Familie Holze | Foto: Privat
Die Familie

Ehrenamt mit Herz und Hand

Die inspirierende Familie Holze

Kerstin Holze sagt: "Das Schlechteste ist, auf der Couch sitzen zu bleiben." Wer aufsteht, sich einbringt, zupackt, könne etwas bewegen. Dabei spiele es keine Rolle, ob man Kuchen backt, Protokolle schreibt oder sich auf Bundesebene engagiert, um etwas voranzubringen. Es gebe keine Skala, auf der die verschiedenen Ehrenämter bewertet werden. "Jeder kann etwas finden, das zu ihm passt und Spaß macht", und so etwas bewirken. "Du musst die Gesellschaft nicht einfach ertragen, du kannst sie mitgestalten."

Sie selbst erfuhr das während der Schulzeit erstmals in der Kirche. Da sollte bei der Fusion zweier Gemeinden der Jugendraum wegfallen, und ihr und ihren Mitstreitern und Mitstreiterinnen gelang es, das zu verhindern. Solch ein Erfolg hinterlässt Spuren. Heute sitzt die 44-Jährige, die in Frankfurt am Main aufgewachsen ist, als Vizepräsidentin im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und ist Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderturnstiftung. Darüber hinaus ist sie unter anderem Mitglied im Fernsehrat des ZDF und  in der Goldjury der "Sterne des Sports in Gold“.

Aber sie ist auch Mutter, die für den Hockeyverein ihrer drei Söhne Fahrdienst leistet oder Trikots wäscht.

Aber wie fing alles an?

Ihren Mann hat sie, schon fast selbstverständlich, bei einem ihrer zahlreichen Projekte kennengelernt. Beide vertraten ihre damaligen Verbände, sie als Vorsitzende die Deutsche Turnerjugend (DTJ), er als Vorstand die Deutsche Sportjugend, bei einer Initiative, in der Strategien für die Gewinnung junger Menschen fürs Ehrenamt gesucht wurden.

Jan Holze, der in der DDR aufgewachsen ist, begann seine Karriere im Ehrenamt beim SV Fortuna 50 Neubrandenburg, wo er Handball spielte und die Lücke füllen sollte, die es auf der Position des Jugendleiters gab. Er müsse einfach nur daneben sitzen, wurde ihm damals gesagt. "Dabei ist es nicht geblieben", erzählt der 43-Jährige. Seinem Lieblingssport ist er bis heute treu, als Spieler und als Präsident des Handballverbandes Mecklenburg-Vorpommern. Seine Ehrenämter auf Bundesebene hat der studierte Betriebswirtschaftler, der im Zweitstudium noch ein komplettes Jurastudium absolvierte, aus Compliancegründen aufgegeben, als er 2020 zum hauptamtlichen Gründungsvorstand der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt berufen wurde.

Olympia und das Meer

Die Söhne haben sich anstecken lassen von dem intensiven Einsatz ihrer Eltern: Der 13-jährige Oskar engagiert sich im heimischen Schwerin als Schiedsrichter und Kindertrainer in seinem Hockeyklub und betätigt sich, wie sein sechs Jahre jüngerer Bruder Kaspar, in seiner Schule als Klassensprecher.

Von klein auf haben die beiden und der zehnjährige August Vater und Mutter zu ihren Pflichten begleitet, waren bei zahlreichen Tagungen dabei, aber zuletzt im Sommer auch bei den Olympischen Spielen in Paris, wo Kerstin Holze eine Woche lang den DOSB vertrat.

"Wir haben ganz normal im Losverfahren Karten gekauft", erzählt sie.

Ein Vorrundentag beim Hockey mit 25.000 Zuschauerinnen und Zuschauern sei ein besonderes Erlebnis für die Familie gewesen. Danach ging es für die Kinder mit dem Vater ans Meer, während die Mutter in der Hauptstadt weiterarbeitete. "Natürlich hätten wir den Urlaub gerne ganz zusammen verbracht", sagt Kerstin Holze. Die gemeinsame Woche Olympiaflair wird der Familie aber immer in wunderbarer Erinnerung bleiben.

"Ein paar kleine Bonbons für die Kinder", das sei wichtig bei all dem Hin und Her, sagt Jan Holze.

So suchen er und seine Frau, wenn sie beide oder einer von ihnen mit einem oder mehreren Söhnen unterwegs sind, jeweils besondere Freizeitbeschäftigungen heraus, denen sie sich gemeinsam nach den Sitzungen widmen. Ein Freizeitbad oder ein spannendes Museum etwa. Das sei auch für ihn selbst eine Bereicherung, sagt Jan Holze. "So beschäftigt man sich damit, was es vor Ort Spannendes gibt", während man sonst, allein unterwegs, nach dem Ende der Veranstaltungen nur schnell nach Hause strebt.

Der Nachwuchs sei so schon gut herumgekommen, als "Belastung" werde das von den Söhnen nicht empfunden. "Oskar fragt eher, wohin es als nächstes geht", sagt der Vater. Selbst die langen Reisen würden nicht als negativ angesehen, schließlich bedeuteten sie für ein einzelnes Kind "Exklusivzeit" mit einem Elternteil. Für Geschwisterkinder sei das wichtig, sagt Kerstin Holze, die selbst sechs jüngere Geschwister hat.

