Ältere Frau | Foto: Freepik
Fit & Gesund

Sport als Booster für das alternde Gehirn

Demenz vorbeugen

Bewegung tut ein Leben lang gut – wird im Alter aber immer wichtiger für Körper und Geist. Aktiv zu bleiben oder auch zu werden, beuge einer Demenz vor und könne zu Beginn der Erkrankung das Voranschreiten verlangsamen, erklärt Expertin Dr. rer. med. Dipl.-Psych. Valentina Tesky.

An jedem Wochentag 30 Minuten Bewegung

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt 150 Minuten "moderate körperliche Aktivität" pro Woche. Das ist gar nicht viel. An jedem Wochentag 30 Minuten Bewegung, die einen leicht aus der Puste bringt, reichen demnach schon aus als sinnvolle Investition in die eigene Gesundheit. Und doch bewegen sich weltweit nach einer Studie der WHO 1,8 Milliarden Menschen zu wenig – das ist fast ein Drittel der Weltbevölkerung. Ihr Risiko auf Herzinfarkt, Diabetes, Darmkrebs oder auch eine Demenz ist deshalb höher, was enorme Folgen hat für die Finanzen der Gesundheitssysteme, aber auch für das Wohlbefinden und die Lebensqualität jedes einzelnen Bewegungs-Muffels.

Dazu kommt: der junge Körper kann noch viel kompensieren, aber je älter wir werden, desto wichtiger sind präventive Maßnahmen, um gesund zu bleiben. Und der Mensch wird immer älter. "Das ist ja gut, aber wir wollen natürlich auch gesund älter werden", sagt Diplom-Psychologin Valentina Tesky, die an der Goethe-Universität Frankfurt die Stellvertretende Leiterin des Arbeitsbereichs Altersmedizin des Instituts für Allgemeinmedizin ist. Gesund zu altern, ist aber gar nicht so einfach, denn je älter wir werden, desto größer ist beispielsweise das Risiko, dass wir an einer Demenz erkranken. Gegen diesen Risikofaktor lässt sich nichts machen. 

Der Verband "Alzheimer´s Disease International" bezieht sich in seinem "World Alzheimer Report 2023" auf Zahlen der WHO, wonach 2020 eine Milliarde Menschen älter als 60 Jahre waren. Bis 2050 soll sich diese Zahl auf 2,1 Milliarden verdoppeln, während sich die Anzahl der Menschen über 80 Jahren in dieser Zeit auf 426 Millionen verdreifacht. "Wie das Alter unserer Gesellschaften, so wird auch die Zahl der Menschen, die weltweit mit einer Demenz leben, steigen. Von 55 Millionen im Jahr 2019 auf 139 Millionen im Jahr 2050", heißt es in dem Bericht.

Demenz - "das unausweichliche Schicksal des Älterwerdens"?

Es gibt allerdings auch eine gute Nachricht: Der Verband weist darauf hin, dass es ein Irrglaube sei, dass eine Demenz "das unausweichliche Schicksal des Älterwerdens" ist. Vielmehr habe ein Forschungsprojekt des Wissenschaftsjournals "The Lancet" zwölf beeinflussbare Risikofaktoren für eine Demenz identifiziert: schlechte Bildung, Bluthochdruck, Hörverlust, Rauchen, Übergewicht, Depression, körperliche Inaktivität, Diabetes, wenige Sozialkontakte, exzessiver Alkoholkonsum, traumatische Gehirnverletzungen und Luftverschmutzung.

Sport als Tablette würde reißenden Absatz finden

Und da kommt wieder der Sport ins Spiel, denn sein Nutzen ist groß. Ausreichend Bewegung schützt vor Bluthochdruck, Übergewicht und Diabetes, verhilft Menschen zu Sozialkontakten und beugt Depressionen und Demenz vor. Sport als Tablette würde einen reißenden Absatz finden, aber es gibt sie leider nicht. Der innere Schweinehund ist bei vielen Menschen ein Bewegungs-Muffel, er liegt lieber mit einer Tüte Chips auf dem Sofa. Ihn zu überlisten, ist die große Herausforderung. Den Kampf aufzunehmen, lohnt sich immer, egal ob jung oder alt, bereits krank oder noch gesund. Entsprechend lautet das Mantra von "Alzheimer´s Disease International":

Demenz-Risiken minimieren: Es ist niemals zu früh und niemals zu spät.

