Übung mit dem Medizinball | Foto: DTB
Fit & Gesund

Alte Männer wieder in Bewegung bringen

Der vergessene Mann

Herbert Grönemeyer brachte es schon im Juni 1984 auf den Punkt. "Männer haben Muskeln, Männer sind furchtbar stark, Männer können alles, Männer kriegen 'nen Herzinfarkt", stellte der Musiker schon damals fest. Diese grundlegenden Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen spiegeln sich deutlich in ihrer Einstellung zur Gesundheit wider. Während Frauen tendenziell proaktiver und präventiver mit ihrer Gesundheit umgehen, sind Männer oft weniger geneigt, frühzeitig Präventionsangebote in Anspruch zu nehmen. 

Trainingsübung auf der Bank | Foto: DTB
Trainingsübung am Boden | Foto: DTB
Partner-Trainigsübung | Foto: DTB

Männersache

Tizian Schuck von der Uni Bayreuth ist mittlerweile zum Experten auf diesem Gebiet gereift. Sein Projekt "Männersache" setzt genau dort an, wo die Freizeitsportkarriere bei Männern normalerweise aufhört.

"Bei den Männern ist es oft so, dass sie in jüngeren Jahren im Mannschaftssport vertreten sind. In Deutschland spielt man vor allem Fußball. Mit 35 bis 40 Jahren scheiden sie dann meist aus verschiedenen Gründen aus den Sportarten aus. Die Belastung wird zu hoch und auch das Alter spielt nicht mehr mit. So fallen viele von ihnen in eine Art Loch", erzählt Schuck.

Von den Sportvereinen wird dies noch nicht so aufgegriffen, sagt er. Natürlich gebe es noch Alt-Herrenmannschaften. "Aber gesundheitsförderliche Angebote gibt es bei Sportvereinen meistens nur für Frauen. Sowas wie eine Damengymnastik beispielsweise haben relativ viele Sportvereine. Was aber noch fehlt, ist ein gleichwertiges Angebot für die Zielgruppe Männer. Eines, welches die Gesundheit fördert sowie weiter aktiv und fit hält. Das haben wir versucht mit dem Kurs "Männersache" abzubilden“, erklärt Schuck. 

Ganz neu ist das Thema in Deutschland nicht. Ein großes Forschungsprojekt der Universität Bayreuth und der Universität Regensburg kümmerte sich darum und ging der Frage nach, wie man in Gemeinden und Kommunen Männer wieder zu einem Mehr an Bewegung animiert. Eine Beobachtung, die auch Schuck machte. "Bei mir im Familienkreis oder im Fußballverein sieht man dann die Männer meistens noch an der Außenlinie stehen. Aber nicht mehr aktiv, sondern meistens passiv als Zuschauer", sagt er. Genau das habe ihn motiviert, das Thema zu beleuchten. Schuck will dabei die Männer nicht unbedingt jung halten, sondern eher weiter aktiv und fit.

"Das ist unser Ziel mit den, wie wir immer sagen, Männern in der zweiten Lebenshälfte."

Andere Bewegungsmotivatoren müssen her

Dass Männer ab einem gewissen Alter nichts mehr für ihre Gesundheit tun wollen, hält der Doktorand mit seinen Erfahrungen für ein Märchen. "Männer wollen etwas für ihre Gesundheit tun", ist er überzeugt. Denn mit steigendem Alter würden die Beschwerden und Schmerzen immer deutlicher. "Spätestens dann wird Gesundheit zum Motiv. Dann wollen sie etwas für ihre Gesundheit machen", betont er.

Momentan werden sie mit Blick auf den jährlichen Präventionsbericht des GKV-Spitzenverbands von den Präventions- und Gesundheitssportangeboten nicht erreicht, weil diese oft nicht die geschlechtertypischen Rollenmerkmale verkörpern. Diese Unterschiede haben jedoch tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden beider Geschlechter und unterstreichen die Notwendigkeit, geschlechtsspezifische Ansätze in der Gesundheitsförderung und -versorgung zu entwickeln.

