Mehr Sport

Hobby Horsing

Mehr als nur ein Steckenpferd

Die Sonne steht hoch über der Leipziger Festwiese, der Rasen flirrt im grellen Licht. Es riecht nach Sonnencreme und Staub, irgendwo klirrt eine Trinkflasche. Weiter hinten röhren Lautsprecher vom nächsten Turnareal, irgendwer wirft auf leere Bierfässer statt Büchsen.

Es ist eben alles etwas größer beim Turnfest.

Mittendrin jedoch zieht eine kleine, bunte Gruppe die Blicke auf sich: Kinder, Jugendliche und selbst Männer mit sichtbarer Turnausbildung, die aufrecht antraben, galoppieren oder zu Sprüngen ansetzen – mit einem Steckenpferd zwischen den Beinen. Im Takt bewegen sie sich durchs Dressurviereck, umkurven Hindernisse, nehmen Parcours mit meist ernstem Gesicht und immer mit höchster Konzentration. Was zunächst nach einem kindlichen Spiel aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als choreografierte, athletisch anspruchsvolle Darbietung.

Was für viele der Zuschauer*innen zunächst wie ein Kuriosum wirkt, ist längst eine ernst zu nehmende Sportart: Hobby Horsing.

"Wir sind ein Sport, keine Kinderbespaßungsabteilung",
sagt Jasmin Graupner, Übungsleiterin und Ausbilderin.

"Leider wird Hobby Horsing immer noch viel zu oft ins Lächerliche gezogen." Doch das Lächeln, das vielen Besucherinnen und Besuchern spontan ins Gesicht steigt, weicht zumeist schnell einem aufrichtigen Staunen. Denn wer genauer hinsieht, erkennt: Haltung, Ausdruck, Technik und Rhythmus sind hier keine Nebensache. Sie werden nach einem klaren Regelwerk bewertet und mit sportlichem Ehrgeiz verinnerlicht.

Trendsportart aus Finnland

Die Trendsportart stammt ursprünglich aus Finnland, wo sie längst ein fester Bestandteil des Kinder- und Jugendsports ist. Seit einigen Jahren wächst auch in Deutschland das Interesse – sichtbar wie nie zuvor auf dem Internationalen Deutschen Turnfest, bei dem der 2023 gegründete Deutsche Hobby Horsing Verband (DtHHV) erstmals eine prominente Fläche auf der Festwiese bespielte. "Im Norden Deutschlands ist Hobby Horsing am stärksten verbreitet", erklärt Kay Schumann, Präsident des DtHHV. "Im Osten hingegen gibt es noch Nachholbedarf. Deshalb zeigen wir hier bewusst Präsenz."

Und das offenbar mit Erfolg: Auf mehreren Parcours zeigen die Aktiven ihr Können – in Dressur, Springen, Geländeprüfungen oder freien Choreografien. Besonders beliebt bei Zuschauern wie Sportlern ist der kreative Bereich, in dem alles erlaubt ist, was mit Ausdruckskraft, Körperbeherrschung und Fantasie zu tun hat. "Wer Hobby Horsing machen möchte, braucht Herzblut", so Graupner.

"Es ist eine Mischung aus Turnen, Gymnastik und Reitsport. Aber das kann man alles lernen."

Woher kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer?

Tatsächlich kommen viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Turnen oder dem Pferdesport. "Das Interesse entsteht häufig dort, wo auch echte Pferde eine Rolle spielen. Reitsportvereine leisten viel Aufbauarbeit, und so bringen die Kinder das Hobby Horsing direkt mit in die Vereine", sagt Schumann. Viele Erwachsene stoßen über ihre Kinder zum Sport – und bleiben.

"Wenn wir mehr Erwachsene zeigen, wächst auch die Akzeptanz", glaubt auch Graupner.

Andere wiederum stolpern durch Zufall in die Szene. Drei junge Männer mit unübersehbarer Turnausbildung galoppieren in Leipzig mit überraschender Eleganz über das Gelände und versuchen sich anschließend im Dressurviereck.

Hobby Horsing zieht an – nicht nur Kinder, sondern eben auch Erwachsene, die sich jenseits klassischer Sportformate ausprobieren wollen.

Andersartigkeit gewinnt

Und das dürfen sie auch. Der neue Sport ist niedrigschwellig, genderoffen, tierfrei und gewinnt gerade durch seine Andersartigkeit.

"Wir haben Gruppen bis zur Altersklasse U99", sagt Graupner.

"Es gibt sogar eigene WhatsApp-Gruppen für erwachsene Sportlerinnen, damit sie sich vernetzen und Turniere organisieren können." Diese Entwicklung zeigt Wirkung. "Wenn wir mehr Erwachsene zeigen, wächst auch die Akzeptanz. Es ist wie beim Nordic Walking – früher einmal belächelt, heute ganz normal."

Vielleicht ist Hobby Horsing genau das, was dem organisierten Sport gefehlt hat: eine Einladung zur Grenzauflösung. Zwischen Altersgruppen, Geschlechtern, Sportarten. Und eine Erinnerung daran, dass das Spiel, wenn man es nur ernst genug betreibt, zur Kunstform werden kann.

AUSGABE           Turnfest 03-2025 | Mehr Sport | Hobby Horsing: Mehr als nur ein Steckenpferd
AUTOR                Nils B. Bohl