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BTV - Bayerischer Turnverband
DTF Pin-Sammlung | Bildquelle: Claudia Doenitz
Einblicke

Beyond Sports

Turnfest im Blut

Ganze acht Jahre nach Berlin bereitet sich nun Leipzig auf das Sportevent des Jahres vor: vom 28. Mai bis 01. Juni lädt der Deutsche Turner-Bund zum Internationalen Deutschen Turnfest ein und erwartet neben 80.000 Athleten auch bis zu 750.000 Besucher in der Stadt, die in der 160-jährigen Geschichte des Turnfestes zum inzwischen 13. Mal die Rolle des Gastgebers übernimmt.

Die Gäste aus aller Welt erwartet ein abwechslungsreiches und mitreißendes Programm aus Wettbewerben, Mitmachangeboten, Workshops, Seminaren und Shows aus dem Leistungs-, Breiten- und Gesundheitssport sowie ein breites Kulturangebot. Darüber hinaus werden zehn deutsche Meisterschaften, die Turn-EM und die Team-WM im Rhönradturnen ausgetragen.

Ein Turnfest-Veteran erzählt

Mit allein rund 200 Aktiven reist der TV Augsburg als größte bayerische Delegation nach Sachsen. Ganz vorne mit dabei ist Günter Löhnert, Ehrenvorsitzender des TVA, der in diesen Tagen seinen 85. Geburtstag feierte. Er gilt als Urgestein des Sports in Augsburg und hat mit seinem unermüdlichen Engagement die Geschichte des Vereins geprägt und geformt wie kein anderer. Gemeinsam mit seiner Frau Helga ist er seit über 50 Jahren unter anderem aktiver Leiter der Abteilung Turnen beim TVA und hat seit 1958 kein einziges Turnfest verpasst. Als wahrhaft alter Turnfest-Hase mit einem ganz besonderen Blick auf das größte Breiten- und Wettkampfsportereignis der Welt haben wir ihn getroffen und nachgefragt, was das Turnfest in diesem Jahr für ihn persönlich und seine Schützlinge vom TV Augsburg bedeutet und wie sie sich darauf vorbereiten.
 

Herr Löhnert, es gibt wahrscheinlich nur wenige Besucher, die mit solch einer Erfahrung und langjährigen Expertise zum Turnfest fahren wie Sie. Was bedeutet dieses Sportevent für Sie und Ihr Team vom TVA?

"Ein Deutsches - inzwischen ja Internationales - Turnfest ist einfach ein absolut unvergessliches Erlebnis für Jung und Alt, für Groß und Klein! Ich erlebe es immer wie eine kleine Olympiade: die Vielfalt der Disziplinen, das ganze Drumherum, die ganze Stadt lebt eine gemeinsame Leidenschaft: den Sport … Ich kann es nicht anders sagen, aber das Turnfest ist ein MUSS für alle Aktiven – ach was, einfach für Jeden! Wo man hinkommt, sind schon andere freundliche und gut gelaunte Menschen, die durch den Sport miteinander verbunden sind. Die Begeisterung derer, die zum ersten Mal hinfahren mitzuerleben, macht es auch für mich immer wieder besonders. Und auch alle Wiederkehrer bestätigen, dass es etwas ganz Besonderes ist, diese Art der Gemeinschaft zu erleben und der großen Sportfamilie anzugehören."

Wer begleitet Sie und Ihre Frau zu diesem Turnfest?

"Unser Verein macht alle mobil, die es sich einrichten können: natürlich erstmal viele Aktive mit ihren ehrenamtlichen Betreuern und Trainern, viele Eltern, aber auch Ehemalige, die uns noch immer verbunden sind und über das Event noch einmal eintauchen in die Gemeinschaft. Wir konnten aus unseren Reihen auch ein zweiköpfiges Filmteam gewinnen, das unsere Turnfestreise dokumentieren und seinen Film zum Sommerfest dann auch für die Daheimgebliebenen präsentieren wird.

Die meisten Aktiven kommen aus den Abteilungen Turnen, Rhythmische Sportgymnastik und Faustball. Und obwohl die Wettkämpfe erst ab 12 Jahren freigegeben sind, wird auch eine Trainerin mit ihrem U12-Team anreisen, um den Funken überspringen zu lassen und auch bei den Kleinen schon ein Turnfestfeuer, nein, ein Feuerwerk zu entzünden!"
 

Die Liebe zum Turnen ist immer dabei!

Die Reise des TVA zum Turnfest ist sicherlich eine große organisatorische und logistische Aufgabe. Wie genau sehen die sportlichen Vorbereitungen der Aktiven aus und welche Aufgaben haben Sie als organisatorischer Kopf der Mannschaft vor der Brust?

