Katja Stieler im Einsatz als Reporterin | Foto: Privat
Einblicke

Ex-Turnerin Katja Stieler

Ihre Rückkehr – als Reporterin

Als Katja Stieler nach Jahren wieder die Arena Leipzig (heute: Quarterback Immobilien Arena) betritt, ist alles wie früher – und doch völlig anders. Keine Wettkampfkleidung, kein Lampenfieber, kein Trainerblick im Nacken. Stattdessen Mikrofon, Kamerateam und der Auftrag, das größte deutsche Breitensport-Event für die Zuschauerinnen und Zuschauer des MDR einzufangen. Die ehemalige Spitzenturnerin steht beim Deutschen Turnfest 2025 wieder auf vertrautem Boden – nur diesmal als TV-Reporterin.

"Ich hänge meine eigene sportliche Vergangenheit ehrlich gesagt gar nicht so an die große Glocke", sagt Stieler rückblickend. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen wussten bis vor Kurzem gar nicht, dass die sympathische Reporterin selbst einmal zum Nationalkader gehörte. "Irgendwas mit Sport, schon klar – aber was genau, das wusste kaum jemand." Die heute 38-Jährige war selbst jahrelang Teil der deutschen Nationalmannschaft. Sie stand mehrfach beim Internationalen Deutschen Turnfest auf dem Treppchen – darunter 2005 als Deutsche Meisterin auf dem Balken und als Vizemeisterin im Mehrkampf. Zwischen 1999 und 2001 hatte sie bereits als Juniorin vier deutsche Meistertitel gewonnen. Nach einer schweren Schulterverletzung beendete sie 2006 ihre sportliche Laufbahn.

Für das Turnfest in Leipzig hat Stieler sich nun erneut ganz offiziell gemeldet: Zwei TV-Beiträge sollte sie produzieren. Während ihre Redaktion begeistert war, dass eine der ihren das Turnen von innen kennt, war es für Stieler eine willkommene Abwechslung. "Wir berichten ja oft über schwere Themen – Kriege, politische Konflikte, all das. Da war es total schön, mal ein sanftes Thema zu haben. Und das Turnfest hat tatsächlich die ganze Stadt verändert. Ganz Leipzig war im Turnfieber."

Für ihren ersten Beitrag gab es nur eine grobe Vorgabe: ihre Erinnerungen ans Turnfest und ihre heutige Sicht. "Ich hatte da vollkommen freie Hand. Das Vertrauen meiner Redaktion hat mich total gefreut." Die Reise in die eigene Vergangenheit führte Stieler unter anderem zu einer CD mit alten Videoaufnahmen. Die stammten von einem Turnfan, der sie einst auf Wettkämpfen gefilmt hatte.

"Total verrückt, so etwas aus den frühen 2000ern zu haben. Das hat nicht jeder."

Der Weg allerdings, das alte Material ins moderne MDR-System zu bringen, erwies sich dabei nicht nur als (letztlich gelöste) technische Herausforderung – sondern für Stieler auch als persönlicher Weckruf, das eigene Archiv für später zu sichern.

Für den Beitrag suchte sie einen Ort auf, der für sie von besonderer Bedeutung war: die Arena Leipzig. "Ich kehre zurück an den Ort, an dem meine Turnfestkarriere damals begonnen hat", sagt sie. Die Halle, in der sie als junge Turnerin vor Tausenden Zuschauern antrat, wirkte auf sie heute fast wie ein vertrautes Wohnzimmer. "Alt kam ich mir dort gar nicht vor, im Gegenteil. Ich habe mich sofort wieder heimisch gefühlt." Spontan schob sie sich für den Kameramann noch die Matten zu einem Podest zurecht – "wie selbstverständlich" als Teil des Turnbetriebs.

Für den zweiten Beitrag drehte sie fürs ARD-Format "tagesthemen MITTENDRIN".

Diesmal ging es nicht nur ums Turnen, sondern um Leipzig. Genauer gesagt um die Frage, was das Turnfest mit der Stadt macht. Stieler begleitete eine Volunteer-Koordinatorin – die gute Seele des Turnfestes. "Wenn es den Volunteers gut geht, geht es auch den Teilnehmenden gut. Das hat total Spaß gemacht." Dass Stielers eigene Geschichte im zweiten Beitrag kaum eine Rolle spielte, sahen die ARD-Kollegen später mit Bedauern. Die Ex-Turnerin aber hatte sich bewusst zurückgenommen. "Mir ging es darum, den Volunteers die Bühne zu geben", betont sie.