Demenz – multikausal bedingte Krankheit

"Die Demenz ist eine multikausal bedingte Krankheit", erklärt Valentina Tesky. Einer der bedeutendsten Risikofaktoren sei Bluthochdruck, weshalb sie älteren Menschen rät, diesen unbedingt regelmäßig kontrollieren zu lassen und wenn nötig blutdrucksenkende Medikamente einzunehmen.

"Zusätzlich kann man durch körperliche Aktivität, geistige Aktivierung, soziale Interaktionen und auch durch eine gesunde, sogenannte mediterrane Diät weitere Risikofaktoren reduzieren", betont die Expertin.

Trotzdem kann man natürlich an einer Demenz erkranken, eventuell aber vielleicht durch diese vorbeugenden Maßnahmen fünf, sechs oder sieben Jahre später, was ja schon ein großer Gewinn ist.

"Körperliche Aktivität" und "sportliche Aktivität" – was ist der Unterschied?

Bei der Bewegung unterscheidet Tesky in "körperliche Aktivität" und in "sportliche Aktivität". Unter erstere fallen jeder Schritt zu Fuß, Treppensteigen, Rasenmähen, Hausarbeit. Alles, was uns auf Trab hält und wobei wir ein bisschen schwerer atmen als üblich. Die sportlichen Aktivitäten sollten dem Alter angepasst werden. "Wenn man früher Fußball gespielt hat, dann geht man jetzt vielleicht wandern oder macht Aquagymnastik oder spielt Tischtennis", sagt Tesky. Wichtig sei vor allem Kontinuität, nur dann funktioniert Sport als Booster für das Gehirn. Um die zu erreichen, eigneten sich feste Verabredungen in der Gruppe als Hilfsmittel. Und natürlich Spaß. Wer dranbleiben will, sollte unbedingt einen Sport finden, der ihm Freude bereitet, und sich nicht nur des Präventionsgedankens wegen zum Training quälen.   

Ausreden lässt Valentina Tesky nicht gelten. Sie sagt: "Selbst wenn man vielleicht nicht mehr mobil ist, kann man Sitzgymnastik machen. Man kann trotzdem die Arme trainieren." Tanzen oder Gymnastik – auch im Wasser – seien tolle Sportarten für Ältere. Wenn Musik dazu komme, aktiviere das zusätzlich. "Außerdem empfehle ich, dass man immer jede Treppe nimmt oder vielleicht mal eine Bushaltestelle früher aussteigt, um noch ein Stück extra zu laufen", sagt Tesky:

Das sind vielleicht Kleinigkeiten, aber sie summieren sich.

Die Glückshormone – machen nicht nur froh

Im Gehirn hängt viel von der Vernetzung der Nervenzellen durch Synapsen ab. Je mehr Verbindungen wir haben und je besser die halten, desto reibungsloser laufen alle kognitiven Prozesse. Wer regelmäßig Sport treibt, steigert die Durchblutung seines Körpers und kurbelt die Ausschüttung von Neurotransmittern an, den so genannten "Glückshormonen", Dopamin und Serotonin gehören dazu. Die machten nicht nur froh, erklärt Tesky, sondern reizten das Gehirn zu einer vermehrten Produktion von grauer Substanz. Das sind jene Strukturen, die vorrangig aus Nervenzellkörpern bestehen und bei einer Demenz nachweislich zurückgehen.      

Und wenn die Erkrankung schon begonnen hat, hilft Sport dann auch noch?

"Auf jeden Fall", sagt Tesky.

