Regional
BTV - Bayerischer Turnverband
Christine Königes bei Joachim Herrmann | Bildquelle: Bayerisches Innenministerium
Einblicke

Seit einem Jahr im Amt

Was macht eigentlich so eine Präsidentin?

Seit einem Jahr ist Christine Königes jetzt Präsidentin des Bayerischen Turnverbandes. In der 163-jährigen Verbandsgeschichte ist sie nicht nur die erste Frau, sondern auch jüngste Vorsitzende im obersten Gremium des BTV.
Wir ziehen eine erste Bilanz und fragen nach, wie sie inzwischen in dieser verantwortungsvollen Rolle angekommen ist, mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert ist und wollen vor allem auch wissen: Was macht eigentlich so eine Präsidentin?

Sprossenwand Regional: Christine, das erste ereignisreiche Jahr ist wahrscheinlich verstrichen wie im Flug. Erste Frage aus dem Bauch heraus: Wie läuft’s?

Christine Königes: Gut! (lacht) Das reicht wahrscheinlich nicht als Antwort, oder?
Aber es läuft wirklich gut. Es ist nicht einfach, das in Worte zu fassen, denn wie so oft gibt es zwei Dimensionen, die bei genauer Betrachtung auch hier zusammenspielen: die persönliche Perspektive und die professionelle, der eigene Anspruch und die Erwartungen von außen, die Hochs und Tiefs, die auch hier den Alltag prägen. Aber meine Vorgeschichte hilft natürlich sehr, insofern hatte ich schon eine gewisse Vorstellung, was auf mich zukommt und bin Stück für Stück hineinwachsen. Da schnupperst du dann schon in Kindertagen Vereinsluft und probierst dich aus, bist Teil einer Gemeinschaft, die dir ans Herz wächst und lernst fortwährend dazu. Und so ging es vom aktiven Mitglied zur Übungsleiterin und stellvertretenden Abteilungsleiterin im Tanz, über den Vorsitz der BTJ zum Präsidiumsmitglied, später zur Vizepräsidentin Marketing und Kommunikation und jetzt eben Präsidentin und parallel trotzdem auch Abteilungsleiterin Tanz in einem Verein. Anders geht es in meinen Augen aber auch nicht: Wenn du verschiedene Stationen durchlaufen und die jeweiligen Blickwinkel erlebt hast, fällt es leichter, die Perspektive zu wechseln. Und das macht es – um zur Frage zurückzukehren – auch heute für mich leichter, die Argumente und Bedürfnisse auf allen Seiten besser zu verstehen.
Ich bekomme jedenfalls viel Bestätigung und nehme auch Kritiker ernst.

Mein Motto? Räumt die Stühle weg und lasst uns tanzen!

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Als Präsidentin erfüllt Christine Königes u.a. repräsentative Aufgaben wie hier bei der Siegerehrung zum Dance2U 2024 in Hilpoltstein, wo sie auch als Kampfrichterin ihrer sportlichen Herkunft treu bleibt.

SR: Präsidentin ist ein mächtiger, aber für viele auch eher abstrakter Begriff. Was macht denn eigentlich das Präsidium bzw. konkret du als Präsidentin des zweitgrößten Sportfachverbandes in Bayern?

CK: Die Vielfalt im Verband mit unseren aktuell 23 Sportarten in über 3.300 Vereinen und rund einer Million Mitgliedern spiegelt sich natürlich in den Aufgaben und trennt sich auch hier in Pflicht und Kür; Aufgaben, die ich lieber übernehme als andere – das ist nur menschlich. Es gibt viele Veranstaltungen und Termine, wo die Rolle an sich im Vordergrund steht.
Als Präsidentin bin ich ein Stück weit auch Schnittstelle zwischen internen und externen Interessen. Mir persönlich ist dabei wichtig, nicht nur “Baustellen” vor mir her zu tragen, sondern eine positive Wahrnehmung zu leben und zu verbreiten. Ja, es gibt viel zu tun, das gab es immer und das macht uns aus. Aber ich möchte vor allem das Wir-Gefühl transportieren, fruchtbare Akzente setzen, Grund zur Zufriedenheit geben und Wirkung zeigen. Das Glas ist nie halb leer und gerade diesen Spirit weiterzugeben, das macht es so reizvoll. Die Leidenschaft für die Sache und das Erleben in der Gemeinschaft macht es doch aus, dafür sind wir hier!
Ansonsten erarbeiten wir im Schulterschluss von Haupt- und Ehrenamt die Verbandsstrategie und unsere Kernbotschaften, übersetzen sie in die verschiedenen Bereiche und tragen sie nach innen und außen.

