Up&Go App | Foto: TSG ResearchLab
Fit & Gesund

Kostenlose App startet durch

Mobilitätsprobleme frühzeitig erkennen mit einfachem Test

Ein kleines bisschen mutet die Geschichte von "Up&Go" an wie Boy Lornsens Geschichte von "Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt", die der ein oder andere noch aus seinen Kindheitstagen kennen mag. Nur, dass hier das Ziel nicht die Umsetzung der Idee eines Fahrzeugs, das sowohl fliegen, schwimmen als auch fahren kann im Zentrum steht, sondern die Früherkennung von anderen Mobilitätsproblemen einer immer älter werdenden Gesellschaft. Wie steht es um meine Kraft und mein Gleichgewicht? Bin ich tatsächlich sturzgefährdet? Fragen, die mit zunehmendem Alter für fast jeden an Bedeutung gewinnen (werden). Viele Stürze und damit auch viele Verletzungen könnten vermieden werden, wenn das Problem nur frühzeitig erkannt werden würde. Wie praktisch wäre es da doch, wenn man diese Frage mit einem einfachen Test beantworten könnte. Ohne zusätzliches Equipment. Einfach nur mit dem eigenen Smartphone.

In erster Linie gedacht für ältere Menschen

Eine Idee, die Professor Dr. Clemens Becker irgendwann nicht mehr losließ. Anfangs, räumt der Experte der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und Leiter der Abteilung Digitale Geriatrie an der Universitätsklinik Heidelberg ein, habe die App nicht an erster Stelle gestanden. "Bei der Up&Go App war das eher so, dass es für uns in der zweiten oder dritten Reihe ein Thema wurde. Als Teil der Problemlösungsstrategie, sozusagen", verrät er. Gedacht war die App in erster Linie für ältere Menschen, die eine quantitative Bewertung ihrer körperlichen Konstitution durchführen wollen. In naher Zukunft sollte das Programm auch weiterentwickelt werden, um etwa ein Monitoring nach der Entlassung oder eine Benutzung während des Aufenthalts in Kliniken zu ermöglichen.

Dann kam ein Fußball-Bundesligist ins Spiel

Hier kam Fußball-Bundesligist TSG Hoffenheim um SAP-Gründer Dietmar Hopp ins Spiel, die im unweit von Heidelberg liegenden Sinsheim beheimatet ist. Als hundertprozentige Tochtergesellschaft kümmert sich das TSG ResearchLab eigenständig um qualitativ hochwertige Forschungsprojekte in einer Vielzahl von Disziplinen. Ihr Hauptziel: Wissenschaft und Forschung zu zukünftigen Themen in Sport und Gesellschaft zu betreiben. Bekanntheit erreichte die gemeinnützige Gesellschaft vor allem durch die Entwicklung der "Helix-Arena". Hier wird erforscht, wie Athleten, aber auch Personen ohne Sportkontext, in stressigen Situationen, die ein Höchstmaß an Konzentration erfordern, visuelle Informationen aufnehmen, analysieren und anschließend eine schnelle und bestenfalls richtige Entscheidung treffen können. Somit möchte man die Lücke zwischen den kognitiven Anforderungen einer schwierigen Situation und psychologischen Testverfahren schließen.

Wie andere gemeinnützige Institutionen auch hat das TSG ResearchLab verschiedene Satzungszwecke. So beispielsweise die Förderung von Wissenschaft und Forschung, Förderung des Sports. Aber auch die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens.

Das erklärt uns Jan-Philipp Fischer vom TSG ResearchLab. Die Forschungsschwerpunkte sind vielfältig und reichen dabei von Projekten, die in der Psychologie zu verorten sind, bis hin zu Projekten, die sich mit physiologischen Fragestellungen befassen. Darüber hinaus fördert die Gesellschaft aber auch Unterricht und Bildung in den oben genannten Bereichen. Sie soll so ermöglichen, das Wissen aus der Bewertung von Spitzensportlern auf die Gesellschaft zu übertragen. 

"Clemens Becker kam damals auf uns zu und hatte die Idee mit der Up&Go App", erinnert sich Fischer. Er betonte, dass es solch eine App in dieser Form nicht gäbe und man dadurch älteren Menschen ermöglichen würde, den Test ohne die Unterstützung einer weiteren Person durchzuführen. "Wir fanden die Idee und das Projekt total spannend. Und auch für die Öffentlichkeit wichtig. Also haben wir uns an ein Konzept gesetzt, wie man das alles stemmen kann. Denn so eine App-Entwicklung ist natürlich auch mit Kosten verbunden", sagt der 32-Jährige, der aus dem Hockeysport kommt.

Wo aber ist der Anknüpfungspunkt?