Als sie selbst noch aktiv war, erlebte sie das Turnfest nur durch die Scheuklappen des Leistungssports.

"Ich habe nichts vom Drumherum mitbekommen. Damals war mein Fokus ein ganz anderer. Es war mein erstes Seniorenjahr, die Aufregung war natürlich groß", erinnert sie sich. Das Publikum allerdings bleibt Stieler bis heute unvergessen.

"Die Stimmung in der Halle war sensationell. Das war für mich alles neu, so viele Zuschauer", sagt sie.

Sogar ihre eigenen Eltern hatten für das Gerätfinale keine Karten mehr bekommen – die behalfen sich damals mit selbst gedruckten Tickets. "So etwas wäre bei den heutigen Sicherheitsstandards undenkbar", lächelt sie.

Dieses Mal konnte Stieler die Veranstaltung aus einer anderen Perspektive genießen.

"Ich habe super viele Bekannte gesehen, bei der Turn-EM war ich auch in der Halle und habe es dank meiner Akkreditierung aus bester Position verfolgt", erzählt sie.

Die Show-Inszenierung rund um EM-Maskottchen Luigi empfand sie dabei keineswegs als störend. "Alles, was dem Turnen Gehör und Aufmerksamkeit verschafft, ist gut", findet die Leipzigerin. Gerade in ihrer aktiven Zeit habe sie das Gefühl gehabt, dass die Anstrengungen der Turnerinnen und Turner medial und gesellschaftlich zu wenig gewürdigt wurden. "Wenn das heute über eine große Show funktioniert, mit lauter Musik und Disco-Feeling, dann soll es so sein", hat das Format Stielers Segen.

Katja Stieler bei den Deutschen Meisterschaften im Rahmen des Internationalen Deutschen Turnfest 2005 in Berlin

Im Studio lief Stieler der gerade zurückgetretenen Rekordmeisterin Elisabeth Seitz über den Weg.

Beide Meisterinnen verbindet, dass sie in jungen Jahren einmal von Claudia Schunk betreut wurden. Der kurze Plausch ergab, dass auch die Lehramtsstudentin Seitz den Plan noch nicht gänzlich verworfen hat, Stieler in den Journalismus zu folgen.

Die Frage aller Fragen kann auch die mittlerweile erfahrene TV-Reporterin Stieler nicht spontan beantworten. 

"Beide haben sich aus meiner Sicht gegenseitig befruchtet. Ich würde beide Veranstaltungen gleichrangig sehen", erklärt sie nach einem Moment des Überlegens. Für sie selbst jedoch sei das Turnfest mehr als nur Wettkampf gewesen: "Es hat mein Bild vom Turnen ein bisschen geradegerückt. Es hat meine Beziehung zu der Sportart auch besänftigt", räumt sie ein.

Und die war durchaus differenziert.

Denn als junge Turnerin erlebte die Spitzenturnerin die eigene Laufbahn teils kritisch. "Wir hatten damals weder Ernährungsberater noch Sportpsychologen. Wir waren in vielen Belangen auf uns allein gestellt", erinnert sie sich. Auch wenn mit dem Vermarktungsdruck heute eine neue Herausforderung hinzugekommen sei – das Turnen sieht sie vom Grundsatz her nun auf einem guten Weg. "Es ist vor allem besser für den Menschen, der hinter dem Sportler steckt", sagt sie mit einem nachdenklichen Unterton, der verdeutlicht, dass es da aus ihrer Sicht noch Luft nach oben gibt.

Trotz des intensiven Erlebnisses Turnfest 2025 verspürt Stieler auch weiterhin keinen Drang, in den Sportjournalismus zu wechseln. "Es war von Beginn an eine bewusste Entscheidung, das nicht zu tun. Sport prägt mein Leben privat sehr. Das reicht mir", betont sie. Und doch nimmt sie etwas aus den Tagen von Leipzig mit: "Das Turnfest hat mir gezeigt, wie vielfältig der Sport ist und was er den Menschen bedeutet", erklärt sie. Und auch das eigene Kapitel scheint ein Stück weit versöhnt abgeschlossen.

AUSGABE           Turnfest 03-2025 | Einblicke | Ihre Rückkehr - als Reporterin
AUTOR                Nils B. Bohl