SR: Als Präsidentin des BTV arbeitest du ehrenamtlich - wie so viele, die den Sportbetrieb überhaupt am Laufen halten. Wie schaffst du es, diese anspruchsvolle Tätigkeit mit anderen beruflichen oder privaten Verpflichtungen in Einklang zu bringen?

Kompromisse sind definitiv nötig, ja. Insofern geht das nur mit entsprechendem Rückhalt und Support im Privaten wie im Beruflichen und natürlich mit einem belastbarem Netzwerk.

Ein gut sortiertes Telefonbuch ist das A und O!

Ich habe einen sehr kulanten Chef in meinem Hauptberuf, in den ich jetzt gerade nach meiner Elternzeit zurückgekehrt bin, dort erfahre ich zum Glück auch viel Unterstützung. Und natürlich steht mein Mann zu jeder Zeit hinter mir, sodass auch die Zeit mit unserem kleinen Sohn nicht zu kurz kommt. Ebenso Familie und Freunde, dank derer ich überhaupt diesen Weg einschlagen konnte. Dafür bin ich sehr dankbar, denn nur so ist eine Vereinbarkeit gut möglich.
Ansonsten ist viel Flexibilität gefragt, nicht nur auf meiner Seite. Das Jahr verläuft ohnehin in Wellen: im Herbst und Frühjahr ist jede Menge los, Veranstaltungen, Sitzungen, Wettkämpfe. Wir haben uns aber in den Fachbereichen über die Jahre auch gut aufgestellt, da verschränken sich viele Themen, die Zuarbeit und gegenseitige Unterstützung funktioniert sehr gut. Ich möchte, dass sowohl unsere Ehrenamtlichen wie auch Hauptamtlichen Spaß an den Themen haben. Wertschätzung, ein respektvoller Umgang sowie das Bewusstsein Dinge auch mal zu feiern und Lob auszusprechen, sind essentiell.

"Der Funke muss überspringen!" Wer sich mit Christine unterhält merkt schnell, dass sie diesen Gedanken selbst mit Überzeugung lebt.

SR: Als Digitalstrategin im Hauptberuf beschäftigst du dich im Besonderen mit innovativen Technologien, Marketingfragen und Digitalisierung. Kannst du von deiner Expertise in dem Bereich auch als Präsidentin profitieren? Spielt die Digitalisierung in einem Sportverband überhaupt eine Rolle?

CK: Die Digitalisierung ist unweigerlich ein sehr wichtiges Thema und ist seit Jahren schon in vollem Gange, alles andere wäre auch nicht mehr zeitgemäß! Wir müssen überall Kommunikation verbessern, Netzwerkarbeit vorantreiben, Prozesse beschleunigen und verschlanken. Wir sind ein moderner Verband und wollen intern wie extern auch so wahrgenommen werden. Die nötige Infrastruktur ist ein omnipräsentes Thema, denn in unseren Vereinen treffen wir inzwischen oftmals auf Digital Natives. Social Media und digitale Kanäle sind weiter im Wachstum und wir dürfen hier den Anschluss nicht verpassen. Hier passiert schon einiges sowohl im BTV als auch in den Vereinen, jedoch könnten wir alle durch den flexibleren Einsatz von Fördergeldern schneller voran kommen und mehr Expertise in den organisierten Sport holen.

SR: Du sitzt als oberste Repräsentantin des BTV ja öfter mal zwischen den Stühlen und jonglierst die vielleicht ganz unterschiedlichen Interessen von Vereinen, ehrenamtlichen Übungsleitern und Trainern, der Geschäftsstelle, Gremien, Ausschüssen, politischen Akteuren und vor allem unseren vielen aktiven Sportlerinnen und Sportlern. Das klingt herausfordernd und nach jeder Menge Emotionen und Reibungspotential.

Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Führungsqualitäten, die man als Präsidentin eines großen Sportverbandes mitbringen sollte?

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CK: Die meisten Probleme unserer Zeit erwachsen aus fehlender oder missverständlicher Kommunikation. Ich sehe also klare Kommunikation als Kernpunkt jeder Zusammenarbeit. Wer will was warum und wie? Wer steht wo und kann was dazu beitragen? Und die nötige Wertschätzung für gute Ergebnisse schwingt genau in diesem Wir-Verständnis mit: da muss Raum für Talente geschaffen werden, das Potential für Entwicklung und Entfaltung gesehen werden – man sollte das Wachstum manchmal einfach geschehen lassen und mit einem “Was brauchst du?” Hilfe zur Selbsthilfe anbieten. Dazu muss man lernen Verantwortung abzugeben und Vertrauen zu haben, viele Talente wissen gar nicht, was in ihnen steckt.