Der Anknüpfungspunkt, der die beiden Parteien zusammenbrachte, war folgender: Bereits vor mehr als 20 Jahren erkannte die Wissenschaft, dass Dinge wie Sehen, Hören oder Kognition als Teil der Prävention und der Erkennung oder der Früherkennung von bestimmten medizinischen Problemen, absolut sinnvoll erscheint. Gleichzeitig wurde genau dies in der ärztlichen Routine sowohl beim Hausarzt, beim Facharzt und in den Krankenhäusern zumeist komplett ignoriert. "Wenn man diese Dinge zum Beispiel im Screening mit 60, 65, 70 einsetzt und man da erste Veränderungen erkennt, ist es meist eben noch nicht allerhöchste Not. Aber man sieht, da ist irgendwas los", erklärt Becker. 

Präventionschancen oft verpasst

Der amerikanischer Mediziner Larry Rubinstein hatte dies schon damals überzeugend dargelegt. Getan hat sich bis heute auf diesem Gebiet dennoch kaum etwas. Und das, obwohl es für Ärzte dafür sogar eine eigene Abrechnungsziffer für die Krankenkassen gibt. "Es wird kaum eine systematische Testung der Mobilität, der Motorik und der Kognition durchgeführt. De facto passiert wenig bis nichts", bedauert Becker. "Dadurch verpassen wir unendlich viele Präventionschancen. Eigentlich müsste das genauso gemessen werden wie Blutdruck, Blutzucker oder all diese Dinge, die wir gewohnt sind", sagt er. Traurigerweise und wider besseres Wissen, findet der Experte.

Brachliegende Informationen von Smartwatches

"Mittlerweile messen hunderte von Millionen Menschen auf dieser Welt ihre Bewegungsdaten mit Apple Watch, Fitbit oder was auch immer. Diese sehr genauen Daten sind nicht nur interessant, die sind sogar relevant. De facto ist es aber so, dass Kardiologen, Neurologen oder Orthopäden fast nie aktiv nachfragen und sich diese Daten zeigen lassen", beklagt Becker. Brachliegende Informationen, wie Becker findet. "Das ist doch verrückt. Gerade, weil es super wichtig ist zu wissen, ob so jemand 3.000 Schritte, 5.000 Schritte oder 7.000 Schritte geht, wenn er eine Herzinsuffizienz oder zum Beispiel Diabetes hat", erklärt er.

Was ihn wirklich fuchtig mache, sei, dass so viele Menschen diese Daten tatsächlich sammelten, sich aber niemand dafür interessiere. Weder aktiv noch passiv.

"Das geht eigentlich überhaupt nicht", findet der Wissenschaftler, denn er kennt die Probleme in der Diagnose. "Wenn sie Leute fragen, wie aktiv sie sind, dann erzählen ihnen die Männer in aller Regel die Geschichte vom Pferd. Vielleicht das, was sie vor fünf oder zehn Jahren noch gemacht haben. Die Frauen dagegen machen regelmäßig das Gegenteil. Sie unterschätzen ihre eigenen Aktivitäten", erzählt er. 

Daher sei es ultrawichtig, dass diese Informationen über ein Self-Assessment-Programm abgeholt würden. Denn die seien wirklich ultrainteressant. "Die physische Mobilität oder die körperliche Aktivität und die Timed Up&Go-Messung oder die Up&Go-App sind komplementär, weil wir damit Balance und Kraft unter kontrollierten Bedingungen abbilden. Alles zusammen ergibt dann ein Bild, wo ich als Internist, Allgemeinmediziner oder Neurologe wichtigste Informationen erhalte, die im Monitoring der Leute oder auch in der Beurteilung extrem wichtig werden. Teilweise wichtiger als der Blutdruck oder der Cholesterinwert. Und das ist das, was mich manchmal wirklich ärgerlich werden lässt", räumt Becker ein.

Ein anderer Ansatz muss her

Was aus seiner Sicht also her musste, war ein anderer Ansatz: "Der Grundgedanke war, wenn es die Ärzte und die Physiotherapeuten nicht machen, dann müssen wir die Leute eben selbst dazu befähigen. Und wenn wir das machen, muss es technisch so genau sein, dass es auch funktioniert", erzählt Becker. 

Eine technische Entwicklung, die alles andere als trivial war. Also erforschte der Professor vor diesem Hintergrund in zwei EU-Projekten mit Kollegen aus dem norwegischen Trondheim und dem italienischen Bologna, ob es möglich wäre, einen Test mit der App so weit zu entwickeln, dass er für die Menschen selbst durchführbar war. "Unser Ansatz war, dass in diesen Smartphones im Prinzip die ganze Technik verbaut ist, aber weder Apple noch Google bisher solche Tests irgendwo implementiert haben", erklärt er. Auch nicht trivial sei die Frage nach dem wie gewesen. Macht man das in der vorderen Hosentasche oder braucht man dafür einen Gürtel", erinnert sich Becker. Diese Vorentwicklungen seien zwischen 2014 und 2020 in mehrere Doktorarbeiten und technische Entwicklungsschritte gemündet.