"Männer, vor allem in dieser Zielgruppe sind ja mit dem Stereotyp aufgewachsen, stark sein zu müssen. Und da gibt es einfach dann andere Bewegungsmotivatoren", weiß er. Ein Forschungsprojekt von Tittlbach und Kollegen brachte zum Beispiel an den Tag, dass beim "starken Geschlecht" ganz andere Bewegungsmotivatoren eine Rolle spielen. "So etwas wie Wettkampfanstrengung, Tempo und Bälle wollten die Männer in ihren Programmen immer mit dabeihaben. Und das auch in einem hohen Alter", betont Schuck. Das Problem: "Das wird eben von so klassischen Kursen wie Gymnastik oder Yoga nicht aufgegriffen", erklärt Schuck.

Tempo & Ball?

Der Wissenschaftler fand genau das heraus, was er selbst schon immer fühlte.

"Dadurch, dass ich selbst aus dem Fußball komme und mich für alle Sportarten mit Bällen interessiere, kam es nicht ganz überraschend. Denn ich habe da die gleichen Motivatoren. Es müssen immer Tempo und ein Ball dabei sein", lacht er.

Ein bisschen offensichtlich sei diese Erkenntnis bereits gewesen. "Aber es war dennoch schön zu sehen, dass dieses Missverhältnis unter anderem einen möglichen Grund darstellen kann, weshalb Männer von den bestehenden Kursen nicht erreicht werden", findet er.

Der vergessene Mann?

Also dachte Schuck darüber nach, wie das Übel am besten an der Wurzel gepackt werden könnte.

"Das war sozusagen Teil eines weiteren Forschungsprojektes, in dem wir den Kurs konzipiert und dann auch evaluiert haben", erinnert er sich. In der klassischen Tageszeitung in Bayreuth, dem Nordbayerischen Kurier, veröffentlicht die Forschungsgruppe um Schuck und Tittlbach einen Artikel, wo sie auf das Programm aufmerksam machten. Wir haben bereits in der Bewerbung mit Bewegungsmotivatoren gearbeitet: Humor eingesetzt und direkt angesprochen, dass es ein Fitnesskurs speziell für Männer ist und es nicht um Yoga geht, sondern um den ‘Vergessenen Mann‘. So nennen wir ihn auch oft.

"Wir haben in dem Artikel beispielsweise die Problemzonen der Männer direkt angesprochen und auf mögliche bestehende Bauchumfänge hingewiesen, sagt Schuck mit einem Grinsen. Der Trick funktionierte. "Wir haben auf diesen einen kleinen Zeitungsartikel 83 Bewerbungen bekommen", sagt er zufrieden. Überraschend sei dabei immer wieder gewesen, dass das Motiv Gesundheit meistens da gewesen sei. "Es ist bisher oft nur am richtigen Angebot gescheitert". Im Forschungsprojekt wurde der Kurs in Bayreuth anschließend in zwei Kursgruppen durchgeführt. Die seien, berichtet er stolz, nach wie vor aktiv und vor allem mit jeweils 20 Männern genauso voll wie am Anfang. "Das bedeutet, hier haben wir es geschafft, ein bestehendes Kurskonzept erfolgreich in einen Verein zu implementieren".

Männergerechte Fitness – aber wie?

Doch wie kann "männergerechte Fitness" aussehen? 

"Am Anfang ist es so, dass wir in eine klassische Spiel- oder Turnhalle gehen und immer erstmal in einem kleinen Kreis zusammenkommen. Die ersten Spiele, die wir meistens spielen, sind klassische Kennenlernspiele, immer schon ein bisschen mit Bewegungsmotivatoren verbunden. Wir stehen zum Beispiel in einem großen Kreis, haben einen Ball dabei und lassen den Ball ein bisschen hin und her laufen und sagen dabei zuerst immer nur unseren Namen", zählt Schuck auf. So entstünde gleich zu Beginn ein Gefühl für die Gruppe. "Die Männer lernen sich untereinander kennen lernen. Sie sollen ja Spaß haben, hinzugehen und gemeinsam aktiv zu sein."

Das sehr vielseitige Programm sei spannend und greife eigentlich alle motorischen Fähigkeiten auf, erläutert Schuck. "Es wird Kraft trainiert, es wird Beweglichkeit trainiert. Es gibt aber auch immer eine Schwerpunktphase in jedem Kurs, wo ganz viele Abwandlungen von Mannschafts- und sonstigen Teamsportarten zum Tragen kommen", sagt er und fügt hinzu: "Das heißt, wir aktivieren genau diesen Bewegungsmotivator. Ein Ball im Team und gemeinsam etwas erreichen. Das verfolgen wir in so einem Kurs sehr vorrangig."

