Annabelle Tschech-Löffler Botschafterin Turnfest Leipzig 2025 | Foto: Turnfest
Einblicke

Turnfest-Botschafterin Annabelle Tschech-Löffler

Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut

Annabelle Tschech-Löffler will als Botschafterin des Turnfestes Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen motivieren. 

Der Mut zur Freiheit

"Den Werbefilm zum Turnfest, den musst du dir unbedingt mal anschauen", sagt Annabelle Tschech-Löffler. "Der ist echt cool geworden", findet sie. Was die 14-Jährige aus dem sächsischen Borna so zum Strahlen bringt, ist ein Trailer, den der Deutsche Turner-Bund seit ein paar Tagen über Instagram verbreitet. Dort rühren in Barren-Weltmeister Lukas Dauser und der Olympia-Vierten Margarita Kolosov ein Athlet und eine Athletin die Werbetrommel für die kommende Ausgabe des Turnfestes in Leipzig, die wohl jedem Turnfan in Deutschland ein Begriff sind. Und eben Annabelle. "Die sind alle beide meine Freunde. Mit denen verstehe ich mich echt gut", erzählt sie und überrascht selbst ihren Vater mit ihrem neuesten Berufswunsch:

Ich will mal Model werden.

Das ist insofern ungewöhnlich, als dass Annabelle eine angeborene Besonderheit besitzt. Bei ihr ist das Chromosom 21 nicht nur zwei-, sondern dreimal vorhanden. Die sogenannte Trisonomie 21, auch bekannt als "Down Syndrom". Diese genetische Veränderung beeinflusst das Aussehen sowie die geistige, motorische und sprachliche Entwicklung und ist bei jedem Kind individuell ausgeprägt.

Mit Ausnahmegenehmigung am Start

Annabelle ließ sich davon nicht aufhalten. Sie versuchte es zunächst mit Tanzen, 2019 begann sie dann mit dem Turnen. Vor allem, sagt sie, weil ihre Schwester Marielle dies auch tut. Irgendwann vor zwei Jahren, erzählt Annabelle, habe es in Regensburg mal einen Wettbewerb gegeben, an dem sie teilgenommen habe. Der habe ihr die Qualifikation für die Special Olympics World Summer Games 2023 eingebracht. Als jüngste deutsche Teilnehmerin bekam sie in der Hauptstadt mit 13 Jahren sogar eine Ausnahmegenehmigung für ihren Start, denn eigentlich war das Mindestalter auf 16 Jahre festgelegt worden. "Und dann habe ich dort sogar die Bronzemedaille am Stufenbarren gewonnen", erzählt sie stolz.

Auch Vater Markus sammelte als Coach von Annabelle dort seine ersten, tieferen Einblicke in die Welt der Matten und Holme. "Nach den Weltspielen jedoch hatte ich ein wenig das Gefühl, dass es von hier aus nicht richtig weitergeht", erinnert er sich. Angesichts des großen Spaßes, den seine Tochter mit dem Turnen entwickelt hatte, suchte der Projektmanager nach neuen Wegen und Zielen für die Tochter. In der Woche nach den Weltspielen war sein erster Weg in das Turnfest Büro von Kati Brenner in Leipzig, mit der Bitte Special Olympics Athletinnen und Athleten beim Turnfest in Leipzig zu berücksichtigen. "Vom DTB gab es einen Wettkampf im badischen Philippsburg", fand er heraus. Annabelle war auch da Feuer und Flamme. "Ich dachte mir, was einmal geht, geht mehrmals", erzählt der Vater. Spontan griff er zum Hörer und rief beim Jahnturnfest in Freyburg, beim Paul Scholz Pokal in Oschatz und beim Meissner Hallenturnfest an – mit ebenso positivem Ergebnis.

Inklusiv gewinnt

Bei der Suche nach weiteren Veranstaltungen zog es die Beiden im Mai 2024 auch ins nicht ganz so weit entfernte Leipzig zur Veranstaltung "Inklusiv gewinnt". Das innovative Multi-Sportevent, das erstmals dort stattfand, war ein großer Erfolg. Rund 3.500 Zuschauerinnen und Zuschauer haben sich die Wettbewerbe auf dem Sportcampus der Uni Leipzig in den Disziplinen Schwimmen, Leichtathletik, Triathlon und Sitzvolleyball angesehen. 

Die Besonderheit dieser Veranstaltungsreihe ist, dass olympische, paralympische und Special Olympics-Athletinnen und -Athleten gemeinsam und gegeneinander in Wettkämpfen antreten. "Zum Turnfest sind wir dann über ein zufälliges Treffen mit Inklusionsmanager Oliver Gatzsch am Stand des Turnfests bei ‚Inklusiv gewinnt‘ gekommen. So kam es zu unserer schriftlichen Nachfrage an den Vorstand und das Präsidium des DTB sowie dem Turnfest, wo denn dort die inklusiven Athleten sind. Das war der Beginn der wunderbaren Zusammenarbeit für turnende Menschen beim Turnfest Leipzig", erzählt der Vater weiter. 

"Wir haben Material zum Turnfest auf der ganzen Welt verteilt", erzählt Annabelle begeistert und berichtet, dass sie in Italien, in England, in Oslo und zuletzt sogar in Atlanta in den USA geturnt hat.  Am Besten hat es ihr aber im italienischen Genua gefallen. "Da habe ich Pokale und Medaillen mitgebracht", freut sie sich. Aber auch in den USA hat es ihr sehr gut gefallen.

Lasst uns turnen. Alle zusammen.