Durch Bewegung verbesserten sich Kraft, Ausdauer, Gleichgewicht, Koordinationsfähigkeit, Flexibilität. "Man fühlt sich fitter, man hat mehr Selbstbewusstsein, man kann dann eventuell mit diesen Einbußen, die trotzdem kommen, länger umgehen, sie besser kompensieren", erklärt Tesky. "Aber mit Sport können wir keine Demenz heilen, das geht leider nicht.“ Es gebe noch kein Medikament, das die begonnene Zerstörung der Nervenzellen beenden, keinen Impfstoff, der den Ausbruch der Krankheit verhindern kann.

Bevor jetzt Verzweiflung aufkommt, rät Tesky: "Alles, was wir im positiven Sinne machen können, sollten wir auch machen." Dazu zählten Sozialkontakte pflegen, kognitive Stimulation durch Lesen oder Spielen, eine neue Handarbeit erlernen oder im Garten arbeiten. "Alles hinwerfen und nichts mehr machen, das macht es nur schneller schlimmer", so die Expertin. "Wir werden es niemals schaffen, dass alle Leute nach den WHO-Kriterien leben, aber manchmal reicht es schon, ein bisschen die Motivation zu erhöhen."

Erhöhte Lebensqualität und verbessertes Wohlbefinden

Die schlichte Minderung eines Risikofaktors ist sehr abstrakt, man kann sie nicht sehen, spüren oder messen. Wenn der Sport aber macht, dass wir unter Leute kommen, uns gut und fit fühlen, weil wir stärker werden und leichter, wenn wir plötzlich nicht mehr so schnell ins Schnaufen geraten und auch ein zweites Käsebrot am Abend das schlechte Gewissen kalt lässt – dann sind wir auf einem guten Weg. In Sachen Demenzprävention, aber auch, und am Ende gehört das ja zusammen, im Sinne einer erhöhten Lebensqualität und eines verbesserten Wohlbefindens.

Warum bin ich in den Keller gegangen?

Valentina Tesky erlebt auch viele Angehörige von Menschen mit einer Demenz – und deren Angst. Weil die Krankheit auch eine erbliche Komponente hat, treibt viele zusätzlich zur Last des Kümmerns die Sorge um, irgendwann selbst betroffen zu sein. "Mit 25 Jahren ist unser Gehirn auf dem höchsten Leistungsstand", sagt Tesky. "Wer davon schon ein bisschen weg ist, darf auch gnädig mit sich sein, wenn er mal etwas vergisst." Wer im Keller nicht mehr weiß, warum er überhaupt runter gegangen ist, müsse sich keine Sorgen machen. "Wenn man von einem Raum in den anderen geht, dann denkt das Gehirn, ah erledigt und schaltet ab", erklärt Tesky. Wieder oben angekommen, fällt uns das Vorhaben meist auch wieder ein. Also geht es zurück in den Keller. Darüber sollten wir uns nicht ärgern, im Gegenteil: Schon haben wir wieder ein paar Schritte mehr erledigt.

Zur Person

Dr. rer. med. Dipl.-Psych. Valentina Tesky
ist Diplom-Psychologin und systemische Beraterin. Promoviert hat sie zum Thema Demenzprävention: Sie hat ein Trainingsprogramm entwickelt, durchgeführt und evaluiert, um kognitiven Leistungseinbußen im Alter vorzubeugen (AKTIVA: Aktive kognitive Stimulation – Vorbeugung im Alter). Ihre Forschungsschwerpunkte als Stellvertretende Leiterin des Arbeitsbereichs Altersmedizin am Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität sind Prävention von kognitiven Leistungseinbußen im Alter, psychosoziale und kreativtherapeutische Interventionen bei Demenz, Kommunikation und Einwilligungsfähigkeit von Menschen mit Demenz sowie Altersdepressionen.

KONTAKT 

Dr. rer. med. Dipl.-Psych. Valentina A. Tesky
Institut für Allgemeinmedizin Goethe-Universität Frankfurt am Main | Theodor-Stern-Kai 7 | 60590 Frankfurt

E-Mail: tesky@allgemeinmedizin.uni-frankfurt.de

AUSGABE        Prävention 04-2024 | Fit & Gesund | Demenz vorbeugen
AUTORIN         Susanne Rohlfing