Und ja, natürlich knirscht es auch unweigerlich mal im Getriebe, wenn unterschiedliche Interessen aufeinander prallen, Probleme aufgeschoben werden, Mittel fehlen – wir spielen unter dem Strich ja gleichermaßen die ganze Klaviatur an Themen wie die anderen Lebensbereiche in der Gesellschaft. Optimismus haben und ausstrahlen ist also sicherlich noch ein wichtiger Punkt. Lösungen suchen statt auf Problemen rumreiten, kompromissbereit sein. Da gehört auch eine gute Fehlerkultur mit rein, respektvoller Umgang und der Blick auf das große Ganze.
Was mich grundsätzlich antreibt ist natürlich die Leidenschaft für den Sport, der Teamgeist, die Emotionen: zu sehen, nein, mitzuerleben, wie Menschen für etwas brennen und mit leuchtenden Augen ihre Ziele erreichen. Es ist einfach großartig, dass es etwas gibt, das Menschen so sehr zusammenbringt!

Christine Königes, Jahrgang 1989, wurde im November 2023 im Rahmen des 28. Bayerischen Turntages zur Nachfolgerin von Dr. Alfons Hölzl in das höchste Amt des BTV gewählt. Ihre sportliche Karriere begann mit sechs Jahren in gleich zwei Vereinen in der Nähe von Augsburg: die Leidenschaft für Turnen und Tanzen entdeckte sie damals beim TSV Firnhaberau, parallel dazu spielte sie Volleyball beim FC Affing. Ihr Herz gehört heute nicht mehr nur dem Jazz und Modern Dance, sondern vor allem ihrer jungen Familie, mit der sie inzwischen in Niederbayern lebt.

Wenn ich einen Wunsch frei hätte? Dann möchte ich noch viele Jahre viele Menschen finden, die bereit sind für die gute Sache einzustehen.

SR: Zum Schluss noch ein Ausblick: Welche Entwicklungen im Sport hältst du für besonders wichtig und wie plant der Verband, darauf zu reagieren?

CK: Wir leben in einem System, das auf Engagement beruht. Das beginnt im Elternbeirat des Kindergartens, Nachbarschaftshilfe, Feuerwehren, Rettungsdienste, die allgemeine Vereinskultur und wir als organisierter Sport. Und wir alle haben Nachwuchssorgen. Es zeigt sich darüber eine langsame Transformation zum Hauptamt, einfach weil so viel Bedarf rein ehrenamtlich nicht gestemmt werden kann, der Sport als Arbeitgeber ist also definitiv im Kommen.
Wir erfreuen uns in Bayern glücklicherweise schon einer eher hohen Unterstützung auf Landesebene, aber die allgemeinen Kostenerhöhungen für Instandhaltung, Energie, Personal, Weiterbildung und Innovation machen trotzdem nicht Halt vor unseren hehren Zielen, die Haushaltsplanung ist im Großen wie im Kleinen schwierig. Das kommende Recht auf eine Ganztagsbetreuung für die Grundschüler sowie die immer weiter ansteigende Zahl an Vereinsmitgliedern machen es auch nicht leichter und erhöhen die ohnehin schon grenzwertige Auslastung der Sportstätten: die Hallen sind voll! Übungsleiter sind rar und die Vereinsführungen oftmals überlastet. Dabei wollen wir mit Blick auf den Turnsport Partner der Vereine sein.

Wir haben den nötigen Enthusiasmus, um die Themen anzugehen. Also machen wir einen Schritt nach dem anderen. Wir müssen das Engagement auf politischer Ebene weiter erhöhen und das Bewusstsein schärfen. Nicht nur für die Probleme, sondern vor allem für die Rolle des Sports: Denn genau hier lassen unsere Mitglieder ihre Sorgen mal hinter sich, schaffen Ausgleich und tanken Kraft für das, was die Welt da draußen dann wieder für sie bereithält.
Ich lebe nach innen und außen frei nach

"You can't compete with someone who's having fun!"

Ein für mich ohnehin immer passendes Motto - für den Sport wie das Leben!

SR: Vielen Dank für das ausgesprochen sympathische und offene Gespräch. Alles Gute und unsere besten Wünsche, dass du in deiner Amtszeit noch viel bewegen kannst.

Das Interview führte Claudia Doenitz

Als Turnverband müssen wir Angebote schaffen, um attraktiv zu bleiben und die Jugendlichen beim Übergang ins Erwachsenenalter in den Vereinen zu halten.
 

AUSGABE         Ehrenamt 05-2024 | Einblicke | Was macht eigentlich eine Präsidentin
AUTORIN          Claudia Doenitz