Enrico Hirsch | Foto: Privat
Einblicke

Presse-Profi Enrico Hirsch entdeckt als Volunteer den Turnsport

Wenn der Profi zum Amateur wird

Es ist April 2011. Ganz Berlin befindet sich im Turnfieber. Die goldene Generation der Turnerinnen und Turner liefert sich unter den Augen von Bundeskanzlerin Angela Merkel spannende Duelle mit 317 anderen Athletinnen und Athleten aus 39 Ländern. Der Cottbuser Philipp Boy wird, als zweiter Deutscher überhaupt, Mehrkampf-Europameister.

Mittendrin im Geschehen ist damals auch Enrico Hirsch.

Enrico Hirsch

arbeitet beim Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Berlin, ganz nah an der großen Politik. Er war 16 Jahre Medienbetreuer für die Termine der Bundeskanzlerin. "Ein Teil meiner Tätigkeit dort war auch das Organisieren von Presseterminen und Pressezentren", erzählt er heute. Damals interessiert ihn das ‚Design‘ von Großveranstaltungen. Wie viele Pressearbeitsplätze braucht man, wie viele Aufsagerpositionen für Fernsehleute, wo positioniert man die Fotografinnen und Fotografen hin, wie läuft das mit der Journalistenakkreditierung. "Da ergab es sich, dass ein ehemaliger Praktikant bei uns im Haus irgendwie im Social Media Team des Deutschen Turner-Bunds tätig war", erinnert er sich.

Also löchert ihn Hirsch auf der Suche nach Antworten auf seine Frage, wie man größere Veranstaltungen perfekt organisiert.

"Einfach um mal ein bisschen was dazuzulernen und über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, wie andere das so machen", erzählt er. Der Turner-Bund reagiert schlau, macht die Tür weit auf und so landet Hirsch als Volunteer im Pressezentrum der Europameisterschaft. "Ich konnte mir da tatsächlich auch viel Zeit nehmen. Durch Überstundenabbau habe ich drei Wochen am Stück unterstützen können und das war offensichtlich auch ganz hilfreich. Und so bin ich tatsächlich dabeigeblieben", sagt er.

Doch nicht nur die erhofften Erkenntnisse stellten sich ein, der Bundesbeamte entdeckte dabei auch die Faszination des Turnens. "Persönlich finde ich es wahnsinnig beeindruckend, was da für Leistungen abgeliefert werden. Sei es am Stufenbarren, sei es am Reck, sei es an den Ringen oder am Schwebebalken. Prinzipiell habe ich immer den Eindruck, ich würde mir dabei auf jeden Fall sämtliche Gräten brechen", lacht er.

Nur den Turnerinnen und Turnern gelänge es da offensichtlich immer wieder, Spitzenleistungen abzuliefern. Daumen zu drücken, wenn die deutschen Athletinnen und Athleten am Start sind, ganz nah am Geschehen dran zu sein und mitzufiebern, das fasziniert Hirsch auf Anhieb. "Es ist schon irgendwie eine ganz eigene Stimmung, die sich natürlich dann auch auf die Volunteers überträgt", findet er.

Eine Atmosphäre, die sich in Hirschs Bewusstsein eingebrannt hat.

Beim Turnfest 2017 in Berlin lässt er sich dann die Gelegenheit auf ein Revival nicht entgehen und ist wieder im Pressezentrum mit am Start. "Das war ja auch nochmal ganz besonders, gerade durch die große Stadiongala damals im Olympiastadion. Die war ja wirklich atemberaubend, spektakulär. Das kann man ja gar nicht anders sagen", findet Hirsch. Bei den Weltmeisterschaften in Stuttgart zwei Jahre später, war er in der Mixed-Zone aktiv. Der ein oder andere Kollege aus Berlin ist da schon mal kurzfristig irritiert, wenn er seine Akkreditierung aus den Händen des seriösen Mitarbeiters vom Bundespresseamt erhält, der diesmal aber passend eingekleidet im bunten Veranstaltungs-T-Shirt erscheint.

Für Hirsch ist das alles kein Problem.

"Eigentlich ist es sogar genau andersherum. Es ist nur eine Frage der Umgebung. Eigentlich hasse ich es wie die Pest, einen Anzug zu tragen. Ich würde viel lieber alles im T-Shirt erledigen", verrät er. Leider ginge das eben in seinem Job nicht immer. Bei Büroterminen aber sitze auch er nur im Poloshirt und Jeans in der Besprechung. "Es gab da immer so abgestufte Verfahren. Wenn es wirklich wichtig war, hat man den Anzug genommen. Ansonsten taten es vielleicht auch mal nur Jeans und Sakko ohne Krawatte", erklärt er.

Von Hirschs Netzwerken konnten die Turn-Veranstaltungen zwar zumeist nicht direkt profitieren, von seiner Erfahrung dagegen schon.