Use it or lose it

Die Ergebnisse hat der Wissenschaftler akribisch dokumentiert. "Wir haben natürlich verschiedene Tests gemacht. Wir haben das in einem sehr kontrollierten Rahmen mit Eingangs- und Ausgangstestung erledigt. Wir haben ganz viele psychosoziale Gesundheitsressourcen abgefragt, die sich auch alle sehr gut verbessert haben", berichtet er. Bei den motorischen Fähigkeiten, sagt er, sei das immer wieder eine Herausforderung gewesen. "Wir haben beispielsweise das Rückwärtsgehen abgefragt. Das ist ein Koordinationstest. Nur die Fähigkeit rückwärtszugehen, aber dann in diesem Test auch unter Zeit- und Präzisionsdruck", erklärt er. So kann die körperliche Fähigkeit überprüft werden. "Aber der Körper ist nach dem Motto aufgebaut ‚use it or lose it‘." Das heißt, wenn wir lange nicht mehr Rückwärtsgehen, dann verlieren wir auch die Koordination, die Rhythmen und die Fähigkeiten dafür. Das gilt auch fürs Sprinten. "In dem Kurs vermeiden wir aber aufgrund des Verletzungsrisikos das Sprinten komplett. Wir kommen immer über das schnelle Walken."

Auch die abnehmende Beweglichkeit stellt die vergessenen Männer vor Herausforderungen. "Wenn wir uns lange nicht dehnen, verkürzen und verspannen sich unsere Muskeln. Und dann wird es natürlich umso schwerer, die wieder zu lockern. Es braucht da manchmal Zeit, um auch da Erfolgserlebnisse zu sehen", räumt Schuck ein.

Genug von seinem Projekt hat er noch lange nicht. "Das bedeutet für mich, dass ich da jetzt nicht nur geforscht habe, um irgendwelche Ergebnisse zu erreichen. Ich lasse die Männer jetzt nicht allein, sondern interessiere mich weiter für die Zielgruppe und das Thema Gesundheitsförderung. Momentan promoviere ich beispielsweise an der Uni Bayreuth und forsche mit der Altersgruppe in einem weiteren Projekt. Und bin nebenbei auch immer noch Übungsleiter von einem Kurs, den wir in Bayreuth implementiert haben", lacht er.

Neue Freundschaften

Denn Männer seien im hohen Alter im Vergleich zu Frauen häufiger einsam und sozial isolierter. "Was in Bayreuth dagegen gelungen ist, ist eine Gruppe von 20 fremden Männern, dienstags und donnerstags genauso zu formen, dass die Kontakte auch außerhalb des Sports gepflegt werden und so das Wohlbefinden, die Stimmung und die Selbstwirksamkeit erhöht wird", ist Schuck überzeugt. Und das sei auch ein wichtiges Ziel der "Männersache", betont der Wissenschaftler und zählt noch ein weiteres auf: "Dass wir da einfach der Zielgruppe von Männern 50plus wieder neuen Schwung mitgeben können. Das ist nicht nur die Vision in Bayreuth, sondern auch meine ganz persönliche. Ich möchte, dass sich mit dem Deutschen Turner-Bund in ganz vielen Vereinen deutschlandweit Männer zusammenfinden, neue Freundschaften schließen und sich auch im Alter noch weiterentwickeln. Und ganz nebenbei immer etwas für die eigene Gesundheit getan wird", lautet sein Credo.

Herbert Grönemeyer, heute selbst 68 Jahre alt, hat auch dafür vor 40 Jahren bereits gute Argumente geliefert: "Männer sind auch Menschen, Männer sind etwas sonderbar, Männer sind so verletzlich, Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich", schrieb der Sänger da schon nieder. Etwas, was wir wohl alle längst wussten und das die Forschungsgruppe um Schuck und Tittlbach in einem kleinen Ausschnitt nun mit seinen Studien auf einen festen Sockel gestellt hat.

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Tizian Schuck
Universität Bayreuth
BaySpo - Bayreuther Zentrum für Sportwissenschaft
Lehrstuhl Sportwissenschaft Sozial- und Gesundheitswissenschaften des Sports

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AUSGABE        Prävention 04-2024 | Die Familie | Der vergessene Mann
AUTOR             Nils B. Bohl