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BTV - Bayerischer Turnverband
Header Karriere | Bildquelle: Claudia Doenitz
Einblicke

Wo Kopf und Herz zusammenkommen

Karrieresprungbrett Ehrenamt

Julika Dörrfuß ist 30, lebt in Nürnberg, arbeitet Vollzeit in einem PC-Job, ist außerhalb dessen gerne und viel unterwegs und macht schon immer gerne Sport. So weit, so normal. Doch vor rund eineinhalb Jahren hat es Klick gemacht und eine zukunftsweisende Erkenntnis machte sich breit: “100% Büroarbeit – das bin nicht ich!”. Eine Initiativbewerbung später hat Julika eine 50%-Stelle als Trainerin, die andere Hälfte gehört der Kommunikation und Social Media Arbeit beim TV 1848 Erlangen. Sie ist angekommen und hat ein Profil für sich gefunden, wo heute Kopf und Herz zusammenkommen: über das Karrieresprungbrett Ehrenamt vom Hobby zum Beruf.

“Ich habe mir nie die Frage gestellt, ob ich hauptberuflich Trainerin sein kann”

sagt Julika rückblickend auf ihre Findungsphase im vergangenen Jahr. Und so geht es sicherlich vielen der Aktiven in den Vereinen des BTV, die den Trainingsbetrieb Tag für Tag ehrenamtlich am Laufen halten.
Julikas sportliche Entwicklung findet sich so oder vergleichbar in vielen dieser Lebensläufe: ein sanfter Einstieg über das Turnen mit vier Jahren, mit neun entdeckt sie eine neue und – wie sich weist – nachhaltige Leidenschaft für das Trampolinturnen. Ihre Vorkenntnisse aus dem Turnen zahlen sich aus, sie ist gut, wird gefördert, gewinnt hier und da Wettkämpfe und pflegt von da an mit Hingabe ihr sportliches Hobby. Der heutige Landestrainer Trampolinturnen Markus Thiel erkennt ihr Talent, kommt regelmäßig nach Erlangen, trainiert und fördert sie, bald wird sie Athletin im Bayerischen Landeskader. Es ist ein glückliches Teenager-Leben zwischen Schule und Turnhalle.

Heute springe ich, wenn ich Glücksgefühle brauche.

Doch Julika ist oft verletzt, bricht sich beim Training den Ellenbogen, später das Sprunggelenk, muss jeweils operiert werden; die Verletzungspausen werfen sie nicht nur sportlich zurück. Mit 16 bricht sie sich beim Einspringen für die Deutschen Mannschaftsmeisterschaften in Cottbus den Oberschenkel und fällt über einem Jahr Zwangspause in eine tiefe Sinnkrise. “Zu der Zeit kam wirklich alles zusammen” sagt Julika mit Blick auf die wahrscheinlich schwierigste Phase in ihrem bisherigen Leben. “Ich wurde von jetzt auf gleich von einer Topform auf Null zurückgeworfen und war sicher, ich komme da nie wieder hin! In dieser so wichtigen Entwicklungsphase von Körper und Geist kam es auch zu einer Art Bruch im Kopf und ich hatte plötzlich Angst vorm Springen. Ich war sicher, das ist das Ende meiner sportlichen Karriere, die zu der Zeit alles für mich bedeutet hat. Dazu trennten sich gerade meine Eltern und ich musste gefühlt ganz alleine da durch.” Heute kann sie mit einer gewissen Demut auf diese Durststrecke zurückblicken, denn natürlich haben diese schmerzvollen Erfahrungen ihre heutige Arbeit als Trainerin maßgeblich geprägt.

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Mit 17 tastet sich Julika langsam und unsicher zurück in den aktiven Sport, an Wettkämpfe ist aber noch nicht wieder zu denken. Es ist ein einsamer Prozess und der Wiedereinstieg wird zusätzlich erschwert, denn auch die Schule fordert inzwischen mehr Aufmerksamkeit und ihre Trainer haben sich zurückgezogen oder widmen sich neuen Aufgaben. Sie bleibt ihrem Sport dennoch treu, möchte sich vermehrt der Jugendarbeit widmen, macht den Übungsleiter C und steht nun öfter neben als auf dem Gerät.

Als Michael Serth, langjähriger Teamkamerad und eines ihrer Vorbilder, 2014 bei einem Sprung schwer stürzt und fortan im Rollstuhl sitzt, wirft das Julika erneut zurück, das Bewusstsein um die Risiken dieses Sports ist größer denn je. Doch auch der Wunsch, ihr Wissen und Können weiterzugeben wächst und ihr Profil als Trainerin wird weiter geschärft:

Gerade mit zunehmender Schwierigkeit geht es nicht darum, einfach nur den Sprung zu machen.

Es geht um ein ausgeprägtes Körperbewusstein, 100% Aufmerksamkeit bei jedem Sprung und die saubere technische Hinführung zu neuen Elementen. Auch ein Puzzle wird Stück für Stück zusammengesetzt, Kopf und Körper müssen beim Trampolinturnen im Besonderen bereit sein für den nächsten Schritt und manchmal dauert es einfach bis ein Knoten platzt. Der Respekt vor dem Gerät und dem technischen Anspruch einer Übung, die Notwendigkeit absoluter Körperkontrolle und das Risikobewusstsein dürfen bei aller Freude am Turnen und der Routine eines erfahrenen Athleten niemals vernachlässigt werden. Diese Mission zur Verantwortung schreibt sich die 30-Jährige heute auf ihre trainerische Fahne.