"Die sind tatsächlich schon immer hervorragend organisiert", lobt der Medienprofi den DTB und nennt als Beispiel für seine Erfahrung die Eröffnung der Turn-EM 2011 durch Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Wenn man so Großveranstaltungen häufiger gemacht hat, dann kann man in den eigentlichen Termin schon sein eigenes Wissen mit reinbringen. So nach dem Motto, machen wir das mal besser hier am Sprunggerät, damit auch schöne Bilder entstehen", sagt er. Und das habe dann tatsächlich auch dazu geführt, dass es am Ende nette Bilder mit Turn-Team und Bundeskanzlerin gegeben habe.

Genug hat Hirsch vom Turnen noch lange nicht.

Auch wenn die Sache mit den Überstunden längst nicht mehr so einfach ist wie früher, wie er freimütig einräumt. "Deswegen kommen so viele Tage im Jahr gar nicht zusammen, wo ich sowas machen könnte", sagt er. Das Turnfest in Leipzig 2025 mit den Turn-Europameisterschaften hat er aber bereits fest eingeplant. Wo genau er eingesetzt werden wird, weiß er allerdings noch nicht. "Aber die werden sich schon Gedanken machen. Ich nehme an, das wird dann im Pressezentrum oder etwas ähnliches werden", glaubt Hirsch, der sich schon jetzt auf die Veranstaltung freut. 

Mit den ganzen internationalen EM-Gästen und dann zusätzlich noch in Kombination mit einem Turnfest, das mit rund 100.000 Besucherinnen und Besuchern die wohl größte Breitensportveranstaltung der Welt sei, findet Hirsch allein die schiere Größe beeindruckend. "Also das ist schon eine wahnsinnig spannende Kombi. Ich finde ja, dass gerade Europameisterschaften und Weltmeisterschaften noch einmal in einer ganz eigenen Liga spielen", sagt er.

Enrico Hirsch mit dem Turnfest-Maskottchen Berli

Fragt man Hirsch danach, was ihn im Rahmen seiner ehrenamtlichen Arbeit bisher am meisten beeindruckt habe, erhält man eine überraschende Antwort. "Bei der Turn-EM gab es ja dieses berühmte Maskottchen, Berlino hieß das glaube ich", erzählt er. Das sei vorher schon bei der Leichtathletik-WM im Einsatz gewesen. Den Mann, der im Kostüm steckte, habe er öfter hinter den Kulissen beobachtet.

Wenn man den dann gesehen hat, wie der da so k.o. in seinem Stuhl gesessen hat, der Arme. Also ich fand es immer irgendwie völlig beeindruckend, was das für ein unfassbar harter Job sein muss.

Seine Beziehung zum Turnen sieht er in jedem Fall als eine ganz besondere an. Zumal er andere Ehrenämter bisher zumeist abgelehnt hat, nicht zuletzt auch mit Blick auf sein geringes Zeitbudget. Eine Häufung von Ämtern, wie sie für viele Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler über die Jahre manchmal zum Problem wird, kennt er daher auch nicht. "Ich kann sogar ganz hervorragend ‚nein‘ sagen", sagt er. "Daher würde ich dezidiert sagen, dass ich im Vergleich zu den anderen Personen nicht so dieser typische Ehrenamt-Typ bin", gibt er zu. Was das Turnen angeht, seien es eben diese unfassbaren Zufälle gewesen, die ihn auf diesen Weg mit den Veranstaltungen des Deutschen Turner-Bunds geführt hätten.

Abraten von Ehrenämtern würde er trotzdem niemanden. Denn Ehrenamt lohnt sich, davon ist auch Hirsch nach seiner Zeit mit den Turnerinnen und Turnern überzeugt.

"Man nimmt, glaube ich, unabhängig davon, ob man jemand ist, der nein oder nicht nein sagen kann, persönlich immer etwas von solchen Veranstaltungen mit. Und seien es Freundschaften mit Leuten, die man da trifft und kennenlernt", betont er.

Diese Menschen treffe man dann oft gefühlt nach Jahren bei verschiedenen Großveranstaltungen wieder. "Das ist tatsächlich, finde ich, immer ganz witzig und unterhaltsam", sagt er. "Von Studenten bis hin zu Rentnern, von Selbstständigen bis zu den Beamten, da ist wirklich alles dabei. Die Bandbreite an Menschen aus allen möglichen Richtungen, die man da kennenlernen und treffen kann, ist in jedem Fall riesig", ist seine Erfahrung. Das schafft Netzwerke.

Es gelte aber auch für Menschen aus den verschiedensten Regionen. "Da sind die Leute aus Bayern genauso wie die Leute aus Mecklenburg vertreten", erzählt er. Das fördert das gegenseitige Verständnis.

Denn alle hätten sie am Ende ein gemeinsames Ziel:
durch ihren persönlichen Einsatz eine große und schöne Veranstaltung für alle Sportlerinnen, Sportler, Zuschauerinnen und Zuschauer zu gestalten.

 

AUSGABE         Ehrenamt 05-2024 | Einblicke | Wenn der Profi zum Amateur wird
AUTOR              Nils B. Bohl