Jedes Wochenende werde gemeinsam und intensiv geplant, um möglichst alle Bedürfnisse zu berücksichtigen. Mittlerweile blieben die Kinder öfter zu Hause, weil sie dort eigenen Hobbys nachgehen. Als sie noch kleiner waren, hatten Holzes ein paar Jahre lang eine Kinderfrau. 

Familie kein Hindernis im Ehrenamt

Bei einigen Organisationen werde die Kinderbetreuung bisweilen schon mitgedacht. Kerstin Holze selbst setzte sich in ihren zehn Jahren bei der DTJ dafür ein, dass sich Familie und Ehrenamt nicht ausschließen. Bei größeren Tagungen gebe es Angebote, den Nachwuchs zu beschäftigen. "Aber man muss das einfordern", sagt sie.

"Aus unserer Sicht ist das nicht verhandelbar", fügt Jan Holze hinzu. "Wenn die Kinder nicht mitkommen können, muss man auch auf uns verzichten." So ist den Söhnen selbst ein Empfang beim Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier nicht fremd. "Natürlich gibt es Termine, die für sie nicht geeignet sind", sagt Kerstin Holze. Dann müsse man das eben anders arrangieren. "Aber ich habe nicht das Gefühl, dass Familie im Ehrenamt ein Hindernis ist." Kaspar erlebte 2017 das Internationale Deutsche Turnfest in Berlin als wohl jüngster Teilnehmer mit. "Er wurde am Tag des Meldeschlusses geboren", erinnert Kerstin Holze sich.

Da haben wir ihn schnell noch auf die Liste gesetzt.

Natürlich gebe es Unterschiede, sei man auf Bundesebene privilegiert, wenn es um Kinderbetreuung geht. Ein Verein oder ein kleinerer Verband habe dafür kein Personal, keine Bundesfreiwilligen etwa, zur Verfügung. Dann müsse man nach anderen Möglichkeiten suchen.

Jan Holze erinnert sich an einen Tag vor ein paar Jahren, an dem seine Frau in Frankfurt war und er mit einem der Söhne zu einer anderen Sitzung nachkam. Da habe man sich auf dem Bahnhof getroffen, und das Kind fuhr kurz nach der Ankunft wieder mit Kerstin Holze zurück. Mit Kartenspiel und Vorlesen wurde dem Kleinen die Zeit vertrieben, sodass er auch diesen Trip in guter Erinnerung behalten konnte.

Bei einer Versammlung in Hamburg wurde für die Söhne vorher eine Wegbeschreibung zur Alster ausgedruckt, und sie liefen dorthin, aßen ein Eis und kamen wieder zurück. Oskar passe schon mal auf die Kleineren auf, "aber er soll in erster Linie Teenager und nicht Babysitter sein", sagt Kerstin Holze. Über Nacht ließen sie die Kinder nie alleine.

Wenn sie zu Hause abends an Online-Sitzungen teilnimmt, versucht sie sich mehr Zeit am Tag zu nehmen.

Als Kinderärztin mit Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie hat die Medizinerin an der Klinik in Schwerin derzeit eine halbe Oberärztinnenstelle inne und sei daher auch die primäre Managerin der Terminpläne ihrer Söhne. Doch wenn Jan Holze sich zusammen mit einem oder mehreren Söhnen auf den Weg macht, organisiert er alles selbst, packt die notwendigen Badesachen ein oder plant die Aktivitäten.

In der Schule laufe es bei allen Söhnen gut, "da haben wir Glück", sagt Kerstin Holze. Problematisch werde es nur, wenn zusätzliche Dinge dazukommen. So wie der Umzug, der der Familie bevorsteht. Dann spüre man die Last, und es werde noch schwerer als sonst, "mit allen Bällen im Kopf gleichzeitig zurechtzukommen".

Und Jan Holze ergänzt, dass die eigenen Bedürfnisse bei Kerstin Holze und ihm nach Freizeit und Entspannung oft auf der Strecke bleiben. Für Sport, Joggen, Handball oder Fitnesstraining nimmt er sich seit einem Bandscheibenvorfall vor zwei Jahren bewusst Zeit; steht deshalb regelmäßig früh auf, um seine Bewegungseinheiten zu absolvieren. Aber er frage sich auch manchmal, insbesondere bei endlosen Diskussionen in einem kahlen Tagungsraum, "ob das was er gerade tue, es wert sei, wenn ich die Zeit auch sehr gut bei meiner Familie zu Hause verbringen könnte."

Das Gesamtpaket muss stimmen

Doch ernsthaft haben beide noch nicht darüber nachgedacht, ihre Ehrenämter abzulegen. Es ist für sie keine Option. Kerstin Holze betont: "Bei mir stimmt das Gesamtpaket. Wenn es weniger wäre, würde ich etwas vermissen." Jan Holze ergänzt und seine Frau nickt zustimmend:

Nichts zu tun, ist keine Lösung.

AUSGABE        Ehrenamt 05-2024 | Die Familie | Nichts zu tun, ist keine Lösung
AUTORIN         Katja Sturm