"Ach, tatsächlich engagiert sich inzwischen ein ganzes Team von bestimmt 20 Leuten für die Vorbereitungen; es gibt also viel mehr Unterstützung und Aufgabenteilung als es früher der Fall war. Bei so vielen Teilnehmern ist das anders auch kaum möglich. Wenn die Ausschreibung reinkommt, bespricht sich das Team, vergibt die Zuständigkeiten und gibt die erste Meldung raus. Die Abteilungen planen, wer wann wo antritt, die Busse müssen organisiert werden, die Finanzierung mit Zuschuss vom Verein muss stehen, die Unterbringung. Außerdem gestalten wir für jedes Turnfest ein eigenes T-Shirt für alle. Bisher haben wir auch immer für den ersten Abend vor Ort ein riesiges Buffet auf die Beine gestellt, bei dem jeder von Zuhause etwas mitbringt. Das ist quasi schon das erste Highlight, mit dem wir unsere Reise starten."

Welche Ereignisse kommen Ihnen als die wichtigsten Momente in den Sinn, wenn Sie auf Ihre persönliche Turnfestgeschichte zurückblicken?

"Ein Bild habe ich gleich vor Augen von meinem ersten Turnfest 1958 in München: früher wurde vor den Turnfesten seitens des Verbandes eine gemeinsame Choreografie als Festgymnastik an die Vereine rausgegeben. Die haben also alle Teilnehmer zuhause eingeübt. Ich werde dieses erhebende Gefühl wohl nie vergessen, als ich-weiß-nicht-wieviel-tausend Menschen damals auf der Theresienwiese standen und zur Musik gemeinsam geturnt haben. Wahnsinnig beeindruckend!
Es gab früher auch die Spielmannszüge noch als Wettkampfdisziplin. Wenn die alle zusammenkamen und gemeinsam im Stadion musiziert haben … Unglaublich toll! Ich bekomme heute noch eine Gänsehaut, wenn ich mich daran zurückerinnere.

Die vielen uns ja teilweise noch unbekannten Disziplinen, die Festzüge durch die Strassen, die Begegnungen mit den Menschen von überall, die schiere Dimension der Veranstaltungen und Aktionen in den verschiedenen Städten – gerade auch 1987 im noch geteilten Berlin."

Es gibt so viele große und kleine Anekdoten, so viele Wow-Momente, da könnten Sie ein ganzes Buch drüber schreiben. Was vor allem hängen bleibt, ist die unglaubliche Stimmung!

Sie kennen Leipzig als Austragungsort des Turnfestes nur zu gut. Was versprechen Sie sich von diesem Turnfest?

"Ich freue mich natürlich wieder auf einige schöne Tage mit fröhlichen und freundlichen Menschen und hoffe, dass die Bevölkerung mitgenommen werden kann und der Funke überspringt. Es gibt sicherlich wieder spannende Wettkämpfe und ich drücke fest die Daumen, dass unsere Mädels ihren Triumph vom letzten Turnfest in Leipzig 2002 wiederholen und den Deutschen Meistertitel holen.
Wir sind auch bestens vorbereitet: ich habe die Stadt im letzten Sommer mit meiner Frau schon besucht. Wir haben die Wettkampfstätten und die Veranstaltungsorte besichtigt und unser Tagesprogramm geplant. Wir haben den ÖPNV studiert und wissen, wie wir vor Ort zuverlässig von A nach B kommen. Nur aus den Gemeinschaftsquartieren werden wir uns zurückziehen: mit meinen 85 Jahren überlasse ich das Feld inzwischen den Jungen und freue mich auf ein richtiges Bett im nahegelegenen Hotel."

Sie stecken ja schon tief im Thema und haben bestimmt eine gute Vorstellung was auf Sie zukommt. Auf welche Programmpunkte freuen Sie sich im Besonderen?

"Heutzutage ist das alles ja nochmal größer und bombastischer, ein Fest für die Sinne! Wir freuen uns aber natürlich auf die Wettkämpfe unserer TVA-Teams, auf die Turn-EM, die ja erstmals zeitgleich stattfindet und die großen Shows. Und die Erfahrung lehrt, dass immer so viele große und kleine Überraschungen warten und man sich nur darauf einlassen muss."

Welchen Einfluss hat ein Sportevent dieser Art auf die Gemeinschaft? Was macht so ein Ereignis mal abgesehen von den rein sportlichen Aspekten in punkto Teamgeist und Zusammenhalt mit einer Mannschaft?