Dass Annabelle als Botschafterin des Turnfests etwas bewegen kann, davon ist sie ohne Zweifel überzeugt. "Man kann sagen, komm mit und mach was. Ich glaube, ich kann viele Leute überzeugen. Ich bin da wie mein Vater", erklärt sie. Der größte Spaß wäre für sie, wenn die alle mit ihr nach Leipzig kommen würden. "Wenn auch meine ganze Familie mitkommen könnte und wir alle zusammen turnen könnten. Und wenn meine Freundinnen alle mitmachen könnten", sagt sie und fügt umgehend hinzu:

Ich frag die nachher gleich nochmal.

Mit neuen Freunden aus den USA, Frankreich, Slowakei, Schweden und Griechenland hat sie sich schon zusammengetan, um gemeinsam bei der Gala des Turnfestes in Leipzig mitzumachen. "Auch mein Vater ist dabei, der muss mich hochheben", hat sie beschlossen. Das, findet der, sei auch die Grundidee von Annabelles Engagement als Turnfestbotschafterin: Lasst uns Turnen. Alle zusammen. "Das Allerschönste wäre, wenn wir gemeinsame Wettbewerbe machen könnten. Mit Behinderten und Nicht-Behinderten. Mit Menschen mit Beeinträchtigungen und ohne Beeinträchtigungen. Egal, ob als Paare oder einzeln. Egal ob sie Rhythmische Sportgymnastik oder Gerätturnen machen", findet er.

Vorbild USA?

Auf Einladung von Cindy Bickman (Event Director) und mit Unterstützung der AAU konnten Annabelle als Special Athlete und ihre Schwester Estelle als Paralympics Athlete beim ersten Turn-Para-Wettbewerb der USA im amerikanischen Bundesstaat Georgia teilnehmen und Ihre Wettbewerbe gewinnen. "Das war ein Turnevent von über 1.000 Athleten, mit und ohne Beeinträchtigungen. Das war beeindruckend, zu sehen, was alles möglich ist", war da auch Vater Markus beeindruckt. Die Bodenmatten und die Geräte seien gemeinsam genutzt worden, alle hätten gemeinsam in einem Durchgang geturnt und vor allem sich auch gegenseitig angefeuert. "Das so etwas auch in einem so großen Maßstab geht, das haben wir gesehen und wollen das als Idee mitnehmen, um die Turnfeste in diese Richtung zu entwickeln", betont Tschech-Löffler. Diese könnten so richtungsweisend werden, wieder menschlicher miteinander umzugehen. "Wir müssen uns da schon aneinander orientieren, wenn wir wirklich inklusiv sein wollen", glaubt er.

Beide sind sie dankbar, dass sie durch Annabelles Position als Botschafterin des Turnfestes Aufmerksamkeit für ihre Sache generieren können. "Das ist nicht immer einfach", räumt Vater Markus ein. Veranstaltungen wie "Special Olympics" seien da eben nur ein Schritt.  Der nächste Schritt sei, in die Verbände zu gehen. "Denn sind wir einmal ehrlich, Trainer zu finden für Menschen wie Annabelle ist sehr schwierig. Da liegt schon sehr viel Eigenleistung bei den Eltern", erklärt er. Turnevents wie die in den USA seien da reine Privatveranstaltungen. "Im Gegensatz zu den USA ist dieses ‚Easy, lass es uns probieren’ hier in Deutschland noch nicht so verankert. Das ist schon sehr herausfordernd", weiß er. Es brauche noch etwas politischen Druck, es brauche vor allem aber auch ein Zeichen von den Verbänden: "Die müssen sagen, wir wollen das gerne", findet Annabelles Vater.

Gerade im Turnen werde sehr auf die Perfektion abgestellt. "Wir haben es aus den Medien und von Athleten gehört. Sie sind Menschen und wollen so behandelt werden. Da sind wir im Turnen in den letzten Jahren ein wenig auf der Stelle getreten. Hier können wir voneinander lernen", glaubt Vater Markus. Auch bei Annabelle gebe es Tränen. Tränen der Freude und Tränen der Enttäuschung. "Es braucht bei ihr schon ein Mehr an Betreuung. Man muss sie an der Hand nehmen und sagen, komm mit! Das muss einem bewusst sein", sagt er.

Manchmal fehle es aber auch nur am einfachen Verständnis. "Annabelle bzw. die Athleten mit Besonderheiten müssen können und wollen", wird ihm dann entgegengehalten. Aber das, sagt Tschech-Löffler, sei eben gerade nicht Inklusion. "Inklusion ist, wir bieten an und schauen, dass wir sie mitnehmen können", betont er.

Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut

2022 wurde Annabelle in ihrem Landkreis zur Nachwuchssportlerin des Jahres gewählt. Eine persönliche Leistung, die auch ihren Freunden Lukas Dauser und Margareta Kolosov großen Respekt abnötigt. Die beiden wiederzusehen und anzufeuern kann Annabelle kaum erwarten. Doch noch mehr fiebert die junge Turnerin ihrem eigenen Wettkampf entgegen, bei dem sie sich mit möglichst vielen Athletinnen messen will. "Weil ich eine schöne Bodenübung habe und weil ich mich auf das Turnfest freue. Turnen ist für mich Freiheit", sagt Annabelle im Instagram-Spot und hofft darauf, dass sie als Vorbild noch viele Zweifelnde motivieren kann, ihre Botschaft anzunehmen. Denn schon der alte Grieche Perikles wusste:

Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.  

AUSGABE        Leipzig 01-2025 | Einblicke | Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut
AUTOR             Nils B. Bohl