werden geturnt, dabei muss jedes Team zwei Geradeküren auf Musik, zwei Spirale-Küren, eine Kür ohne Musik und einen Sprung zeigen. Die Teams wissen vorher nicht, welche Disziplin die anderen wählen. Es gibt Rundenpunkte für jede gewonnene Runde, und einen Joker, mit dem man in einer Runde die Punkte verdoppeln kann. Eine Neuerung dieses Jahr: Das Team mit der höchsten Wertung in allen Runden bekommt einen Extrapunkt. Das sorgt für noch mehr Spannung!

Deutschland ist in der ewigen WM-Statistik mit 73 die mit Abstand erfolgreichste Nation. Woran liegt das?

Das Rhönrad wurde in Deutschland erfunden, das ist sicher ein Vorteil. Wir haben hier eine lange Tradition und eine gut organisierte Vereinsstruktur. Trotzdem haben andere Länder stark aufgeholt. 2014 hat Japan den World Team Cup gewonnen, 2017 mussten wir uns in Salzburg nach einer Verletzung zurückkämpfen. Der Sieg ist also keineswegs garantiert. Aber genau das macht den Wettbewerb so spannend!

Tatsächlich findet die Team-WM statt genau 100 Jahre nachdem Otto Feick zwei verbundene Eisenbahnwagen-Reifen erst als ‚Reifenturn- und -sportgerät‘ und später als Rhönrad patentieren ließ. Zufall?

Dieses Jubiläum war ein großer Ansporn für uns, die Team-WM nach Deutschland zu holen. Da das Turnfest dieses Jahr kürzer als sonst dauert, mussten wir unser Wettkampfprogramm anpassen. Die Team-WM ist ein hervorragender Ersatz für die Deutsche Meisterschaft der Erwachsenen, die diesmal nicht im Turnfest-Programm enthalten ist. Als Herkunftsland des Rhönrads sehen wir es als Verpflichtung an, dieses Jubiläum gebührend zu feiern. Die Deutschen Meisterschaften werden wir im Herbst in Otto Feicks Heimat in Schönau an der Brend – in der Rhön – ausrichten und das Jubiläum nochmal feiern.

Und 2026 folgt dann schon die nächste WM in Deutschland. Ist das noch weit weg oder rollt da schon einiges an?

Die Einzel-WM in Göttingen wird im Juli 2026 stattfinden. Der ASC Göttingen ist gerade dabei, die Strukturen aufzubauen, und wir stehen im engen Austausch. Unser Ziel ist es, eine genauso beeindruckende Veranstaltung wie 2011 in Arnsberg oder 2014 in Berlin auf die Beine zu stellen.

Beim Turnfest in Leipzig werden wir bereits Werbung dafür machen. Die Sparkassen-Arena in Göttingen bietet Platz für bis zu 3.000 Zuschauerinnen und Zuschauer, und die wollen wir natürlich füllen.

Denn Rhönradturnen macht am meisten Spaß vor einer begeisterten Kulisse!

WORLD CHAMPIONSHIPS 2026 in Göttingen

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AUSGABE        Leipzig 01-2025Mehr Sport | Unglaublich offen und international
AUTOR             Udo Döring