"Oh, ein Turnfest schweißt unwahrscheinlich zusammen. Einerseits steckt man natürlich erstmal in einem Massenquartier und lernt einander auch auf dem Wege nochmal anders kennen (lacht). Und ja, freilich hakt es auch mal – alles andere wäre gelogen. Es sind einfach insgesamt sehr viele Emotionen im Spiel. Aber natürlich überwiegt das positive Gemeinschaftserlebnis: man hilft und unterstützt sich. Wir passen auf einander auf und jeder übernimmt Verantwortung. Der Teamgedanke formt sich auch außerhalb des Wettkampfes nochmal neu und wenn man zusammen mit großen Augen all die Emotionen mitnimmt, dann verbindet das und lässt einen auch gestärkt mit vielen Erinnerungen zurückkommen."

Die Turnermädels der insgesamt rund 200-köpfigen Delegation des TV-Augsburg mit ihren Trainerinnen und Abteilungsleiter Günter Löhnert sind gewappnet für das Turnfest. Nur zu gerne möchten sie anknüpfen an die letzten Erfolge in Leipzig und den Meistertitel holen.

Gibt es einen Rat oder Tipps, die Sie anderen Vereinen oder Sportinteressierten mitgeben wollen?

"Fahrt hin! Lasst euch von der Faszination Deutsches Turnfest mitnehmen und begeistern. Lasst euch treiben von der Vielfalt des sportlichen Angebots und der Stimmung in der Stadt. Geht raus, erkundet und genießt mit allen Sinnen.
Und nehmt genug Betreuer für die Minderjährigen mit, begleitet sie durch diese Erlebnisse. Ich weiß natürlich, dass die Kinder und Jugendlichen heute viel mehr rumkommen und erleben als früher. Trotzdem ist ein Event wie dieses schlichtweg überwältigend. Turnen ist mehr! Vielfältig und einzigartig."

Was kommt nach dem Turnfest? Haben Sie schon weitere Pläne oder Projekte außer den Sommer zu genießen?

"Wir werden natürlich erst einmal unsere Eindrücke verarbeiten und sortieren, oftmals lassen sich ganz neue Impulse für den Verein mitnehmen. Das BoDo-Turnfest 1990 - als erstes gesamtdeutsches Turnfest in Bochum und Dortmund – war für sich schon etwas Besonderes. Für uns war es aber die Geburtsstunde des Rope Skipping in Augsburg. Wir hatten bei einer Show ein Skippingteam aus den USA erlebt und waren fasziniert von dieser hochdynamischen und mitreißenden Trendsportart. Über den DTB machten wir den Trainer in den USA ausfindig, er kam nach Augsburg, schulte unsere Turner in einem mehrtägigen Workshop und eine neue Abteilung war geboren. Das sind dann die besagten Überraschungen, die plötzlich weite Kreise ziehen.
Ansonsten haben wir natürlich die laufende Wettkampfsaison, einige Meisterschaften stehen an, der Alltag holt einen ja doch schnell wieder ein. Unsere jährliche Siegerfeier, wo wir das Jahr und auch das Turnfest Revue passieren lassen und unsere Erfolge feiern. Und nicht zu vergessen das große Sommerfest im Juli, das für mich in diesem Jahr auch ein besonderes sein wird: seit 1968 führe ich nun die Abteilung Turnen, ein Wahnsinn ist das! Ich habe viel Unterstützung, aber es wird Zeit, dass ich nun auch offiziell den Staffelstab weiterreiche.
Aber ich bin ja nicht weg. Dafür leben und lieben meine Frau und ich den Sport und den Verein viel zu sehr. Wir betrachten ihn dann nur aus einem anderen Blickwinkel ... Und wenn Körper und Geist noch mitspielen, dann wünsche ich mir, dass ich nach meinem ersten Turnfest 1958 in der bayerischen Landeshauptstadt mit dann 89 Jahren den Kreis schließen und mit meiner Frau mein letztes Turnfest besuchen kann: 2029 in München!"

Vielen herzlichen Dank für die Einblicke die Sie uns gewährt haben. Wir ziehen unseren Hut vor Ihrer bemerkenswerten Lebensleistung für den Sport im Allgemeinen, den TV Augsburg im Speziellen und natürlich Ihrer Begeisterung für das Turnfest. Wir wünschen Ihnen viel Freude in Leipzig und natürlich einige sportliche Highlights für Ihre Schützlinge. Wir hoffen mit Ihnen, dass sich dieses Turnfest einreiht in die lange Geschichte erfolgreicher Sportevents.
Alles Gute für Sie und auf ein Wiedersehen in 2029.

 

AUSGABE         Leipzig 01-2025 | Einblicke | Beyond Sports - Turnfest im Blut
AUTORIN          Claudia Doenitz