Danach seien zwei weitere Schritte gefolgt. "Der eine ist die technische Validierung, damit diese Algorithmen später auch funktionieren. Der andere ist die klinische Validierung. Da wird überprüft, ob das aus Sicht der Betroffenen auch funktioniert und ob es tatsächlich selbst durchführbar ist", erklärt er. Anschließend habe man sogenannte Co-Design-Workshops durchgeführt. "Da ging es darum, ob den Leuten das einleuchtet, wir es verstehen und ob es auch funktioniert", erläutert der Professor.

Die Wissenschaftler erkannten dabei, dass bei einer einmaligen Durchführung die App möglicherweise noch fehleranfällig war. "Also musste man den Test aus unserer Sicht mehrfach durchführen, um dann tatsächlich meistens auch zu sehen, dass die Leute ihn in der zweiten, dritten, vierten Wiederholung flüssiger durchführten. Ganz einfach, weil sie den Test bereits kennengelernt haben", sagt er. Deswegen habe das Team, mit einer kleinen Pause zwischendrin, die Wiederholung auf fünfmal erhöht. "Wir haben gelernt, dass dadurch die Testergebnisse robuster werden und insgesamt das Ganze eben weniger störanfällig war."

Eine Ampel erklärt das Ergebnis

Als nächstes entwickelte das Team eine simplifizierte Ampelausgabe des Ergebnisses. "Wir sagen, wenn jemand unter 60 Sekunden bei den fünf Wiederholungen ist, dann ist er im grünen Bereich. Bei der Einzelwiederholung beim Arzt 12 wären es dann Sekunden", erklärt er.

Und wir sagen, natürlich gibt es auch einen Bereich, also wenn das zu lange dauert, dann sollte man das tatsächlich eben mit dem Arzt auch besprechen. 

Die App "Up&Go"

Mittlerweile ist die App in den App-Store von Apple eingestellt. "Wenn sie da etwas hochladen wollen, dann ist das nicht Pillepalle", musste Becker erkennen. Das sei für ihn eine neue Erfahrung gewesen. "Die lassen das ungefähr zwei Wochen nochmal intern prüfen. Und hatten dann einige, auch sinnvolle, Verbesserungsvorschläge. Bei Google wurde das tatsächlich weniger gut getestet. Apple, wenn man so will, war so etwas wie eine Art Ritterschlag. Wenn die da in den Store reinkommen, dann ist von denen alles wirklich nochmal ordentlich durchgeschüttelt worden", weiß Becker nun.

38 Android-Modelle und 13 iPhones im Test

Das sieht man auch beim TSG ResearchLab so. "Wir wollten natürlich versuchen, auf jedem Smartphone das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Wir haben erst mit einer Android-Version angefangen, dann mit einer iOS-Version. Das Ziel war, dass es alles flüssig laufen sollte und dass es zwischendurch nicht zu Fehlern kommt oder Abbrüchen. Dafür mussten wir aber jedes Smartphone einzeln nehmen und probieren. Das war die größte Hürde", erzählt Fischer. Insgesamt 38 Android-Modelle und 13 unterschiedliche iPhones wurden dazu in mehreren Schleifen immer wieder mit der Software getestet. Bis alles reibungslos lief.

Aus Sicht von Becker ist der Weg von Up&Go damit freilich noch nicht zu Ende. Im nächsten Jahr wollen der Professor und sein Team versuchen, den Weg mit der Weltgesundheitsorganisation WHO weiterzugehen. "In Afrika und Asien gibt es zum Beispiel in vielen Ländern überhaupt keine Physiotherapeuten oder Bewegungsexperten. Aber Mobiltelefone gibt es. Und damit auch eine Chance, ärmere Länder in das Projekt mit einzubinden", ist Becker überzeugt. Eine fixe Zeitlinie hat er dafür noch nicht. 

Doch der Wissenschaftler ist zuversichtlich, mit Hilfe der Weltgesundheitsorganisation und KI-gesteuerter Übersetzung die App zukünftig auch in 200 weiteren Sprachen kostenlos zur Verfügung stellen zu können. Mit Hilfe des Deutschen Turner-Bunds will er nun die App bekannter machen. "Zum Beispiel über die Übungsleiterinnen und Übungsleiter oder Vereinsmitglieder, die die App und deren Wichtigkeit pushen", sagt er. Damit künftig möglichst viele von ihnen den "Up&Go"-Test durchführen. Und so ihre körperliche Unversehrtheit schützen und bis ins hohe Alter mobil bleiben können.

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AUSGABE    Prävention 04-2024 | Fit & GesundMobilitätsprobleme frühzeitig erkennen
AUTOR         Nils B. Bohl