Dass aber gerade bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eine spielerische Herangehensweise und der Spaß in der Gemeinschaft natürlich nicht zu kurz kommen dürfen, weiß Julika bei allem Pflichtgefühl nur zu gut. Denn jeder Sport lebt unter dem Strich von positiven Emotionen! Genau diese positiven Emotionen zu vermitteln, die sportliche Weiterentwicklung mitzuerleben und Erfolgserlebnisse mit ihren Schützlingen zu teilen ist es, was sie antreibt. Zumal das Training auf dem Sprungtuch ja nur ein Teil des bunten Blumenstraußes an Übungen ist, die in einer Trainingseinheit absolviert werden; die allgemeine Fitness ist unweigerlich Grundstein einer auf so vielen Ebenen anspruchsvollen Sportart. Aufwärmen und spielerische Übungen, Krafttraining, Turnen mit und ohne Airtrack, Dehnübungen und vieles mehr sind auch für den oder die Trainer ein abwechslungsreiches Programm. Darüber hinaus können dabei schon in jungen Jahren echte Werte vermittelt und eine gesunde Einstellung zu Körper, Gesundheit und dem Stellenwert von Bewegung gefördert werden.


In diesem positiven Feedbacksystem des Gebens und Nehmens und mit der Bestärkung von Kindern und Trainerkolleginnen und -kollegen erwuchs dann im vergangenen Jahr erstmals der Gedanke, dem eigentlichen Hobby doch mehr Raum zu geben.
Julika hatte zuletzt in Vollzeit als Cutterin bei einer Nürnberger Filmproduktion gearbeitet und sich nach der Vertragsauflösung ein mehrmonatiges Sabbatical gegönnt. Vor der Aufgabe, ein neues Wirkungsfeld und vor allem Antworten auf die drängenden Fragen Was kann ich? und Was will ich? zu finden, verbrachte sie eher dank der freien Valenzen plötzlich mehr Zeit in der Turnhalle. Bis der Groschen dann endlich fiel und sie begriff, was eigentlich aus heutiger Sicht schon lange hätte klar sein müssen: “Ich will mit und am Menschen arbeiten und meine Freude an Bewegung teilen!”

Die Menschen träumen schon immer vom Fliegen.
Mit dem Trampolin kommt man schon ziemlich nah dran ohne sich gleich aus einem Flugzeug zu stürzen. Das Trampolinspringen fordert und fördert den gesamten Körper: verschiedene Aspekte aus Kraft, Koordination, Beweglichkeit und Ausdauer spielen in Vollendung mit Anmut und Eleganz zusammen. Man kann die physikalischen Gesetze nicht brechen, aber es fühlt sich beinahe so an als könnte man es. Und genau dieses Gesamtpaket macht den Reiz für mich aus.

Aber den Bachelorabschluss in Theater- und Medienwissenschaften und Kulturgeographie, ihre Werkstudentenzeit im Marketing bei den Siemens Healthineers und ihre Fertigkeiten in der Mediengestaltung komplett in den Wind schreiben?!

Mit ihrem Heimatverein, dem TV 1848 Erlangen gab es am Ende eine Win-Win-Lösung und alle Bedürfnisse konnten in Einklang gebracht werden: Heute freut sich Julika über eine halbe Stelle in der Vereinskommunikation und fokussiert sich dort auf Film, Print und Social Media Themen. Die andere Hälfte gehört der Sportpraxis: Sie hat die Weiterbildung zum Trainer B durchlaufen und die große Abteilung Kinderturnen übernommen. Gerade hat sie die Ausbildung zum Yogalehrer abgeschlossen und übernimmt weitere Kurse aus dem Angebotsprogramm des TVE. Und natürlich steht sie nach wie vor von den Minis bis zur Leistungsgruppe an ihrem Lieblingsgerät und trägt den Funken weiter, der vor inzwischen über 20 Jahren bei ihr das Feuer für das Trampolinturnen entfacht hat.

Nur an die Rolle als Kadertrainerin beim BTV muss sie sich noch ein wenig gewöhnen: “Natürlich bin ich erwachsen geworden und fühle mich von A bis Z wohl in der Position als Trainerin. Die Vielfalt ist großartig, ich lehre ja vom ersten Purzelbaum im Kinderturnen bis zum Bundeskaderniveau im Trampolin und es erfüllt mich jeden Tag wieder mit Freude, ein Teil dieser Sportfamilie zu sein. Nur dass ich plötzlich im Trainerteam neben meinem eigenen früheren Mentor stehe, fühlt sich manchmal noch etwas surreal an.”

Follow your dreams besagt das Tattoo auf Julikas rechtem Unterarm. Ein gutes Motto, das sie sich selbst zu Herzen genommen hat.

 

AUSGABE         Ehrenamt 05-2024 | Einblicke | Karrieresprungbrett Ehrenamt
AUTORIN          Claudia Doenitz